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Alter Rassismus in neuem Gewand: Die "Neue" Rechte

Was ist die "neue" Rechte, und was ist an ihr so neu? Wer sind die Protagonist*innen und Netzwerke? Welche Strategien nutzen sie? Und was könne wir tun, wenn wir ihnen begegnen?

 

Von Stefan Lauer

 

Die „neue“ Rechte auf der Buchmesse 2017: Ein Rückblick

Die Frankfurter Buchmesse 2017 hat gezeigt, was passiert, wenn den „neuen“ Rechten ein Raum geboten wird – sie versuchen ihn mit allen Mitteln zu besetzen. Obwohl sie ohnehin eine große Medienaufmerksamkeit genossen, drängten
sie sich in laufende Interviews und störten Veranstaltungen. Sie belagerten den Stand der Amadeu Antonio Stiftung und bedrängten Mitarbeitende durch ständige Foto- und Filmaufnahmen und demonstrative Drohgebärden. 

Trotz ihres aggressiven Auftretens inszenierten sich die „neuen“ Rechten selbst permanent als Opfer einer vermeintlichen Einschränkung der Meinungsfreiheit. In ihrem Umfeld versammelte sich in Frankfurt sowohl die rechtsextreme Identitäre Bewegung, als auch die Kameradschaftsszene sowie einschlägig bekannte Neonazis. Für diese Szene wurde die Buchmesse zum Event. Auf dem Programm standen Lesungen der Identitären ebenso wie die des Autors Akif Pirinçci, der erst kurz zuvor wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Extrem rechte Verlage haben die Buchmesse damit nicht nur als Plattform genutzt,  um ihre Publikationen vorzustellen. Sie inszenierten die Veranstaltung als Bühne und besetzten offensiv und selbstbewusst Räume. Höchste Zeit, genauer hinzuschauen – und aktiv zu werden! 

 

Was ist die "Neue Rechte"?

Die „neue“ Rechte – eine Selbstbezeichnung – will sich von der „alten“ abgrenzen und beruft sich auf die sogenannte „Konservative Revolution“ – rechtsnationale Intellektuelle aus der Vor- und Zwischenkriegszeit, die als Vordenker des Nationalsozialismus gelten. Die „neue“ Rechte gibt sich intellektuell. Bei genauerem Hinschauen sind die Unterschiede zum klassischen Rechtsextremismus verschwindend gering: Wo die einen „Ausländer raus“ grölen, raunen die
anderen von der „Remigration“. Gemeint ist dasselbe. Ähnlich sieht es bei anderen Themen aus. Die „neue“ Rechte steht für Flüchtlingsfeindlichkeit, Antifeminismus, Islamfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit und ist in Teilen antisemitisch. Ob unfreiwillig oder nicht, hat Thilo Sarrazin mit Büchern wie „Deutschland schafft sich ab“ viele Ideen der „neuen“ Rechten salonfähig gemacht. Über die rechtspopulistische AfD gelangen zentrale Ideen mittlerweile in fast alle Länderparlamente und in den Bundestag.

 

 Wer sie sind: Das „neurechte“ Netzwerk 

 

Götz Kubitschek (*1970)

Der Chef und Gründer des > Antaios Verlages gilt als Stichwortgeber für > Björn Höcke. Kubitschek war u. a. mit Dieter Stein, Gründer und Chefredakteur der > Jungen Freiheit, in der Studentenverbindung „Deutsche Gildenschaft“, die dem völkischen Nationalismus zugerechnet wird. Er ist Mitbegründer des > Instituts für Staatspolitik. Zudem unterstützt er die rechtsextreme Initiative > EinProzent. 

„Wozu sich auf ein Gespräch einlassen, auf eine Beteiligung an einer Debatte? Weil Ihr Angst vor der Abrechnung habt, bittet Ihr uns nun an einen Eurer runden Tische? Nein, diese Mittel sind aufgebraucht, und von der Ernsthaftigkeit unseres
Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht.“

– Götz Kubitschek in „Die Spurbreite des schmalen Grats“, Antaios 2016 –

 

Ellen Kositza (*1973)

Die Journalistin und Verlegerin ist mit > Götz Kubitschek verheiratet. Sie publiziert in der > Jungen Freiheit und der Zeitschrift > Sezession des > Instituts für Staatspolitik. In ihren Texten setzt sie sich für die Aufwertung
traditioneller Frauen- und Männerrollen ein. Außerdem polemisiert sie gegen Islam, Gender, Geflüchtete und politische Gegner*innen.

„Das Frauenbild der hier ankommenden Kulturbereicherer und Fachkräfte ist schwer vereinbar mit den europäischen Traditionen des Geschlechterumgangs.“

– Ellen Kositza in einem Video zu ihrem Buch „Die Einzelfalle“ auf YouTube, 2016 –

 

Martin Sellner (*1989)

Er gilt als Kopf der deutschsprachigen Sektionen der rechtsextremen > Identitären Bewegung (IB). Mittlerweile ist Sellner Co-Leiter der IB Österreich und propagiert eine jugendaffine Variante rechtsextremer Gesinnung

„Ich verstehe vollkommen, dass die Leute in den 1920ern gesagt haben, dass es eine ‘Judenfrage’ gab. Das ist vergleichbar mit der heutigen islamischen Migration.“ 

– Martin Sellner in der Reportage „Undercover: Inside Britain’s New Far Right“, 2017 –

 

Björn Höcke (*1972)

Der Gymnasiallehrer und Fraktionsvorsitzende der AfD Thüringen gilt als wichtigster Vertreter des völkisch-nationalistischen Flügels der AfD, der seine Treffen auch in Schnellroda bei > Götz Kubitschek abhält. Höcke vertritt rassistische und
geschichtsrevisionistische Positionen.

„Unser liebes Volk ist im Inneren tief gespalten und durch den Geburtenrückgang sowie die Masseneinwanderung erstmals in seiner Existenz tatsächlich elementar bedroht.“

– Björn Höcke in einer Rede in Dresden am 17. Januar 2017 –

 

Jürgen Elsässer (*1957)

Der einst linke Publizist propagiert heute eine Querfront-Volksbewegung (Verschmelzung linker und rechter Interessen) und ist zu einer führenden Stimme im extrem rechten Spektrum aufgestiegen. Er ist Gründer und Chefredakteur des Magazins
> Compact und des gleichnamigen Online-Portals.

„Aufgabe der oppositionellen Medien ist, zum Sturz des Regimes beizutragen – und da gehen wir Schulter an Schulter.“ 

– Jürgen Elsässer auf einer Bühne der Leipziger Buchmesse 2018, neben ihm saß Verleger Götz Kubitschek –

 

Die Identitäre Bewegung (IB)

ist, anders als der Name vermuten lässt, keine Bewegung, sondern eine in mehreren europäischen Ländern vertretene rechtsextreme Organisation, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Durch medienwirksame Aktionen will
sich die IB ein hippes Image geben, um sich zumindest äußerlich von altbackenen Neonazis abzugrenzen und so ein junges Publikum anzusprechen. Zwar scheint die Verpackung modern, doch die Inhalte bleiben klassisch rechtsextrem: Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus. Ihre Führungsfiguren in Deutschland kommen zum Beispiel aus der NPD-Jugend, aus radikalen Burschenschaften und aus der verbotenen Neonaziorganisation Heimattreue Deutsche Jugend. Die IB hat rund 500 Unterstützer*innen in Deutschland, wovon nur etwas über 100 aktive Mitglieder sind.
 

Der Antaios-Verlag

ist neben dem > Institut für Staatspolitik (IfS) und der Zeitschrift > Sezession (Theorieorgan des IfS) die dritte „neurechte“ Institution in der Verantwortung von > Götz Kubitschek. Gegründet wurde der kleine völkisch-nationale Verlag im Jahr 2000 in Schnellroda. Ziel ist es, die „neue“ Rechte mit ideologischem und theoretischem Rüstzeug zu versorgen. Hier finden sich Bücher der Vordenker der „neuen“ Rechten, Anleitungen, um ein identitäres Leben zu führen und allerlei Hetzschriften gegen den Islam und Feminismus. Den bisher größten Erfolg erzielte der Verlag mit dem antisemitischen Bestseller „Finis Germania“ von Rolf-Peter Sieferle.
 

Das Institut für Staatspolitik (IfS)

wurde u. a. von > Götz Kubitschek im Jahr 2000 gegründet. Ziel des neurechten Thinktanks ist es, Rechtsaußen-Diskurse gesellschaftsfähig zu machen. Das IfS veranstaltet Vorträge rechtsextremer Referent*innen, schult(e) NPD-Kader sowie andere rechtsextreme Personen und dient der Szene als Kaderschmiede.

EinProzent

ist eine im April 2016 gegründete Initiative der „neuen“ Rechten. Der Widerstand gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung soll durch EinProzent gebündelt werden, um so rechtsextreme Kampagnen wie z. B. Aktionen der > Identitären Bewegung gegen Geflüchtete auf dem Mittelmeer durch deren Finanzierung zu ermöglichen. Aktiv sind hier bekannte Strategen der „neuen“ Rechten, u. a. > Götz Kubitschek und > Jürgen Elsässer. Als Vorsitzender fungiert Philip Stein, ein junger Verleger und Burschenschaftler, der bereits bei einer AfD-Veranstaltung im Reichstag auftrat.
 

Compact

hat sich sowohl mit seinem Online-Portal als auch der Print-Ausgabe von einem Querfront-Magazin zum Sprachrohr für das Politikverständnis der AfD und Pegida und der „neuen“ Rechten entwickelt. Compact verbreitet Verschwörungstheorien, islamfeindliche, antifeministische, homo- und transfeindliche Inhalte. 
 

Die Junge Freiheit

eine Wochenzeitung aus Berlin, hat eine Auflage von ca. 36.000 Exemplaren. Der Historiker und Rechtsextremismusexperte Volker Weiß sieht die Junge Freiheit als ideologisches und organisatorisches Mutterschiff der „neuen“ Rechten der vergangenen 30 Jahre an. Gründer und Chefredakteur ist Dieter Stein. Im Gegensatz zur eher einfach gestrickten > Compact, will die Junge Freiheit ein intellektuell-bürgerliches Publikum ansprechen.

 

Was sie tun: Ihre Strategien 

Die Vertreter*innen der „neuen“ Rechten wollen die Errungenschaften der liberalen Gesellschaften abschaffen. Dabei machen sie sich genau diese zunutze, um Räume für sich zu beanspruchen. Die „neue“ Rechte arbeitet mit passenden Angeboten
für alle Zielgruppen. Mit dem schon sprichwörtlich gewordenen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, nutzen sie die Meinungsfreiheit, um Rassismus, LSBTIQ*-Feindlichkeit und Antisemitismus zu normalisieren. Auf der Straße treten sie
dabei mit Stickern, Flashmobs, Protestaktionen und Demonstrationen in Erscheinung. Zentral ist für die „neuen“ Rechten der digitale Raum. Allein die Facebookseite der AfD im Bund hat über 420.000 „Likes“ (Stand: September 2018). Jüngere Interessent*innen werden von der rechtsextremen > Identitären Bewegung (IB) mit zeitgemäßen und gut produzierten Videos bedient.

Dazu kommen Junge Freiheit und Compact. Die „neue“ Rechte ist auf allen Kanälen aktiv. Auch in den Parlamenten nimmt sie über ihren parlamentarischen Arm aus Teilen der AfD Raum ein: Die Partei nutzt besonders gerne parlamentarische
Anfragen, um die Arbeit demokratischer Institutionen zu binden, gleichzeitig zivilgesellschaftliche Akteure unter Druck zu setzen und ein Bedrohungsszenario gegenüber Migrant*innen, LSBTIQ* und anderen Menschen aufzubauen, die nicht ins
eigene Weltbild passen. Die rechten Akteure sind dabei gut miteinander vernetzt. Insbesondere die Initiative > EinProzent will eine Art rechtsextreme Einheitsfront von Neonazis, über völkische Siedler bis hin zum „gemäßigten“ Teil der AfD schaffen. 

 

Was sie denken: Zentrale Begriffe der „neuen“ Rechten

Ethnopluralismus

Wo die NPD brüllt „Deutschland den Deutschen“, ruft die „neue“ Rechte nach „Ethnopluralismus“ – gemeint ist dasselbe. Das „Volk“ meint nach diesem nationalistischen Konzept nicht die Bevölkerung eines Staates, sondern wird stattdessen mit „Ethnie“ gleichgesetzt. Jedes „Volk“ hätte eine vermeintlich unveränderliche kulturelle Identität, so die Argumentation der „neuen“ Rechten. Diese müsse vor „fremden“ Einflüssen geschützt werden. Deshalb sollten „Völker“ sich strikt voneinander abgrenzen und auf innere Homogenität achten. Dieser „Rassismus ohne Rassen“ führt zu Ausgrenzung und Gewalt gegen Migrant*innen: Alle Menschen, die nicht dem „Volk“, also der imaginierten eigenen Ethnie angehören, müssten das Land verlassen.

 

Metapolitik

Dieser philosophische Begriff der Staatslehre wird von der „neuen“ Rechten als der Kampf um die kulturelle Hegemonie verstanden: Um ein vorherrschendes politisches System zu „überwinden“, will die rechte Szene auch über den politischen Bereich hinaus aktiv werden. Man müsse zunächst in die Zivilgesellschaft eindringen, die Grenzen des Sagbaren verschieben und rechte Positionen in der Öffentlichkeit normalisieren. Im Rahmen einer Strategie des „Kulturkampfes“ und der „Konservativen Revolution“ werden Zeitschriften verlegt, Institute aufgebaut und Verlage gegründet, um so meinungsbildend im öffentlichen Raum zu wirken und Diskurse zu besetzen und zu ändern. 

 

Reconquista

Der historisch umstrittene Begriff bezeichnet die Rückeroberung der arabisch besetzten iberischen Halbinsel durch christliche Königshäuser ab dem Jahr 722. Am Ende der historischen „Reconquista“ war Spanien allerdings nicht nur von der muslimischen Herrschaft befreit, sondern zwang auch alle Juden und Jüdinnen zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Die „neue“ Rechte nutzt „Reconquista“ heute als Kampfbegriff, um zu implizieren, dass Deutschland von Muslim*innen und dem Liberalismus besetzt sei und zurückerobert werden müsse. 

 

„Umvolkung“ / „Der große Austausch“

Diese Verschwörungserzählung imaginiert einen staatlich organisierten oder zumindest geduldeten Bevölkerungsaustausch der „Stammbevölkerung“ durch Migrant*innen. Dabei verbinden die rechten Akteure antimuslimischen Rassismus mit antisemitischen Stereotypen. Damit wollen sie ihre Menschenfeindlichkeit und ihren Hass theoretisch begründen und rechtfertigen. Häufig wird eine jüdische Verschwörung als Strippenzieherin des angeblichen Bevölkerungsaustauschs.

 

Was tun?

Solidarisieren 
Immer und überall als erstes: Mit Personen solidarisieren, die von diskriminierenden und menschenverachtenden Anfeindungen betroffen sind. 

Analysieren 
Rechtspopulistische, nationalistische Positionen und Akteur*innen im eigenen Umfeld erst einmal einschätzen: Wie agieren sie, wie argumentieren sie, welche Inhalte vertreten sie, wer ist Teil des Netzwerkes, was sind ihre Strategien?

Positionieren
Das Wichtigste im Umgang mit Rechtspopulist*innen ist die eigene Haltung: Wofür stehe ich/stehen wir, wie will ich leben, in was für einer Gesellschaft? Dies sollte stets offensiv nach außen vertreten werden, statt sich an den Rechtspopulist*innen und deren Themen abzuarbeiten.

Widersprechen
Ob im eigenen Verein, im Gespräch mit Nachbar*innen oder der Vorsitzenden einer rechtspopulistischen Partei: Bei Positionierungen, die Sie als falsch oder gar menschenverachtend erachten, gilt es zu widersprechen. Nicht immer geht es darum, den oder die Gegenüber zu überzeugen. Wichtiger ist oft, gegenüber Umstehenden, die unsicher sind, deutliche Positionierungen und eine klare Haltung zu zeigen.

Demokratie verteidigen
Ein demokratisches, offenes Weltbild spricht nicht automatisch für sich. Für eine solidarische Gesellschaft muss gestritten werden. Demokratische Streitkultur muss wieder gelernt werden. Andere Positionen sind selbstverständlich legitim und wichtig. Jedoch gibt es Grenzen. Die Menschenrechte müssen stets Grundvoraussetzung für den demokratischen Diskurs sein. Diese Grenzen des Sagbaren sind dort erreicht, wo Menschen aus rassistischen Gründen ausgegrenzt werden. Genau diese Grenzen haben Vertreter*innen der „neuen“ Rechten schon lange überschritten.

Spenden Sie für die Amadeu Antonio Stiftung
Unterstützen Sie unseren Fonds für Projekte gegen Rechtsextremismus: Wir setzen uns für eine starke Zivilgesellschaft mit einer klaren Haltung ein – ohne Wenn und Aber!

 

 

Diesen Text gibt es auch als Flyer - so wird er aktuell auf der Frankfurter Buchmesse 2018 verteilt. Hier der Flyer zum Download:

http://www.belltower.news/files/aas_flyer_neuerechte.pdf

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