Helen Boaden, ehemalige BBC-Radio-Direktorin und jetzige Harvard-Dozentin, spricht bei der Konferenz "Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Zeiten des Populismus" in Berlin am16.05.2017
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"Fake News": „Ich brauche keinen Beweis, es reicht mir, Zweifel zu säen“

Was tun gegen Rechtspopulismus und Fake News? Warum glauben Menschen dubiosen Blogs manchmal mehr als seriösen Redaktionen? Damit beschäftigte sich der Workshop „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Zeiten des Populismus“ des Deutschlandradios und des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster, der am 16. Mai 2017 in Berlin stattfand. Spannend dabei der Blick in die USA, die Schweiz und Österreich.
 

Von Simone Rafael

 

„Lügenpresse“ brüllte „Pegida“ seit 2014, dann übernahm die AfD das Ziel, professionellen Journalismus zu delegitimieren. Der Diskurs ist in der Gesellschaft erfolgreich: Misstrauen gegen journalistische Berichterstattung ist verbreitet, „Fake News“ inzwischen ein geflügeltes Wort. Während Journalist_innen in Print, Radio, Fernsehen und online versuchen, die Welt nach bestem Wissen und Gewissen zu beschreiben, Ereignisse nach Relevanz auszuwählen und möglichst objektiv und vielschichtig zu beschreiben und damit zur demokratischen Meinungsbildung beizutragen, steht ihre Glaubwürdigkeit permanent auf dem Prüfstand.

Dr. Willi Steul ist der kurz vor dem Ruhestand stehende Intendant des Deutschlandradios. Er beginnt den Workshop „„Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Zeiten des Populismus““ selbstkritisch: „Ich bin seit 40 Jahren Journalist und noch nie hat der Berufsstand so viel Hass abbekommen wie derzeit. Was habe ich, was haben wir falsch gemacht bei der Vermittlung von Informationen, beim Ringen um Lösungen?“

 

Im Funkhaus des Deutschlandradios wurde debattiert. 
 

„Wir müssen uns permanent selbstkritisch prüfen. Halten wir die Regeln unseren Handwerks ein?“

Steul sieht eine Sehnsucht nach Sensationellen im Journalismus, bei der die Analyse zu kurz komme und auch Fehler entstehen – doch es fehle eine Kultur, Fehler einzugestehen und zu bearbeiten. „Guter Journalismus entsteht im Zweifel“, sagt Steul, und wünscht sich, dass Journalist_innen ihre eigenen Urteile und Vorurteile im Sinne besserer Berichterstattung selbstkritisch prüfen. Keine Pauschalisierungen – auch nicht im Bezug auf Rechtspopulist_innen, sachliche und präzise Berichterstattung, das benennt er als Ideal. Welche Fehler Journalist_innen im Umgang mit Rechtspopulismus aber machen können und welche Gegenstrategien gut funktionieren, sollte die Tagung in Berlin herausarbeiten.
 

USA: „Ich brauche keinen Beweis, es reicht mir, Zweifel zu säen“

Den Anfang macht Helen Boaden, ehemalige Direktorin der BBC und aktuell an der Harvard University. Sie berichtet über Erfahrungen der amerikanischen Medienlandschaft mit dem Präsidentschaftswahlkampf 2016/17. Also besonders problematisch beschreibt sie, dass sich sehr viele amerikanischen Medien zu einig gewesen wären, dass Hillary Clinton eine gute Kandidatin sei und Donald Trump nur lächerlich – hier habe das journalistische System der „Checks and Balances“ versagt. Das habe Trump-Fans in die Arme sogenannter „alternativer“ rechtspopulistischer Medien wie „Breitbart“  getrieben: „Und denen ist es gelungen, in ihrem Fan-Spektrum als kritischer Blick auf die Welt zu wirken, obwohl sie permanent parteilich berichteten und absurde Verschwörungstheorien verbreitet haben.“

Unterstützend, so Boaden, wirke das Internet, dass unendlich viele Informationen aus verschiedensten Quellen bereithält: „Leider gehen Menschen in der Regel mit diesem Angebot nicht rational um. Um uns zu orientieren, glauben wir die Sachen, die bestätigen, was wir schon zu wissen glauben  - was Vorurteile und Fehlurteile massiv verbreitet.“ Im Englischen heißt das „Confirmation bias“, also Vorurteile, die sich durch scheinbare Bestätigung verfestigen. Wird eine Erzählung dann an vielen Stellen wiederholt, erscheint sie noch glaubwürdiger. Rechtspopulist_innen etwa nutzen dies in ihren Netzwerken von Kleinstblogs, die Themen kampagnenartig wiederholen.

Das hat auch Folgen für die Widerlegung von falschen oder bewusst gefälschten Informationen: Denn selbst wenn Informationen als „falsch“ beschrieben werden, werden sie besser erinnert als die Korrektur, wenn sie der Idee der Welt entsprechen, die der Leser im Kopf hat.  Dies können sich etwa Rechtspopulist_innen zunutze machen.

Für die USA beschreibt Boaden das so: „Breitbart“ zielte genau auch auf Reaktionen klassischer Medien. Erst kommt eine Provokation auf „Breitbart“, dann berichten auch die großen Medien darüber – doch obwohl die kritisch berichten, wird die Lügenerzählung durch die Wiederholung, zumal in einer verlässlichen Quelle, familiär und vertraut.

Praktisch funktioniert das so: Die rechtsextreme „Alt-Right“-Bewegung setzt  in den in den USA beliebten Netzwerken „Reddit“ und „4chan“ das Gerücht in die Welt, der französische Präsidentschaftskandidat  Emmanuel Macron habe ein Konto für Steuerhinterziehung auf den Kaiman-Inseln – was komplett erlogen ist. Reddit-User wiederholen das Gerücht auf ihren Streams und Blogs, bombardieren die Google-Suche mit entsprechenden Anfragen, bis Journalist_innen auf die vermeintliche Geschichte aufmerksam werden. Diese recherchieren, finden heraus, dass dazu nichts herauszufinden ist, wiederholen die Geschichte aber beim Debunking, also beim Widerlegen. Das folgt dem  Prinzip „Ich brauche keinen Beweis, mir reicht es, einen Zweifel zu säen“ – trotz Widerlegung erscheint Macron verdächtig, was seine rechtspopulistische Widersacherin Marine Le Pen permanent betont. In dem Fall war die Kampagne letztendlich nicht in Bezug auf den Wahlausgang erfolgreich, doch der Verdacht mangelnder Integrität bleibt.

Boaden fordert, Journalist_innen müssten bessere Wege der Widerlegung finden, als Gerüchte dabei zu wiederholen – doch sie bleibt die Antwort schuldig, wie das gelingen soll.
 

Deutschland: “Die sind nicht an Neutralität interessiert”

Über seine Erfahrungen in der Berichterstattung über die AfD berichtet FAZ-Redakteur Justus Bender, der dazu auch ein Buch mit dem Titel “Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland” geschrieben hat. Zuvor lag Benders journalistischer Schwerpunkt bei rechtsextremen Parteien wie der NPD und „Die Rechte“, und im Vergleich sagt er: „Die Feindlichkeit gegen die Presse ist bei der AfD ehrlich, keine Pose. Die sind wirklich wütend und fühlen sich ungerecht behandelt. Wenn die AfD kritisch begleitet wird, sehen sich als Volk und eine kritische Presse entsprechend als Volksverräter.“ Bender merkt aber an: „Die sind aber nicht an Neutralität interessiert!  Sie ärgern sich nur, dass nicht ihre Haltung wiedergegeben wird.“ „Lügenpresse“-Vorwürfe gibt es nur, wenn die Berichterstattung keinen Nutzen für die eigene Meinung hat – Berichte über Kriminalität von Geflüchteten etwa werden auch aus der zuvor beschimpften „Lügenpresse“ gern geteilt.  Erst recht werden im  rechtspopulistisch Spektrum beliebte Medien wie „Junge Freiheit“, “Compact“ oder „RT Deutsch“  geteilt und gefeiert.

Gegenstrategien?

Bender hat Zweifel, ob Faktenchecks AfD-Anhänger_innen erreichen, denn denen sei egal, ob die Parteiführung mit Falschaussagen hantiert, solange diese nur Ausdruck ihrer politischen Meinung seien.  Dringend rät er aber Medien-Kolleg_innen, auf die „Lügenpresse“-Vorwürfe nicht emotional und empört zu reagieren, sondern vor allem mit noch mehr Ernsthaftigkeit und Sachlichkeit in der Berichterstattung. Wichtig sei vor allem, der AfD zu zeigen, dass ihr Kampf gegen die Medien nicht funktioniert: „Wenn sie mich vom Parteitag ausschließen, kommen Kollegen trotzdem an Informationen und berichten. Journalismus nimmt keinen Schaden durch den Hass der AfD.“

Stephan Detjen, Chefkorrespondent des Deutschlandradios, ergänzt mit Blick auf die „Lügenpresse“-Vorwürfe: Als schwierig empfinde er auch Medienkritik, die nicht sachlich ist, sondern zu einem Vertrauensverlust in die Ernsthaftigkeit der Presse führt, sowie politische Comedy-Sendungen, die sich gegen die Politik insgesamt wendeten und so eher zur Politikverdrossenheit beitrügen als zu einer Kritik an politischer Praxis aus einer demokratischen Haltung heraus. „Außerdem gibt es in den Medien aktuell exzessive Skandalisierungswellen, die bisweilen Hetzjagden gleichen und in denen eine Vielfalt an Positionen kaum noch vorkommt. Aber Demokratie braucht auch Vertrauen in die Repräsentanten.“ Journalistische Vielfalt in Kompetenzen, Weltanschauung, ethnischer und politischer Herkunft wünscht sich Detjen als Gegenstrategie, und eine lebendige Diskussions- und Streitkultur in Redaktionen, die Perspektivwechsel ermöglicht.

 

Fake und Technik: Warum sich Bot-Armeen lohnen

Online-Propaganda kann nicht nur durch Menschen betrieben werden.Bot-Armeen sind preiswert und erfolgreich darin, gesellschaftliche Diskurse zu verzerren. Das berichtet Dr. Lena Frischlich, Medienpsychologin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zwar ist Twitter hierzulande als Netzwerk nicht so relevant, aber Bot-Armeen gibt es auch auf Facebook, wo sie in Gruppen posten, um Meinung zu machen. Die künstlichen Stimmungsmacher lassen sich zwar durchaus erkennen – etwa, wenn ein Account in kürzester Zeit angeblich sehr viele Follower gewonnen hat, mehr als 50 Postings pro Tag absetzt, merkwürdige Sprache und Satzbau verwendet und nicht ironiefähig ist. Aber ganz leicht ist das Erkennen auch nicht, zumal Menschen dazu tendieren, nutzergenerierte Inhalte als besonders glaubwürdig einzuschätzen, wenn sie vermeintlich von jemand aus der eigenen Bezugsgruppe geschrieben wurden – und sie eben umso mehr zu glauben, je öfter sie wiederholt werden.  

Wenn also eine flüchtlingsfeindliche Seite eine Karte mit vermeintlichen Gewalttaten von Flüchtlingen erstellt, können zwar aufgelistete Fälle als gefälschte Informationen enttarnt werden, aber der erste Eindruck der Karte mit den unfassbar vielen Punkten bleibt im Gedächtnis.
 

Komplexes Thema: Dr. Lena Frischlich berichtet, warum das Widerlegen von "Fake News" 
oft so schwierig ist.

 

Warum wir auch Unsinn glauben

Fatal: Auch wenn Inhalte als „Fake“ enttarnt werden, werden sie gelernt, und es findet eine ähnliche Einstellungsänderung statt, als wenn es ein geprüfter Fakt gewesen wäre. Und wird eine Geschichte nur oft genug erzählt, kommt es sogar zu einer falschen kollektiven Erinnerung, die dann noch schwerer zu widerlegen ist, weil „alle“ sich so erinnern.  Auch nicht schön fürs Debunking: Verneinungen sind fürs Gehirn schwerer zu verarbeiten, zumal die „Fake“-Story oft emotional packender ist. Kommen dann noch scheinbare Expert_innen dazu, die etwa durch vermeintliche Titel gekennzeichnet werden, werden auch logische Fehlschlüsse gern geglaubt.

Aber was tun? „Erzählen Sie die besseren Geschichten!“, rät Lena Frischlich den Journalist_innen, und ergänzt: Besser, als Menschen Argumente vorzugeben, sei es, sie diese selbst entdecken zu lassen, sie in die Lage zu versetzen, selbst Schlüsse zu ziehen.

 

Schweiz: Populistische Talkshows als Plattformen genutzt

Bereits langjährige Erfahrung im Umgang mit Rechtspopulist_innen haben Journalist_innen in der Schweiz, wie Casper Selg berichtet, Redaktionsleiter und politischer Korrespondent bei Radio SRF. Die rechtspopulistische SVP ist inzwischen in der Regierung vertreten und beantragt permanent Volksabstimmungen, über die der  Schweizer öffentlich-rechtliche Rundfunk berichten muss, weil sie relevant sind – „möglichst wenig zu berichten ist für uns also keine Lösung mehr“, sagt Selg. Stattdessen empfiehlt Selg: mit kritische Distanz einordnen, Zusammenhänge aufzeigen – und im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Prinzip der Ausgewogenheit um Sachgerechtigkeit zu ergänzen: „Natürlich gibt es auch zum Klimawandel unterschiedliche Meinungen, aber einige davon sind wissenschaftlich erwiesen falsch. Es kann nicht sein, dass die dann genauso viel Raum in den Medien bekommen, um einer ‚Ausgewogenheit‘ zu genügen.“ Interessant sind auch die Fehler, die Selg in der Rückschau berichtet – und die recht eindringlich an die aktuelle Situation in Deutschland erinnern. „Der größte Fehler war, SVP-Verteter_innen massiv in populistische Talkshow-Formate einzuladen – die haben sie als perfekte Plattformen genutzt“, sagt Selg. Ebenso kritisiert er, dass die Berichterstattung „über jedes Stöckchen der Provokation“ springt – obwohl das eine klare rechtspopulistische Strategie sei: „Wir müssen uns bei jeder Berichterstattungswelle fragen: Sind wirklich die Proportionen gewahrt? Ist das Thema so wichtig?“ Hier sieht Selg auch die besondere Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: „Kommerzielle Onlinemedien bearbeiten jedes Thema, wenn es gut läuft, auch vielfach und ohne Verhältnis zur gesellschaftlichen Wichtigkeit -  auch aus finanziellen Interessen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf sich davon nicht treiben lassen.“  Und er kann zugleich Standards erarbeiten und setzen: „Die SVP verwendet etwa in ihren Volksbegehren demagogische Ausdrücke, damit diese in den Medien wiederholt werden. Wir haben uns entschieden, sie genau  deshalb trotzdem nicht zu verwenden, auch wenn es der offizielle Titel ist.“

 

Österreich: „Das Thema Identität überlassen wir ihnen nicht!“

Auch der ORF muss Strategien entwickeln, mit dem Rechtspopulismus und der Medienfeindlichkeit der FPÖ umzugehen.  Dr. Klaus Unterberger leitet das  Public-Value-Kompetenzzentrum des ORF, dass ganz praktisch in die Öffentlichkeit vermittelt, was sie am öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat. „Populismus müssen wir ernst nehmen und auf ihn antworten, in einem öffentlichen Diskurs“, sagt Unterberger. Denn rechtspopulistische Medienhetze sei ein demokratiepolitisches Problem, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa. „In Österreich gibt es keine Debatte zum Thema Medien ohne die Forderung nach einer Beschränkung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – angesichts von Populismus und Nationalismus brauchen wir allerdings genau das Gegenteil!“, sagt Unterberger. Wenn Rechtspopulist_innen „Empörungsbewirtschaftung“ betrieben, vor allem in digitalen Medien, müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk dagegenhalten. Dafür hat der ORF einen Medienethik-Rat ins Leben gerufen, der den Redakteur_innen bei  praktischen Fragen hilft und auch Redaktionsstatute und Verhaltenskodizes entwickelt. „Unsere Kompetenz, unser  Bildungs- und Kulturauftrag ist unsere schärfste Waffe gegen Populismus“, sagt Unterberger. Dafür sei es aber auch notwendig, Informationen auch so auf Augenhöhe aufzuarbeiten, dass sie etwa auch diejenigen erreichen, für die Bildung besonders wichtig ist. Dazu gibt es eine Kooperation mit der österreichischen Filmwirtschaft: „Die Rechtspopulisten sprechen immer über Identität. Das Thema überlassen wir ihnen nicht! Gerade mit Unterhaltungsprogrammen können wir österreichische Identität in Vielfalt bestens vermitteln.“ Unterberger plädiert dafür, Unterhaltung „sehr ernst“ zu nehmen, gerade um für ethnische, religiöse und soziale Vielfalt einzutreten.

 

Was übrig bleibt…

An Problemen, das zeigt auch die Abschlussdiskussion der Veranstaltung, mangelt es im Themenbereich öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Rechtspopulismus nicht. Wo ist die Grenze zwischen dem angemessenen Berichten und dem  berichterstattenden Aktionismus, der der rechtspopulistischen Provokationsstrategie auf den Leim geht? Ist Nüchternheit wirklich der beste Ratschlag, oder braucht es Haltung? Was wird aus dem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag, wenn Menschen diese Medien immer weniger nutzen? Das Aufkommen populistischer Bewegungen, sagt Dr. Klaus Unterberger,  scheint manchen die Renaissance der Barberei: „Vielleicht ist es aber auch die Renaissance des Gesellschaftlichen!“ Wie über welche Werte diskutiert wird, können Journalist_innen entscheidend mitbestimmen – und sollten sich dieser Verantwortung auch gewahr sein.

 

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