All der Hass und mehr im Netz: Die Engagierten von "Hellersdorf hilft" fühlen sich von den Sicherheitsbehörden allein gelassen. Bedroht wurden und werden sie hier in der Gruppe der Flüchtlingshasser*innen auf Facebook.
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Hetze in Hellersdorf: Wenn Engagement zu Bedrohung wird

Luisa Seydel engagiert sich in den aus einer Bürgerinitiative entstandenen Verein „Hellersdorf hilft“ seit 2013 für eine Willkommenskultur für Flüchtlinge. Das gefällt den Hellersdorfer Nazis genauso wenig wie die Flüchtlinge selbst. Bedrohungen sind permanenter Alltag. Doch die Polizei hatte für die Aktivist*innen wenige Ideen.

Sie engagieren sich bei „Hellersdorf hilft“. Von Anbeginn an gab es Nazi-Aktionen gegen das Hellersdorfer Flüchtlingsheim, zum Teil unter Beteiligung der Bevölkerung. Wie ist die Situation jetzt?

Große Mobilisierungen der Anwohner und Anwohnerinnen gelingen den Nazis derzeit nicht mehr. Aber es gibt einen harten rechten Kern, der sein Interesse an der Hetze nicht verloren hat – und das sind gerade die, die militant und gefährlich sind.

Wie sehen die Aktionen der Rechtsextremen aus?

Jeden Tag werden die Flüchtlinge abfotografiert – wenn sie in den Supermarkt gehen, wenn sie schwanger zum Arzt müssen, wenn die Kinder vor dem Heim spielen. Es ist eine Strategie der ständigen Bedrohung. Des Weiteren finden wir ständig Schnipsel mit „Nein zum Heim“-Aufdruck. Die Nazis hängen auch weiter Transparente am Heim auf. Es passieren aber auch schlimmere Dinge: Als wir letztens Kinder aus dem Flüchtlingsheim abgeholt haben, um zusammen auf ein Kinderfest zu gehen, haben Anwohner Eier auf die Kinder geworfen und ein Nazi hat tatsächlich ein kleines Kind aus der Gruppe angerempelt. Ein Kind!

Welche Auswirkungen haben die Nazi-Aktionen auf die Flüchtlinge?

Manche nehmen es locker, andere kriegen es nicht mit, aber viele haben auch Angst. Als wir etwa mit den Kindern zum Fest wollten, haben viele Eltern gesagt: Ich habe Angst um meine Kinder. Da draußen sind Nazis. Das finde ich so traurig. Und wir sind in der schwierigen Situation, dass wir die Nazi-Bedrohungen nicht verharmlosen wollen – aber natürlich wollen wir auch keine Panik schüren.

Welche Auswirkungen hat diese Situation auf die Engagierten in Hellersdorf?

Wenn wir durch Hellersdorf laufen, haben wir immer ein komisches Bauchgefühl. Ich drehe mich ständig drei Mal um. Ich lasse mich nicht einschüchtern, aber solche Bedrohungen beschäftigen einen schon. Als das Auto einer Pastorin angezündet wurde, nachdem sie abfotografiert wurde, als sie Spenden ins Flüchtlingsheim brachte, ist dies noch stärker der Fall.

Und dann gerieten Sie selbst ins Visier der Neonazis?

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat mich zur Arbeit von „Hellersdorf hilft“ interviewt – und ich habe zugestimmt, meinen richtigen Namen zu veröffentlichen. Natürlich war mir bewusst, dass etwas passieren kann – ich engagiere mich dort schon so lange, und es sind wirklich militante Neonazis. Ich dachte, ich bin vorbereitet. War ich aber nicht. Die Nazis haben mein Foto auf ihre Facebook-Seite mit über 6000 Followern gestellt, meine Arbeitsstelle veröffentlicht.  Im Sekundentakt liefen neue Kommentare ein, wie man mich töten will, vergewaltigen, dass ich unter die Erde gehöre. Man selbst liest das. Verwandte lesen das und rufen an, ob man noch lebt. Darauf war ich nicht vorbereitet.

Sie haben dann das Gespräch mit der Polizei gesucht?

Eigentlich hat das LKA das Gespräch mit uns gesucht. Sie wollten uns „sensibilisieren“. Für die Gefahrensituation sensibilisiert waren wir schon, wollten aber gern darüber reden, was wir jetzt tun können. Das Gespräch hat mich sehr desillusioniert. Wir wurden nicht ernst genommen, unsere Sorgen abgetan und die Situation verharmlost. Erst will die Polizei uns sensibilisieren, und dann sagen sie: Die Nazis sind nicht gefährlich. Ob die das Auto abgefackelt haben, sei noch gar nicht heraus. Die Morddrohungen auf Facebook könne man vernachlässigen, da würde viel geschrieben. Bisher hat die Polizei sich noch nicht einmal bemüht, mein Foto mit den Drohungen von Facebook entfernen zu lassen – es ist immer noch online. Ich kam aus dem Polizeigespräch und dachte: Wenn jetzt etwas passiert, wer soll uns dann noch helfen?

Was würden Sie sich von der Polizei wünschen?

Es wäre gut gewesen, wenn die Polizisten zugehört hätten, unsere Beobachtungen und Sorgen ernst genommen hätten. Ich hätte gern das Gefühl,  die Polizei sei auf unserer Seite. Es gab den „Nationalsozialistischen Untergrund“, und trotzdem scheint sich wenig geändert zu haben: Es gibt weiter militante Nazi-Strukturen, und die Polizei reagiert mit: Die waren nur besoffen, das sind doch nur Jugendliche… Ich verstehe auch nicht, warum nicht anders ermittelt wird: ich meine, wir wissen, wer die Nazis sind, die Antifa hat sie geoutet, Journalisten haben berichtet – warum kann die Polizei dann nicht reagieren?

 

Beratungen und Hilfe finden Aktivist*innen 

bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin
| www.mbr-berlin.de
| www.berlin-gegen-nazis.de

Mehr im Internet:

| "Hellersdorf hilft" bei Facebook
| Blog von "Hellersdorf hilft"

 

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