Jahresrückblick 2017: Während in Niedersachen rechtsextreme Parteien an Einfluss verlieren und der AfD-Landesverband komplett zerstritten ist, organisiert sich die freie Nazi-Szene für Events und Gewalt. Strafverfolgung gegen rechtsextreme Gruppierungen gab es derweil beim "Freundeskreis Thüringen / Niedersachsen", Kunden von "Migrantenschreck", Unterstützern von Reichsbürger "Burgos von Buchonia" oder bei der Holocaustleugner-Vereinigung "Europäische Aktion".
Für den Belltower.News-Jahresrückblick sprechen wir mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und Akteur_innen über die Situation in ihrem Bundesland. Das Interview mit der „Mobilen Beratung Niedersachsen gegen Rechtsextremismus für Demokratie" führte Simone Rafael.
Was waren die wichtigsten Ereignisse und Akteure in Niedersachsen im Rechtsextremismus?
Für die rechtsextremen Parteien ist Niedersachsen aktuell kein erfolgreiches Aktionsfeld. Die NPD ist im Niedergang begriffen, bekam bei der Bundestagswahl im September 2017 mit 0,3 Prozent der Stimmen deutlich weniger Zuspruch als bei der vorangegangenen (- 0,6 Prozent). Alle Wahlkampfstände zur Bundestagswahl trafen auf kreativen Gegenprotest. Zur Landtagswahl trat die NPD gar nicht mehr an.
„Die Rechte“ hatte ihr Kerngebiet im Braunschweiger Land, ist dort aber nicht mehr aktiv.
Der „III. Weg“ ist in Niedersachsen bislang nicht merkbar als Struktur aktiv. Lediglich Einzelpersonen des sogenannten „Stützpunkts Hermannsland“ fallen in den Regionen um Hameln und Osnabrück durch einzelne Aktionen auf.
Die jährlich in Eschede stattfindende Sommersonnenwendfeier wurde dieses Jahr von unterschiedlichen extrem rechten Gruppen und Parteien offen und gemeinsam unterstützt. Neben der NPD und der JN erschienen die Frauenkameradschaft der „Düütschen Deerns“ , der „Gefangenenhilfe Freundeskreis“, „Die Rechte“ und „der III.Weg“ auf dem Aufruf. Die Resonanz in der Szene blieb trotz dieser unterschiedlichen Unterstützer_innen mit ca. 100 Teilnehmenden jedoch gering
Im Harz gibt es nach wie vor eine gut strukturierte freie Neonazi-Szene, die seit 2017, organisiert im sogenannten „Kollektiv Nordharz“, zunehmend aktiv ist. Die Aktivist_innen kommen vor allem aus dem Westharz im Landkreis Goslar und angrenzend sowie dem nahegelegenen Sachsen-Anhalt. Enge Kontakte gibt es zur JN in Braunschweig sowie in die Region Göttingen – man besucht sich bei Veranstaltungen, macht gemeinsame Störaktionen und „unterstützt“ sich gegenseitig bei anstehenden Gerichtsverhandlungen.
Im Jahr 2018 wird der sogenannte „10. Tag der deutschen Zukunft –Unser Zeichen gegen Überfremdung“ in Goslar stattfinden, eine rechtsextreme Großveranstaltung mit jährlich wechselnden Veranstaltungsorten, einem neonazistischen Publikum und rassistischen Inhalten. Die Mobilisierungskampagne obliegt dem ebengenannten „Kollektiv Nordharz“ als lokaler Veranstalter dieser bundesweiten Kampagne. Diese hat bereits mit einer Veranstaltung in Goslar begonnen - und diese ist auf eindringlichen Gegenprotest gestoßen, der klar gemacht hat: Rechtsextreme Veranstaltungen wollen wir hier nicht haben. Anfang 2017 hat der rechtsextreme „Freundeskreis Thüringen / Niedersachsen“, der in 2016 die Demonstrations- und Protestkultur in der Region stark bestimmt hat, 2017 zum „Kampfjahr“ ausgerufen und sich in „Volksbewegung Thüringen / Niedersachsen“ umbenannt. Seitdem ist es um die Gruppe sehr ruhig geworden – wenn man von Strafverfahren gegen einzelne Mitglieder absieht. Ermittlungen gegen die Gruppierung wegen „Bildung einer bewaffneten Gruppe“ laufen auch noch.
Dann gab es zwei Prozesse gegen zumindest szenebekannte Holocaustleugner_innen – Ursula Haverbeck (Revision läuft noch) und Rigolf Hennig (Freiheitsstrafe von 18 Monaten ohne Bewährung). Hennig ist einer der führenden Köpfe des Holocaustleugner-Netzwerks „Europäische Aktion“. Dies gab nach Hausdurchsuchungen bei Netzwerk-Mitglieder im Juni gab die „Europäische Aktion“ Ende Oktober bekannt, sich aufzulösen – man habe die Ziele der Aktion erreicht (vgl. BTN).
Hausdurchsuchungen wegen rechtsextremer Aktivitäten gab es 2017 in Niedersachsen noch weitere: Im Januar gab es Hausdurchsuchungen bei Kunden des rechtsextremen Waffen-Versandes „Migrantenschreck“ (vgl. BTN). Und dann gab es noch Hausdurchsuchungen bei niedersächsischen Unterstützer_innen des wegen Terrorverdachts verhafteten selbsternannten „Druiden Burgos von Buchonia“, Burghard B. (vgl. stern, BTN). Der Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung wurde im August vom Generalbundesanwalt wieder fallengelassen, doch die Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz gehen weiter (vgl. KTV).
In Niedersachsen haben 2017 rechtsextreme Liederabende und einzelne kleinere Konzerte stattgefunden. Vor allem haben rechtsextreme Strukturen aber Veranstaltungen in anderen Bundesländern unterstützt, etwa den „Eichsfeldtag“ und die Konzerte in Themar. So erfolgte etwa der Ticketverkauf für Themar über einen rechten Versand aus Lingen. Und die rechtsextreme Lingener Band „Stahlgewitter“ trat dann auch in Themar auf.
In ganz Niedersachsen ist außerdem der Trend zu beobachten, dass rechtsextreme Gruppen vorgeben, sich für Wohnungslosenhilfe und für sozial schwache Familien zu engagieren. So entstehen Fotos, wie bekannte Neonazis Geschenke an Wohnungslose oder Familien übergeben, die sie als „deutsch“ erachten.
Und noch ein „Neonazi-Trend“ erreichte Niedersachen im November: Ein Kampfsporttraining im Landkreis Wolfenbüttel, organisiert von lokalen Mitgliedern der JN und der rechtsextremen Kampfsport-Marke „White Rex“ aus Russland mit dessen Gründer Denis Nikitin (vgl. Störungsmelder).
Welchen Einfluss hat der Rechtspopulismus in Niedersachsen?
Hier gab es zunächst intensive Diskussionen nach der Vorstandswahl der „Jungen Alternativen Niedersachsen“. Hier wurde Lars Steinke zum neuen Vorsitzenden gewählt, der nicht nur Kontakte in die rechtsextreme Szene hat, sondern u.a. auch Anmelder der ersten Kundgebungen des „Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen“ war und insofern eine deutliche Scharnierfunktion zwischen rechtsextremer und rechtspopulistischer Szene hat. Nach seiner Wahl kam es zu einer Austrittswelle von Menschen, denen ein solcher Repräsentant doch nicht passend schien (vgl. Jetzt.de).
Der AfD-Landesverband Niedersachsen ist zutiefst zerstritten und macht vor allem durch sein Geplänkel um Machtpositionen von sich reden. Es gibt eine Gruppe um den Landesvorsitzenden Armin Paul Hampel (seit Sept. 2017 im Bundestag), die nachhaltig zerstritten ist mit den Anhänger_innen von Dana Guth, Fraktionsvorsitzende der Landtagsfraktion und Spitzenkandidatin der AfD zur Landtagswahl. Dies geht so weit, dass etwa ihr Kreisverband in Göttingen Dana Guth mehrfach aus der Kreistagsfraktion ausgeschlossen hat.
Im August hat im Städtischen Kulturzentrum in Oldenburg eine Veranstaltung des neurechten „Oldenburger Kreises“ mit dem neurechten Buchautor Karl-Heinz Weißmann stattgefunden, die ein ehemaliger Sprecher der AfD Oldenburg, jetzt Vorsitzender des „Oldenburger Kreises“organisiert hatte. Auch hier gab es vielfältige Proteste aus der demokratischen Zivilgesellschaft.
Bei der Bundestagwahl im September 2017 hat die AfD in Niedersachsen dann ein Ergebnis von 9,1 Prozent erzielt – hier wählten wohl etliche die AfD, die auf Bundesebene eine Repräsentation erhofften. Bei der Landtagswahl im Oktober erreichte die AfD dagegen nur 6,2 Prozent der Stimmen und sitzt nun mit 9 Abgeordneten im Landtag. Bisher verhalten sie sich unauffällig.
Im Dezember gab es dann noch den AfD-Bundesparteitag in Hannover, gegen den es trotz des sehr frühen Beginns und der Kälte große und vielfältige Gegenproteste gab. Und sie hielten selbst dann noch an, als die Polizei trotz klirrender Kälte Wasserwerfer gegen die Gegendemonstrant_innen einsetzte. Der umstrittene Einsatz ist aktuell Thema im Landtag.
Die Mobilen Beratung Niedersachsen gegen Rechtsextremismus für Demokratie im Internet:
http://www.mbt-niedersachsen.de/
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