Die Initiative Romane Romnja will die Vielfalt von Sinti- und Roma-Frauen sichtbar machen.
Romane Romnja

AGORA-Netzwerk für Sinti- und Roma-Frauen: Antidiskriminierungs-, Informations- und Empowerment-Arbeit

Die sogenannte Mehrheitsgesellschaft betrachtet sie oft klischeehaft statt differenziert. In der eigenen Communitiy werden politische Arbeit und Emanzipation recht kritisch betrachtet. Es gibt etliche Gründe für Sinti- und Roma-Frauen, sich zu organisieren, gemeinsam weiterzubilden und die Stimme in der Gesellschaft zu erheben. Dabei hilft die Initiative "Romane Romnja", dass jetzt das "AGORA - Netzwerk für Sinti und Roma-Frauen in Deutschland" ins Leben gerufen hat. 

Gordana Herold ist die Initiatorin der Initiative„Romane Romnja“ und des „AGORA – Netzwerks für Sinti und Roma-Frauen in Deutschland“. Mit ihr sprach Simone Rafael.

Sie sind ein Netzwerk für Sinti- und Roma-Frauen in Deutschland. Wer ist bei Ihnen aktiv?

Das Netzwerk AGORA ist aus der Arbeit der Initiative „Romane Romnja“ entstanden. „Romane Romnja“ ist in verschiedenen deutschen Städten aktiv, etwa in Köln, Wuppertal, Münster, Gronau, Bielefeld und Hamburg. „AGORA“ verstehen wir als bundesweites Informationsportal zum Thema – denn es gibt bisher noch keines. Zum Netzwerk gehören Sinti- und Roma-Frauen, aber auch Sympathisant*innen der Roma-Kultur und der Frauenrechte.Wir möchten aber als Frauen berücksichtigt werden und thematisieren die Mehrfach-Diskriminierung, die wir als Frauen und als Sinti und Roma erfahren. Wir machen Antidiskriminierungs-, Informations- und Empowerement-Arbeit.

Wie sieht diese Mehrfach-Diskriminierung aus?

Es gibt das Klischeebild der Sinti- und Roma-Frau in der Gesellschaft, das seit Jahrhunderten über die  Literatur und Kunst vermittelt wird und weiter existiert. Auch die Medien präsentieren sehr oft dieses Klischee: Die Frauen tragen lange Röcke und weite Dekolletees, tanzen gut, gehen hausieren, betteln, und haben viele Kinder. Das ist eine Pauschalisierung aller Frauen einer gesamten Minderheit und ein abwertendes Frauenbild.

Dann sind Sinti- und Roma-Frauen auch innerhalb der eigenen Minderheit als Frauen diskriminiert. Das traditionelle Familienbild weist den Sinti- und Roma-Frauen den „Platz am Herd“ zu, Emanzipation und politische Teilhabe von Frauen wird in der eigenen Community eher behindert als unterstützt.

Ist es schwierig, Mitstreiterinnen zu finden?

Viele Frauen sagen uns: Wir finden eure Arbeit toll, aber ich kann nicht oder ich darf nicht bei Euch mitmachen. Viele haben mit ihrem Leben so viel zu tun, dass ihnen die Kraft fehlt, gegen solche Barrieren anzugehen. Wir machen absolute Aufbauarbeit, wenn wir sie trotzdem ansprechen. Am Anfang dachten wir ja, die männlichen Roma-Menschenrechts-Aktivisten würden uns in unserem Anliegen unterstützen und etwa ihre Frauen ermutigen, bei uns aktiv zu werden – aber nicht einmal das ist der Fall. Oft heißt es lapidar, sie hätten „keine Lust“ oder „ keine Zeit“. Vielleicht ist das so – vielleicht aber auch nicht.

Was hilft gegen Diskriminierungen?

Vor allem sehe ich ein großes Informationsdefizit über Sinti und Roma. Wenn ich von einem Thema nicht viel weiß, bastele ich mir selbst Theorien zusammen, die aber vielleicht auf völlig falschen Wahrnehmungen basieren – das ist fatal. Wir versuchen, selbst Informationen zu verbreiten und auch Einfluss auf Verantwortliche in Politik und Medien zu nehmen, damit diskriminierende oder falsche Darstellungen richtiggestellt werden.. So gibt es natürlich Fehlverhalten auch von Menschen innerhalb der Minderheit der Sinti und Roma – aber das wird selten so differenziert dargestellt, sondern immer alle angeprangert. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass mehr Menschen aus der Minderheit selbst zu Wort kommen und nicht immer nur über sie geschrieben wird. Neben den Politker*innen und den Medien wollen wir natürlich auch die Mitte der Gesellschaft erreichen, in dem wir versuchen Mitbürger im Stadtteil zur Begegnung, zum Dialog einzuladen, wir gehen mit unseren verschiedenen Veranstaltungen in die Stadtteile und wollen dort vor Ort informieren.

Wie sieht Ihre Arbeit praktisch aus?

Wir möchten nicht nur ein Netzwerk von einer Handvoll Akademikerinnen oder „Vorzeige-Roma-Frauen“ sein, sondern möglichst viele erreichen, auch diejenigen, die etwa keine Schulbildung haben oder auch Sprachbarrieren haben. Deshalb haben wir mit Kooperationspartnern wie etwa der Caritas Frauengruppen vor Ort aufgebaut, bei denen wir unsere Frauen ganz niederschwellig ansprechen: über gemeinsame Kochgruppen, Sportangebote, Kunst und Literaturangebote, Sprachkurse, Alphabetisierungskurse, Stadtführungen, Museumsbesuche, Fotoshooting, Gesundheitstage und Wellness Tage. Wir laden verschiedene Referentinnen und Referenten der Stadtverwaltung und verschiedener Träger ein, die die Frauen über die Struktur, Aufgaben und Angebote der Stadt informieren, damit die Frauen sich besser orientieren können in ihrem Alltag ohne fremde Hilfe. Wir wollen nicht die Frauen an die Hand nehmen und hinter uns her ziehen, sondern die Frauen gut informieren, damit sie selbst  die Hürden des Alltags, der Bürokratie bewältigen können. Wir haben erste Erfolge. Wir haben schon einige Frauen aus unseren Frauengruppen so weit fortgebildet, dass sie nun das, was sie gelernt haben, an andere Frauen weitergeben können und so auch Vorbilder für andere Frauen sind.
Wir möchten vielen Sinti- und Roma-Frauen ermöglichen, in der Gesellschaft zu partizipieren. Als Initiative nehmen wir an Veranstaltungen wie dem „Markt der Möglichkeiten“ oder Aktionen zum Weltfrauentag am 8. März teil – dort können unsere Frauen Auskunft geben, wie ihr Leben ist und was ihre Themen sind. Und so zeigen wir vor allem, wie vielfältig das Leben der Roma-Frauen in Deutschland ist. Dazu habe ich auch eine Wanderausstellung entworfen, die im April in Köln starten wird.
Und dann gibt es aufgrund meines Konzepts mit Barbara Kirschbaum (Museumsdienst der Stadt Köln, Leitung Museumspädagogik im NS-Dokumentationszentrum) und Patrik Fels (Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus (ibs)) eine Führung, die die Besucher*innen im NS- Dokumentationszentrum in Köln über die Gesamtgeschichte der Roma einschließlich der aktuellen Situation in erweiterter europäischer Perspektive informiert.  Viele unserer Mitmenschen sind nicht informiert über Sinti und Roma, und es ist notwendig Menschen zu informieren.

Wie wichtig sind Fortbildungsveranstaltungen?

Sehr wichtig. Die Qualifizierung und Professionalisierung von Sinti- und Roma-Frauen ist uns ein großes Anliegen. Politische Bildung ist sehr wichtig, wir benötigen kompetente Roma-Frauen. Wir werden oft gefragt: Wollt ihr nicht im Stadtrat, in antirassistischen Netzwerken oder ähnlichem teilnehmen. Sinti- und Roma-Frauen sollen aktiv partizipieren können am politischen Leben in ihrem Umfeld – dafür brauchen wir aber viele politische Schulungen. Was für andere Frauen selbstverständlich ist, ist es für Sinti- und Roma-Frauen noch nicht. Aber wir brauchen selbstbewusste, kompetente, qualifizierte und professionalisierte Roma-Frauen – auch als Vorbilder für die junge Generation, die immer noch sehr stark beschützt aufwächst. Inzwischen bringen aber viele Mütter ihre Töchter mit zu unseren Treffen. Wir wollen ja der Mehrheitsgesellschaft auch etwas zurückgeben können, indem wir junge Menschen haben die aktiv und qualifiziert an der Gesellschaft teilnehmen.

Gibt es genug Qualifizierungsmaßnahmen für Sinti- und Roma-Frauen – und hier speziell für Zuwanderinnen? Die Bundesregierung hat ja 2013 festgestellt, es gäbe da keinen besonderen Förderbedarf…

In Deutschland finde ich die Strukturen für Zuwanderer und Zuwanderinnen vorbildlich, aber der Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe ist oft problematisch. Da kommen Menschen aus elenden Bedingungen nach Deutschland, weil sie sich hier ein besseres Leben erhoffen – und müssen dann feststellen, dass sie hier auch nicht die Hilfe erhalten, um Zugang zur Gesellschaft zu finden und kompetent eine Perspektive zu entwickeln. Manche schaffen es, diese Hürden zu überwinden – andere resignieren. Trotzdem ist vor allem die Politik gefordert: Schlussendlich müssen die Zugänge und die Situation in den Herkunftsländern verbessert werden.

Wie nehmen Sie antiziganistische Kampagnen wie die der NPD im letzten Jahr wahr?

Das sehe ich aus meiner Perspektive als Bürgerin, als Bürgerrechtlerin als Feministin und als Mensch – und es hat aus jeder Perspektive wehgetan. So viel Hass und Abwertung in einem Satz, der auch noch vor allen Häusern hängt. Das macht auch einfach Angst. Es verlangt Courage, sich in der Öffentlichkeit als Romnij zu zeigen, wenn man weiß, es gibt keinen großen Aufschrei gegen eine solche Stimmungsmache.

Das AGORA-Netzwerk und Romane Romnja sind rein ehrenamtlich organisierte Initiativen, die bisher keine Unterstützung durch offizielle Stellen erhalten. Sie freuen sich deshalb über jede Art von Unterstützung, sei es durch Menschen, Kooperationen mit weiteren Trägern, Sachleistungen oder auch durch Geldspenden.

Kontakt: romane.romnja@yahoo.de 
oder 
Romane Romnja
c/o
Caritasverband für die Stadt Köln e.V.
Caritas- Integrationsagentur
Bertramstraße 12-22, 51103 Köln

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| Aktuelle Aktionen: „Dont worry Be a Romnj - Roma Women”

Aktuell hat Romane Romnja die Kampagne „Dont worry Be a Romnj - Roma Women” gestartet – mit Beteiligung aus der ganzen Welt.

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