Gibt es eine wachsende „Deutschfeindlichkeit“?

Rechtsextreme und Rechtspopulisten redeten jetzt so lange von "Deutschenfeindlichkeit", dass der Begriff es sogar bis in seriöse Medienberichte geschafft hat. Doch welches Phänomen soll damit eigentlich beschrieben werden?

Von Lorenz Korgel

Die Abwertungen anderer Gruppen und menschenverachtende Einstellungen sind in europäischen Gesellschaften und insbesondere in der deutschen Gesellschaft nichts Ungewöhnliches.

So haben Forscherinnen und Forscher der Universität Bielefeld beispielsweise in einer großen europa-weiten Befragung (PDF-Download) herausgefunden, dass 24,4 % der Europäer einen zu großen Einfluss der Juden in ihrem Land annehmen. 54,4 % der Europäer glauben, dass der Islam eine Religion der Intoleranz ist. Fast ein Drittel (31,3 %) der Europäer stimmen eher oder voll und ganz zu, dass es eine „natürliche Hierarchie zwischen Schwarzen und Weißen“ gibt. Die Mehrheit der Europäer von 60,2 % befürwortet traditionelle Geschlechterrollen und 42,6 % beurteilen Homosexualität als „unmoralisch“.
Solcherlei Einstellungen wurden in verschiedenen Studien (PDF-Download) auch für Deutschland nachgewiesen. So wollen 50 % der Menschen in Deutschland nicht mit „Türken“ in einem Haus wohnen, 46 % fühlen sich „provoziert“, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen und 26 % sind der Auffassung, dass schwarze Menschen „nicht nach Deutschland passen“.

Sich diese Zahlen vor Augen zu führen ist wichtig, um das Phänomen der sogenannten „Deutschfeindlichkeit“ richtig einordnen zu können. Die Abwertung von Gruppen und die Grenzziehung eigener Identitäten entlang dieser Abwertungen ist ein fester Bestandteil aller europäischen Gesellschaften. Insbesondere Jugendliche bilden Gruppenidentitäten über die Abgrenzung gegenüber anderen und bestätigen diese Grenzziehungen mit Hilfe von Vorurteilen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass auch Einwanderer und ihre Kinder Vorurteile und Stereotype gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen formulieren und ausleben.

Zur sogenannten „Deutschfeindlichkeit“ liegen indes nur sehr wenige gesicherte Erkenntnisse vor. Bislang stützen sich die Beschreibungen des Problems meist auf Zeitungsberichte über einzelne Beschimpfungen und Übergriffe. Eine Studie (PDF-Download) des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen gibt Hinweise auf feindliche Handlungen von jugendlichen Migrantinnen und Migranten gegenüber Deutschen, „weil sie Deutsche sind“. Auf der Einstellungsebene scheint eine Feindlichkeit gegenüber Deutschen dagegen nicht nachweisbar zu sein. Im Gegenteil: die Frage, ob Deutsche als Nachbarn akzeptiert sind, ergibt bei jugendlichen Migrantinnen und Migranten einen Mittelwert und bei türkischen Jugendlichen eine überdurchschnittliche Befürwortung. Eine andere Studie (PDF-Download), die im Auftrag des Bundesinnenministeriums nach Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politisch-religiös motivierter Gewalt unter jungen Muslimen geforscht hat, kommt zu dem Ergebnis, „dass ein signifikant höheres Maß an Autoritarismus und Demokratiedistanz junger Muslime im Vergleich zu einheimischen Nichtmuslimen nicht nachzuweisen ist.“ Insofern sind gravierende Unterschiede zwischen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und eingewanderten Minderheiten nicht belegt.

Wenn Menschen mit Migrationshintergrund andere Menschen auf Grund ihrer Gruppenzugehörigkeit ablehnen, ist das ein Problem. Daran muss gearbeitet werden, genauso wie an den menschenverachtenden Einstellungen in der gesamten Gesellschaft. In Berlin geschieht dies mit zahlreichen Präventionsmaßnahmen. Dass menschenverachtende Einstellungen vollständig verschwinden, ist dennoch unwahrscheinlich. In Berlin ist es aber in den vergangenen Jahren gelungen, eine politische Kultur zu schaffen, in der Ideologen und „Unternehmer des Hasses“ fern davon sind, mehrheitsfähig zu werden.

Zum Weiterlesen:

Baier, D. / Pfeiffer, C. / Simonson, J. & Rabold, S.: Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt : Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN (KFN-Forschungsbericht; Nr.: 107). Hannover 2009. (PDF-Download)

Brettfeld, Katrin / Wetzels, Peter: Muslime in Deutschland - Integration, Integrationsbarrieren, Religion sowie Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politisch-religiös motivierter Gewalt. Hamburg 2007. (PDF-Download)

Flaig, Berthold Bodo: Diskriminierung im Alltag. Wahrnehmung von Diskriminierung und Antidiskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft. Ein Forschungsprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2008. (PDF-Download)

Zick, Andreas/Küpper, Beate: Europäische Zustände. Ergebnisse einer Studie über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Europa. Eine Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld 2009. (PDF-Download)

Dieser Text gehört zum Internet-Special "Schlagworte der Integrationsdebatte" des Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

| Schlagworte der Integrationsdebatte - und was dahinter steckt

Integrationsverweigerung, Bildungsmisere, Parallelgesellschaft – die Integrationsdebatte wird stark mit Schlagworten geführt. Als Beitrag für die Debatte haben die Verantwortlichen der Fachbereiche im Team des Berliner Integrationsbeauftragten im Folgenden Anmerkungen zu den häufigsten Schlagworten zusammengestellt.

Mehr im Internet:

| Deutschenfeindlichkeit - was soll das sein?
(mut-gegen-rechte-gewalt.de)

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