Wenn die Rede ist von Zivilcourage gegen Rechtsextremismus und vom Aufstand der Anständigen, lohnt ein Blick nach Thüringen, wo ein Zuständiger im vergangenen Jahr Courage zeigen wollte und sich dabei eine blutige Nase holte. Er müsse aufpassen, keine Rechtsbeugung zu begehen, hielt ihm das Verwaltungsgericht vor.
Von Toralf Staud
»Jena soll nicht zum Aufmarschgebiet von Neonazis werden«, sagt Oberbürgermeister Albrecht Schröter. Solche Klarheit ist nicht die Regel in Ostdeutschland und schon gar nicht in Thüringen, wo die CDU−Landesregierung den Rechtsextremismus oft verharmlost hat. Schröter dagegen, ein 53−jähriger Sozialdemokrat, will Flagge zeigen. NPD und Neonazi−Kameradschaften sind in seiner Stadt aktiv, im Sommer vergangenen Jahres tauchten in Jena wieder Gedenkkreuze für den Hitler−Stellvertreter Rudolf Hess auf. Hess' Todestag Mitte August ist zu einem der wichtigsten Termine im Kalender deutscher Rechtsextremisten geworden.
Seit 2005 das Versammlungsrecht verschärft wurde, sind ihre Demonstrationen im bayerischen Wunsiedel, wo Hess begraben liegt, regelmäßig verboten worden. Genauso regelmäßig melden sie nun andernorts Veranstaltungen an. Als wenige Tage nach dem Verbot 2007 in Wunsiedel der NPD−Landesverband Thüringen im Jenaer Rathaus eine Demonstration zum Thema »Weg mit den Volksverhetzungsgesetzen - Für Meinungsfreiheit« anmeldete, erließ Oberbürgermeister Schröter ein Verbot. Schon im Jahr zuvor war die NPD nach Jena gekommen, der hessische Landesvorsitzende hatte hinterher im Internet gejubelt: »Auch dieses Jahr marschierten in Jena wieder zigtausend Nationalisten für ihr Vorbild Rudolf Hess, den Märtyrer des Friedens.« Als der Anmelder für 2007 erklärte, es werde »eine gleich gelagerte Veranstaltung« werden, war für Albrecht Schröter der Fall klar.
Genüsslich verlesen die Neonazis das Urteil auf ihrer Veranstaltung
Doch auch Neonazis haben Grundrechte. Und Versammlungsverbote dürfen »nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit« erlassen werden, urteilte das Bundesverfassungsgericht 1985. In der Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten rufen Bürger und Politiker heute schnell nach Verboten. Im vorpommerschen Ueckermünde wollten Stadträte schon mal die ganze Gemeinde zur demofreien Zone erklären, weil sie anders der Neonazis nicht mehr Herr zu werden glaubten. Oft werde versucht, den Kampf gegen rechts an Polizei, Justiz und Gesetzgeber zu delegieren, beobachtet Michael Sturm, Rechtsextremismusexperte an der Universität Leipzig. Doch das offenbare »ein Politikverständnis, das tendenziell autoritäre Züge aufweist«. Gerade im Umgang mit Rechtsextremismus, sagt Bürgerrechtsanwalt Rolf Gössner, »werden bürgerrechtlich−rechtsstaatliche Positionen als störend empfunden«. Unbekümmert erließ etwa Sachsen−Anhalt vergangenes Jahr am Hess−Wochenende ein landesweites Demonstrationsverbot, bekannte Neonazis mussten sich darüber hinaus alle drei Stunden bei der Polizei melden. Eine tief gehende Auseinandersetzung sieht anders aus.
Der Stadtrat von Jena hat schon vor sechs Jahren ein Programm gegen Rechtsextremismus beschlossen. Vor der angekündigten Demonstration sagte Oberbürgermeister Schröter öffentlich, dass er versuchen werde, sie zu untersagen. Das Verwaltungsgericht Gera kassierte sein Verbot nicht nur wegen der dünnen Begründung, sondern ermahnte ihn, dass er als Chef der Versammlungsbehörde eine »Pflicht zur Neutralität und zu einer versammlungsfreundlichen Verfahrensweise« habe. Davon aber vermittle er »nicht einmal mehr den Anschein«, weshalb der Straftatbestand der Rechtsbeugung »erfüllt sein kann«. Genüsslich wurden diese Passagen auf der NPD−Demo verlesen. Übrigens wurde dann dort auch Rudolf Heß geehrt, aber Gesetzesverstöße können eben erst im Nachhinein geahndet werden.
»Mit dem Urteil kann ich leben«, sagt Albrecht Schröter. Und als Ex−DDR−Bürger sei ihm die Unabhängigkeit der Gerichte ein besonders hohes Gut. »Unglücklich« sei er nur über die Begründung. »Die Nazis fühlen sich dadurch unglaublich ermutigt.« Zwei Tage nach der Demo flatterte ihm ein Einschreibebrief der NPD auf den Tisch, in dem sie ihm unter Bezug auf das Urteil jede »einseitige« Stellungnahme gegen die NPD untersagen wollt und ihn ultimativ aufforderte, die Homepage der Stadt entsprechend zu säubern.
»Das ist eine Gratwanderung«, sagt Ulrich Mohn, Leiter des Rechtsreferats beim Städte− und Gemeindebund. Als Politiker sollen dieselben Menschen klar gegen Rechtsextremismus auftreten, die sich als Verwaltungsleiter neutral verhalten sollen. Regelmäßig komme das Thema zur Sprache, sagt Mohn, aber eine so brüske Urteilsbegründung wie aus Gera sei ihm »noch nicht untergekommen«. Es müsse ihm doch erlaubt sein, beharrt Schröter, die demokratische Gesinnung des größten Teils seiner Bürger zu artikulieren. »Ich muss doch das Recht haben, die Beschlüsse des Stadtrats umzusetzen.« Rolf Poscher, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bochum, sagt, viele Gerichte reagierten gereizt auf »dieses Spiel mit dem Schwarzen Peter«: Viele Politiker verböten mit fadenscheinigen Begründungen ungeliebte Nazi−Demos, die Richter stellten dann Recht und Gesetz wieder her und stünden dafür in der Öffentlichkeit als Buhmänner da.
Was geschieht, wenn die NPD mal Bürgermeister stellen sollte?
Schröter wäre es am liebsten, wenn die Thüringer Kommunalverfassung geändert und wie in anderen Ländern die Polizeibehörden für Demo−Anmeldungen zuständig wären. Doch auch in Ländern wie Hessen und Mecklenburg−Vorpommern, sind Landräte und Bürgermeister die Versammlungsbehörde. Manche Politiker versuchen sich dem Dilemma zu entziehen, indem sie Demo−Genehmigungen an ihre Rechtsdezernenten delegieren. Aber das Grundproblem bleibt. Und die Pflicht zur Neutralität könnte wichtig werden, falls die NPD Bürgermeisterposten in Ostdeutschland erobern sollte und dann selbst Demonstrationsverbote erlassen dürfte.
Was aber könnte denn nun ein Bürgermeister wie in Jena tun? Er muss natürlich eine Demonstration, die er nicht verbieten kann, genehmigen. Er kann das auch unter lautem Protest tun und strenge Auflagen erlassen. Und dann die Bürger seiner Stadt zu Gegendemonstrationen einladen.
Dieser Text erschien erstmals in der ZEIT vom 30. August 2007