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Jahresrückblick 2015, Hamburg: "Besorgte Eltern" und AfD stoßen auf Gegenwehr

Alle Jahre wieder blickt Belltower.news im Dezember auf die rechtsextremen Aktivitäten in den einzelnen Bundesländern zurück. Heute ist unser Thema: Hamburg. Die AfD konnte hier nicht marschieren, die "besorgten Eltern" stießen auf zivilgesellschaftliche Gegenwehr. Trotzdem gab es auch Bedrohungen und Angriffe auf Geflüchtete und auf (vermeintlich) mit Geflüchteten solidarische Menschen sowie rassistische Übergriffe.

Von Arbeit und Leben Hamburg, Projekte „Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Hamburg“ und „empower – Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“

In Hamburg war das Jahr geprägt von den zunehmenden rassistischen Mobilisierungen und Aktivitäten gegen Geflüchtete, ihre Unterkünfte und die Engagierten im Feld. In der Metropolregion kam es zu mehreren Brandanschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte, in Escheburg zündete ein Finanzbeamter eine Unterkunft an, in Boizenburg kam es nur kurz nach einem rassistischen Aufmarsch der von der NPD geführten MVgida zu einem Anschlag, im Kreis Stade wurden gleich zwei Unterkünfte angegriffen. In Hamburg selbst wurden an Unterkünften und in den Straßen drum herum wiederholt rassistische Schmierereien entdeckt. Einen regionalen Schwerpunkt stellte hierbei der Stadtteil Farmsen dar. Schon Ende 2014 wurde im Stadtteil Farmsen eine Demonstration gegen eine Unterkunft für Asylsuchende durchgeführt, Einzelpersonen versuchen vor Ort weiterhin – mit mäßigen Erfolg - AnwohnerInnen zu mobilisieren, es kam im Stadtteil zu Übergriffen auf und Drohungen gegen  Einzelpersonen, antifaschistische Strukturen und Orte. So wurde beispielsweise eine Gedenktafel, die an die Opfer der NS-Justiz erinnert, binnen weniger Monate wiederholt angegriffen, ein zum Gedenken der NSU-Opfer öffentlich gezeigtes Plakat mit Parolen beschmiert.

Das in diesem Jahr neu aufgebaute, unabhängige Projekt empower – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Hamburg stellt ein besorgniserregendes Ausmaß von Angriffen und Bedrohungen gegenüber Geflüchteten, MigrantInnen, People of Color sowie gegenüber JournalistInnen fest. Wie aus den Beratungsfällen deutlich wird, steigt das Gewaltpotential in Hamburg gefährlich an. Rassistische Positionen werden zunehmend auf verschieden Ebenen aggressiv geäußert und durch Gewalttaten umgesetzt. Rechte, rassistische Nachbarschaften rücken migrantische MieterInnen und Roma Personen in den Fokus ihre Anfeindungen und Angriffe. In öffentlichen Räumen werden Gewalttaten gegen Schwarze  Deutsche und  gegen muslimische BürgerInnen verübt.  JournalistInnen, Vereine und Initiativen werden mit Drohungen konfrontiert. Die Gefahr massiver Angriffe ist für Geflüchtete und viele Communities spürbar. In der Mehrheit der Fälle fehlen Unterstützung und Solidarisierungen von Personen vor Ort oder von der Zivilgesellschaft. Nicht selten werden Betroffene zu TäterInnen gemacht.

Auch die Aktivitäten gegen mit Geflüchteten (vermeintlich) solidarische Personen und Einrichtungen, nahmen insgesamt drastisch zu und wurden „kreativer“:  Der AStA einer Hamburger Hochschule bekam  „Post“, eine Mail, direkt an den AStA adressiert, in der auch Morddrohungen ausgesprochen werden. „Outing“-Plakate wurden in Hamburg-Wilhelmsburg geklebt, auf denen antifaschistisch engagierte Menschen abgebildet waren. Von einer anonymen Mailadresse aus wurden an die AnzeigenkundInnen  einer Hamburger Stadtteilzeitung Nachrichten verschickt, man möge Abstand davon nehmen in dem „linken Blatt“ Anzeigen zu schalten, Produkte und Dienstleitungen, die in dem Blatt beworben werden, würden nicht mehr gekauft. Im Namen des Bezirksamts Mitte wurden massenweise Mails an HamburgerInnen verschickt, die besagten, dass diese Geflüchtete aufzunehmen hätten. Auch das ein Fake.

Eine Demonstration der AfD unter dem Motto "Gegen das Politikversagen! Asylchaos stoppen!" konnte durch antifaschistischen Gegenprotest am Laufen gehindert werden.

Insgesamt unbeliebt ist die AfD in Hamburg allerdings nicht, zum ersten Mal überhaupt schaffte es die Alternative für Deutschland (AfD) bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg im Februar 2015  in ein westdeutsches Landesparlament. 6,1 Prozent der WählerInnenstimmen reichten für acht Mandate in der Bürgerschaft. Seitdem stellt die AfD regelmäßig kleine und große Anfragen an den Senat, von denen einige Titel hier exemplarisch genannt werden sollen:  „Asylbewerber, mohammedanische Kämpfer und die Terrorgruppe Islamischer Staat“, „Probleme der Hamburger Asyl- und Flüchtlingspolitik“, „Die Kulturbehörde als Partner von Musikgruppen aus dem antifaschistischen, extrem linken Spektrum auf dem MS Dockville Festival in Hamburg“ oder „Integration von Roma“, eine kleine Anfrage, die unter anderem danach fragt, ob „Mitglieder der Roma-Familien erkennungsdienstlich erfasst“ seien.

Die NPD Hamburg hingegen musste bei den Bürgerschaftswahlen  eine Niederlage einstecken. Lediglich 0,3 Prozent des Wahlvolkes entschieden sich für die von Lennart Schwarzbach geführte Truppe. Versuche im Vorfeld der Wahlen für Stimmen zu werben, wie im Januar mit einem Wahlkampf- Stand unter dem Motto "Asylbetrug ist kein Menschenrecht – Deutschland ist kein Einwanderungsland!" am Wandsbeker Markt oder im Februar 2015 mit einer Kundgebung „Deutschland ist kein Einwanderungsland. Multikulti: Tod-sicher" auf den Gänsemarkt – liefen ins Leere. Schon den Aufrufen folgten jeweils nur ca. 35 Personen, die GegendemonstrantInnen waren weit in der Überzahl.

In der öffentlichen Wahrnehmung präsent war das Thema Rechtsextremismus in Hamburg 2015 insbesondere einige Wochen vor dem 12. September, für den Neonazis und Hooligans  zu einer Demonstration durch die Hamburger Innenstadt unter dem Motto „Tag der deutschen Patrioten“ aufgerufen hatten. Bis zu 3000 TeilnehmerInnen  wurden erwartet. Wegen der zu erwartenden Ausschreitungen wurde die Demonstration untersagt. Auch in letzter Instanz, vor dem Bundesverwaltungsgericht, sind die Rechten gescheitert: Ihre Demonstration am 12. September 2015 in Hamburg blieb verboten. Nichts desto trotz versuchten am einige dutzend Neonazis nach Hamburg zu kommen, andere bemühten sich um eine Verlagerung der Demonstration – doch auch der Ersatzaufmarsch in Kirchweyhe wurde von der Polizei aufgelöst, in Hamburg selbst wurden die Neonazis von gut 20.000 GegendemonstrantInnen erwartet.  Sie waren dem Aufruf des „Hamburger Bündnis gegen Rechts“ gefolgt oder sammelten sich bei der Veranstaltung des Hamburger  Senats auf dem Rathausmarkt.

Abzuwarten bleibt, ob es die Rechten gerade wegen der erfahrenen Niederlage in Hamburg erneut mit einer Großdemonstration versuchen wollen, auszuschließen ist dies nicht. Öffentliche Auftritte der extremen Rechten sind in Hamburg aber nur sehr selten von Erfolg gekrönt – die antifaschistische Zivilgesellschaft begleitet sie. So auch den Auftritt des bundesweit aktiven Bündnisses "Besorgte Eltern", bestehend aus radikalen Christen, rechten Verschwörungstheoretikern und Homophoben, im Januar 2015. Gegen „Frühsexualisierung“ ging das Bündnis mit gut 100 Personen auf die Straße. Das Hamburger Aktionsbündnis „Vielfalt statt Einfalt“ mobilisierte nur wenige hundert Meter entfernt etwa 1000 Gegendemonstranten. Mit ähnlichen Zahlenverhältnissen ist auch bei der Veranstaltung am 5.12.2015 zu rechnen. Akif Pirinçci wird bei der extrem rechten Burschenschaft Germania sein neues Buch mit dem Titel „Die große Verschwulung – Wenn aus Männern Frauen werden und aus Frauen keine Männer“ präsentieren. Der Hamburger AStAs ruft zu einer antifaschistischen Demonstration anlässlich der Lesung des islamfeindlichen Hetzers auf.

Öffentliche Auftritte sind für 2016 auch in Hamburg durchaus zu erwarten – mehr Sorgen bereiten die oben beschriebenen subtileren Aktivitäten, die alltäglichen Angriffe auf Geflüchtete, auf mit ihnen solidarische Personen und Einrichtungen, die wohl weiter zunehmen werden.

 

Zu den Autor_innen:

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| Projekt „Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Hamburg“ 

| Projekt "empower – Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“

 

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