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Gender und Rechtsextremismusprävention

Bislang finden genderpolitische Aspekte in der Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus kaum Berücksichtigung. Sowohl in Theorie als Praxis gibt es hier eine Leerstelle. Der neu erschienene Band "Gender und Rechtsextremismusprävention" will einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen.

Von Alice Lanzke

Unpolitische Mitläuferinnen, harmlose Zaungäste, unauffällige Randerscheinungen: Die Rolle von Frauen in der rechtsextremen Szene wurde lange Zeit wenig beachtet, stattdessen galt die Gleichung "Nazi = jung und männlich". Seit der Selbstenttarnung des NSU und der (medialen) Aufmerksamkeit für Beate Zschäpe ändert sich das Bild allerdings allmählich. Mehr und mehr wird akzeptiert, dass Frauen für die extreme Rechte eine entscheidende Rolle spielen: "Ohne das Engagement von Mädchen und Frauen würde die extreme Rechte weder lebensweltlich noch ideologisch funktionieren: sie sind aktiver Part in Skinheadgruppen, Kameradschaften, extrem rechten Parteien und Terrorgruppen", heißt es dazu in einem offenen Brief des Forschungsnetzwerks "Frauen und Rechtsextremismus". Extrem rechte Frauen handelten ebenso wie ihre männlichen Kameraden gewalttätig und aus politischer Überzeugung. Sie seien mitnichten als das "friedfertige Geschlecht" anzusehen, als das sie mitunter dargestellt würden.

Bei Gender geht es allerdings mitnichten um die Beachtung rechter Frauen. Vielmehr ist bislang auch die Orientierung an traditionellen Männlichkeiten wie zum Beispiel Wettbewerb sowie Dominanz- und Gewalthandeln im öffentlichen wie im pädagogischen Diskurs aus dem Blick geraten. Die Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung zeigt sich auch in der Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus: Genderpolitische Aspekte werden hier in der Regel nicht berücksichtigt. "Es existieren kaum Ansätze, Rechtsextremismusprävention mit Mädchen- und Jungenarbeit zu verbinden", stellt auch Heike Radvan von der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung fest. Sowohl in der Praxis als auch in der Theorie gebe es eine Leerstelle. Dabei sei gerade für die Sensibilisierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eine entsprechende Sensibilisierung notwendig.

Zu allen Zeiten

Die beobachtete Leerstelle ist eine der zentralen Motivationen für das neue Buch "Gender und Rechtsextremismusprävention". Der Sammelband teilt sich inhaltlich in drei Teile: Zunächst wird das Thema aus der Praxis hergeleitet, gefolgt von einer Analyse des Feldes Gender und Rechtsextremismus. Den Abschluss bilden Ansätze für die pädagogische und zivilgesellschaftliche Praxis.

Bei der Buchvorstellung betonte die Erziehungswissenschaftlerin Juliane Lang, dass Frauen im Rechtsextremismus oft übersehen und ihre Organisationen kaum Beachtung finden würden. "Dabei finden sich Mädchen und Frauen zu allen Zeiten im modernen Rechtsextremismus seit 1945 wieder – wenn auch unterschiedlich sichtbar."

Konstruktion von Männlichkeit

Mitautor Ulrich Overdieck ergänzte, dass Rechtsextremismus meist als männliches Phänomen dargestellt würde: "Rechtsextreme Gewalt steht meist als Gewalt von jungen Männern im Fokus des öffentlichen Interesses." Auch für die extreme Rechte selbst sei Männlichkeit eine Selbstverständlichkeit – doch wie  wird Männlichkeit in den Diskursen der extremen Rechten konstruiert? Dieser Frage widmet sich Overdiecks Beitrag in dem Sammelband – sie wurde bislang von der Forschung eher vernachlässigt.

Eine Zuspitzung von Männlichkeit in der extremen Rechten beobachtet auch Olaf Stuve, Diplom-Soziologe und Bildungsarbeiter bei Dissens e.V. – dabei sei diese Zuspitzung allerdings nicht nur dort zu beobachten: Entsprechende Zuschreibungen und Konstruktionen reichten bis in die Mitte der Gesellschaft.

Doppelte Unsichtbarkeit

Die Verbindung zur Praxis stellte Esther Lehnert bei der Buchvorstellung her: Sowohl Mädchenarbeit als auch Rechtsextremismusprävention seien Sonderprogramme, die keine Regelfinanzierung erhielten. Außerdem gebe es neben "Lola für Lulu" und kleineren Projekten keine entsprechenden Angebote. Generell spricht Lehnert im Zusammenhang von Rechtsextremismus und Gender von einer doppelten Unsichtbarkeit der Frauen. Rechtsextreme Frauen würden innerhalb der Szene keine Frontstellung einnehmen, seien aber sehr wohl ideologisch gefestigte Täterinnen. Von außen würden sie oft nicht als gefährlich bewertet und viel seltener als Männer vor Gericht gebracht.

Die Genderperspektive in der Präventionsarbeit ist umso wichtiger, da die neonazistische Szene bewusst rechtsextreme Frauen dazu aufruft, in den pädagogischen Bereich zu gehen. "Neonazistische Gruppierungen gehen durchaus strategisch damit um, dass Frauen mit ihren rechten Ideologien und Einstellungen weniger als solche erkannt werden", erklärt Heike Radvan im Interview mit der "Thüringer Landeszeitung". Die NPD habe jungen Frauen dazu aufgerufen, in soziale Berufe zu gehen. "Das ist damit verbunden, dass diese Frauen Einfluss gewinnen sollen auf Kinder und Jugendliche", so Radvan weiter. Lehrende an Fachhochschulen beobachteten diese Entwicklung, aber auch Erzieherinnen und Erzieher in Kitas: Es gebe durchaus Mütter, die sich in rechten Szenen engagieren und dies strategisch auch im Elternbeirat der Kita machen. Radvan betont: " Um präventiv mit Mädchen und jungen Frauen zu arbeiten, wäre es zu allererst wichtig, mehr Aufmerksamkeit für deren Einstellungen zu haben: Wenn Pädagoginnen und Pädagogen Mädchen mit ihren Meinungen wahr- und ernstnehmen und hierauf reagieren, dann ist ein erster wichtiger Schritt getan."

"Gender und Rechtsextremismusprävention"

Amadeu Antonio Stiftung/Heike Radvan (Hrsg.)

296 Seiten

Metropol Verlag 2013

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Fachstelle Gender und Rechtsextremismus

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