Mit einem Bürgerbegehren wider den Rundfunkstaatsvertrag gegen die Islamisierung angehen – und andere Merkwürdigkeiten. Muss man sich Sorgen um Pegida machen?
Von Oliver Reinhard
Ein Paukenschlag ließ Dresdens Schlossplatz am Montagabend bis in die Pflasterfugen erzittern, als Pegida-Führer Lutz Bachmann den lange erwarteten Großcoup der Bewegung verkündete: Man werde ein Bürgerbegehren anstrengen gegen den Rundfunkstaatsvertrag samt „Zwangsabgabe“ für die öffentlich-rechtlichen Sender!
Man lasse sich das im Gehörgang zergehen: Die „Patriotischen Europäer“, angetreten gegen monströse Schrecken wie „Islamisierung des Abendlandes“ und Kultur-Überfremdung, gegen „Wirtschafts“- Flüchtlingswellen und religiösen Terror, gegen gewählte „Volksverräter“ der „Lügenrepublik“ und deren Asylpolitik, gegen soziale Ungerechtigkeit und wachsende Armut, gegen Bildungsmisere und EU-„Diktatur“ wollen nun mit vereinten Kräften – am Rädlein der Rundfunkgebühren (früher GEZ-Gebühren) drehen.
Nicht einmal dieses Fünkchen hat Pegida selbst geschlagen. Man schließt sich damit lediglich einer inzwischen schon etwas betagten Forderung der AfD an. Verständlich, dass sich manche Anhänger nach dieser „Kampfansage“ enttäuscht anblickten.
Muss man sich, als besorgter Bürger, nun noch ernsthaftere Sorgen als bisher machen um die Zukunft der Bewegung? Manches deutet darauf hin. Denn auch Pegida stolpert zunehmend über jenen Stein, den der preußische Stratege Carl von Clausewitz schon 1827 so benannte: Es ist im „Konflikt grosser Interessen“ alles sehr einfach, „aber das Einfachste schwierig“.
Alle Ausländer raus?
Tatsächlich war und ist es für Pegida kinderleicht, sich als Sprachrohr gegen reale Missstände anzubieten: Die europäische und deutsche Flüchtlings- und Asylpolitik leidet weiterhin unter argen Versäumnissen, Fehlern und Ratlosigkeiten. Die Gefahr radikalmuslimischer Einflüsse hat zumindest nach Erkenntnissen diverser Experten nicht abgenommen. Die Wohlstandsschere öffnet sich weiter. Die soziale Kälte schlägt nicht um in Wärme. Die Taktik, den geballten Unmut darüber durchs Nadelöhr des Zorns auf die schwache Gruppe der Ausländer oder Flüchtlinge zu lenken – kurz: auf „das Fremde“ –, hat sich historisch nicht minder hinreichend bewährt.
Indes fällt es den Köpfen der Bewegung immer schwerer, aus dieser Einfachheit der Dinge auch massenmobilisierungs- sowie mediales und politisches Kapital zu schlagen. Zwar versammeln sich weiterhin wesentlich mehr Sorgenbürger als Extremisten. Doch von der im Januar selbst behaupteten Spitzenzahl von 40 000 ist ein Bruchteil übrig: je nach Zählmethode zwischen 1 500 und rund 3 000. Man mag das Erfolg nennen: 1 000 mehr als letzte Woche! Oder einräumen, dass man angesichts solch „willkommener Unterstützung des Zufalls“ (Clausewitz) durch Schönwetter, Griechen-Groteske und Terror-Wochenende mit viel mehr hätte rechnen dürfen.
Der größte politische Coup, die 21.306 Stimmen für Pegidas OB-Kandidatin Tatjana Festerling, wurde ebenfalls gleich wieder ver- und in die Hände eines Pegida-Gegners gespielt: Festerling fordert auf, am 5. Juli Dirk Hilbert (FDP) zu wählen, mithin einen etablierten „Volksverräter“. Und die Medien? Blicken nur noch auf Pegida, wenn ein Randgrüppchen, von Lutz Bachmann gen Freital geschickt, dort Hassparolen samt Alle-Ausländer-Raus-Rufe gegen eine Flüchtlingsunterkunft grölt.
Auch der Montagsspaziergang ist in seinen ewig gleichen Ritualen erstarrt. Man bejubelt Bachmanns Spötteleien über Auswüchse des lokalpolitischen Umgangs mit der Flüchtlingsproblematik, stimmt die Evergreens „Volksverräter“ und „Lügenpresse“ an und beklatscht johlend die höchst einfältigen Forderungen von Gastredner Graziani: Seeblockade gegen „Wirtschafts“-Flüchtlinge! – als wären deren Boote besonders gekennzeichnet. Probleme direkt in Afrika mit den dortigen Regierungen lösen! – als gäbe es etwa in Libyen oder Syrien handlungsfähige Regierungen. Und so laut der Schlussjubel über die Kampfansage an die Rundfunkgebühren war; die Erfolgsaussicht auch dafür ist sehr gering.
Mag Pegida von der Einfachheit der Klageführung weiter profitieren; an der Komplexität der Analyse, an den Herausforderungen praktizierbarer Lösungsvorschläge und erst recht einer zivilisierten Streitkultur scheitert man nach wie vor gewaltig. Nun will Pegida nur noch vierzehntätig in Dresden spazieren und dazwischen anderswo in Sachsen Verbündete unterstützen. Doch das Clausewitz’sche „Sammeln der Kräfte im Raum“ greift längst nicht mehr. Nirgends in Europa konnte Pegida nennenswert erstarken, vielerorts schwinden die Kräfte. Selbst in manch einstiger Flüchtlingsheim-Protesthochburg wird Pegida allmählich das Wasser abgegraben. Womöglich muss man mit dem preußischen Strategen „eine durch die Dauer der Handlungen nach und nach hervorgebrachte Erschöpfung der physischen Kräfte und des Willens“ attestieren.
Zu den frustrierten Pegida-Anhängern zählte vorgestern eine junge Frau: „Ihr könnt immer nur jammern und meckern“, kanzelte sie ein Grüppchen älterer Herren ab. „Man muss auch mal konstruktiv sein, miteinander reden, kommunizieren, wenn man was ändern will!“
Bleibt die Frage, ob so etwas mit Lutz Bachmann an der Spitze überhaupt möglich ist. Oder ob man den 42-jährigen Haudegen inzwischen zu jenem Führer-Typus sortieren muss, über den Carl von Clausewitz schrieb: „Man ist nicht abgeneigt, in einem unter den Waffen ergrauten Unterfeldherrn, den seine einseitige Tätigkeit zu einer unverkennbaren Geistesarmut geführt hat, ein gewisses Verdummen zu erblicken und bei aller Verehrung für seinen Mut über seine Einfalt zu lächeln.“
Dieser Text erschien zuerst am 01. Juli 2015 in der Sächsischen Zeitung. Mit freundlicher Genehmigung.