Mit einem Plakat wird in der Verdener Straße inzwischen vor den Nazi-Hooligans gewarnt. Besonders im "Verdener Eck" treffen sich rechte Hooligans in der letzten Zeit wieder gern zum Fußballschauen. Es liegt nahe dem Weser Stadion.
Redaktion FgN

Bremen? Für Hooligans wohl ein rechtsfreier Raum

Beim Nordderby in Bremen griffen rechte Hooligans eine Gruppe linker Fußballfans an, im Nachgang stießen die Gruppen erneut aufeinander, weil die Polizei die Ultras in die falsche Richtung trieb. Anfang Juli wurde nun ein junger Bremer Ultras inhaftiert – und auf einer Pressekonferenz als Hauptverdächtiger präsentiert. Identifiziert werden konnte er durch ein Video, das auch Bremer Hooligans im Internet verbreiten.

Von Lina Morgenstern

Seit einigen Wochen fordern verschiedene Fangruppen bundesweit "Free Valentin". Valentin wurde am 2.Juli in Bremen verhaftet, weil gegen ihn unter anderem als Hauptverdächtiger der Gewalttaten in Bremen beim Nordderby im April ermittelt wird. Er sitzt weiterhin in Untersuchungshaft. Vier weitere gemeinschaftlich begangene Gewalttaten werden ihm vorgeworfen, sie sollen sich im vergangenen Jahr ereignet haben. Warum der zu den Tatzeitpunkten 20jährige erst jetzt verhaftet wurde, kann nur im Kontext der Bremer Ermittlungspolitik gelesen werden. 

Die Polizei scheint auf dem rechten Auge blind

"Rechts oder links, Ultras oder Hooligans, das ist egal, wir akzeptieren keine Gewalt in Bremen. Und wir verfolgen die Straftaten, egal von welcher Seite", verlautbarten die SprecherInnen der Polizei Bremen auf der Pressekonferenz zum Stand der Ermittlungen nach dem Nordderby. Die Auseinandersetzungen in Bremen hatten mit einem Angriff von Hooligans auf eine Gruppe Ultras begonnen, die kurz vor Spielende an einer Fußballkneipe in der Verdener Straße nahe dem Weserstadion vorbeikamen. Bremer Hooligans, unter ihnen Hannes Ostendorf, Sänger der rechten Hooliganband "Kategorie C" und seit seinen Auftritten bei HoGeSa bundesweit bekannt, schauten das Spiel in der Kneipe. Der Angriff geschah laut ZeugInnen unter den Augen von Szenekundigen Polizeibeamten (SKB), die an Spieltagen eingesetzt werden, um Fußballfans und besonders bekannte Gewalttäter im Blick zu behalten. Die Staatsanwaltschaft Bremen erklärte auf Nachfrage, ihnen sei kein Angriff von Hooligans bekannt. Jedoch trennte die Polizei nach eigenen Worten kurz nach dem Angriff die Lager und die Gruppe Ultras konnte zum 100m entfernten Osterdeich am Stadion fliehen.

"Dort wurde die Gruppe von der Polizei gekesselt. Kurz darauf kamen wir aus dem Stadion und stießen zu den Angegriffenen", erzählte ein junger Ultra, der lieber anonym bleiben möchte. Seine Aussagen decken sich mit denen von Fanprojektmitarbeiter Daniel Behm, der vor Ort gewesen ist. Die Polizei riegelte das Gelände ab und räumte den Osterdeich. Mit einer sogenannten Sprinträumung rannten die BeamtInnen unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray in die Menge der Fußballfans und trieben diese zurück in die Verdener Straße, in die Arme der Hooligans. Die Straße ist klein. Selbst wenn es stimmt, dass die Polizei nur eine einzige Sprinträumung einleitete, war die Richtung für die 150 Fußballfans zwangsläufig die falsche. Zurück an der Fußballkneipe "Verdener Eck" eskalierte die Situation, hier ist auch das Video entstanden, das die Ermittlungen der Polizei zu leiten scheint. Und das von den Hooligans selbst im Internet verbreitet wurde.

Bremer Ermittlungsbehörden ignorieren den politischen Hintergrund des Konflikts

Warum die Ultras überhaupt in die Verdener Straße zurück mussten und nicht über einen anderen Weg vom Osterdeich weggeleitet werden konnten, beantwortet Polizeisprecher Dirk Simmering auch auf Nachfrage nicht. Er betont einzig das konsequente Vorgehen der Polizei, um Gewalttaten zu verhindern und zu verfolgen. Diese wurden beim Nordderby jedoch nicht verhindert, eher provoziert, kritisieren die Fanprojektmitarbeiter Thomas Hafke und Daniel Behm.

Die Ermittlungen nach dem Nordderby gehen vor allem in die Richtung der linken Bremer Ultras. "Eine Ermittlung gegen die Hooligans läuft, weil ich Hannes Ostendorf angezeigt habe. Er hatte im Nachgang auf Facebook einen Steckbrief mit einer Gewaltdrohung veröffentlicht, unter anderem gegen mich, jedoch ebenso gegen Politiker und Journalisten", erklärt Thomas Hafke. Auch Wilko Zicht von den Grünen ist auf dem Steckbrief zu sehen. Er sitzt in der Bremischen Bürgerschaft und ist innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Für ihn ist der Eindruck nach der Pressekonferenz der Polizei fatal. "Das ist nicht nur ein Fußballkonflikt, sondern ein politischer Konflikt innerhalb der Bremer Fanszene. Die Hooligans spüren seit HoGeSa Oberwasser, wohl deshalb wagten sie diesen Angriff", sagte er. Der SV Werder Bremen wertete das ähnlich, der Verein gab nach den Vorfällen eine Pressemitteilung heraus, die den linken Ultras den Rücken stärkte, aber auch zu Gewaltfreiheit aufrief.

Bremer Hooligans sind bekannte Nazis und Gewalttäter

Bremer Ultras haben eine eigene Chronik erstellt, mit der sie die rechtsextreme Gesinnung und die Gewaltbereitschaft der Bremer Hooligans dokumentieren. Sie zählen seit elf Jahren 33 gewalttätige Übergriffe auf Bremer Ultras und 55 Einschüchterungsversuche. Daneben belegen sie 28 Demonstrationsteilnahmen von den Bremer Hooligans, die besonders als Ordner mit einer "Schutzfunktion" auftraten. Der "Bremer Schattenbericht" hat eine diesbezügliche Timeline erstellt, die Nazi-Hooligans seit 1990 dokumentiert

 

 

Die Schnittmengen zwischen Hooligans und Nazis sind auch in den Medien gut dokumentiert. Spiegel TV berichtete 2014 über bekannte Rechtsextreme wie NPD Mitglied Daniel Fürstenberg, der länger in der Bremer Hooliganszene aktiv war. Oder André Sagemann, er war der Kopf der offiziell aufgelösten rechtsextremen Hooligangruppe "Standarte Bremen". Immer wieder fällt auch der Name von Hannes Ostendorf, der mit seiner Band "Kategorie C" den Soundtrack für HoGeSa und für rechtsextreme Hooligans liefert. Sein Bruder Henrik Ostendorf ist ein großer Name und bundesweit in der Naziszene vernetzt. Gemeinsam waren die Brüder Mitglied bei "Standarte Bremen", Henrik vertritt die Gruppe heute noch im Impressum der Website. Laut Verfassungsschutz ist er darüberhinaus "Drahtzieher im internationalen Netzwerk zwischen NPD, NS-SKin-Milieu und der Hooliganszene". Bei den letzten Heimspielen in Bremen soll er vor Ort gewesen sein. Im letzten Jahr wies das Innenministerium von Niedersachsen die Verbindung von Bremer Hooligans und Rockermilieu nach, Unterstützer der Hells Angels sympathisieren mit den gewaltbereiten Fußballfans. Es sind richtig schwere Jungs, kampfsporterfahren und gewaltbereit. Ihnen gegenüber stehen häufig jugendliche Ultras, aus einem bürgerlichen Milieu, die wenig gewaltaffin sind.

Mit einem weiteren Plakat versucht man in Bremen über die Nazis in der Hooliganszene aufzuklären. Vielleicht sollte auch eins im Polizeipräsidium hängen. (Quelle: Redaktion FgN)

Vertrauen zur Polizei brach schon 2007

Warum aufgrund der zahlreichen An- und Übergriffe der Hooligans nicht ermittelt wird, liegt auch daran, dass sie selten zur Anzeige kommen. Die Ultras fühlen sich nach eigenen Aussagen und aus ihren Erfahrungen heraus durch die Polizei nicht geschützt. 2007 wurden sie bei einer Party im Fanprojekt durch Hooligans angegriffen, die Ermittlungen liefen schleppend. "Es gab damals keine Hausdurchsuchungen und keine Festnahmen, obwohl 60 Zeugen bei der Polizei ausgesagt haben. Der Prozess wurde lange verschleppt und erst 2011 am Amtsgericht verhandelt, das für den Fall aufgrund seiner politischen Dimension meines Erachtens nach gar nicht zuständig gewesen wäre. Die Zeugen wurden nicht einmal gehört und am Ende ein Vergleich geschlossen, der die sieben angeklagten Hooligans mit Geldstrafen und ohne Verurteilung laufen ließ", erzählt Hafke. Er war damals selbst beim Prozess, erinnert sich an die Einschüchterungsversuche und maskierte Nazi-Hooligans im Gerichtsgebäude. Das Fanprojekt wurde vom Gericht nicht als Nebenkläger akzeptiert, so dass es auch nicht in Revision gehen konnte, um den Fall in der höheren Instanz neu aufzurollen.

Passiver Selbstschutz der Ultras statt Dialog mit der Polizei?

2007 wurde für die Bremer Fußballszene ein Wendepunkt. Einerseits politisierte sich die Szene, setzt sich seitdem zivilcouragiert gegen die Nazis in der Kurve ein und konnte sie aus der Fanszene ausschließen. Andererseits brach 2007 das Vertrauen der jugendlichen Ultras in die Staatsgewalt. Aus Angst ihre Namen und Adressen in den Ermittlungsakten für die Anwälte der angezeigten Hooligans lesbar zu machen, gehen sie auch nach Angriffen nicht mehr zur Polizei. Diese will laut Polizeisprecher Simmering trotzdem weiter auf den Dialog mit der Fanszene setzen. "Es muss die Frage gestellt werden, was den Ultras anderes übrig bleibt, als tatsächlich einen Selbstschutz zu organisieren? Auf eine Polizei, die sich nicht für die Ursachen oder Verursacher der Auseinandersetzungen interessiert und den Konflikt als unpolitisch entkontextualisiert, können sie sich jedenfalls nicht verlassen" schreibt Pavel Brunßen, Chefredakteur vom Transparent Magazin und Kenner der Bremer Fußballszene auf Vice Sports. Er fordert ein Umdenken der Ermittlungsbehörden, um den jahrelangen Konflikt zu entschärfen und den Hooligans nicht weiter in die Hände zu spielen.

Verein SV Werder Bremen bleibt konsequent gegen Rechtsextreme

Till Schüssler, Fanbetreuer beim SV Werder Bremen beurteilt den Konflikt deutlich. "Das hat nichts mit Fußball zu tun". Der Verein ist froh, dass die rechten Hooligans nicht mehr im Stadion präsent sind und er will sie auch weiter heraus halten. Für ihn spielt sich dieser politische Konflikt innerhalb der Stadtgesellschaft ab. "Wenn die Hooligans ins Stadion zurück wollen, werden wir das klar handhaben. Unser Ordnungsdienst ist sehr gut geschult, Hinweisen der Fans wie auf rechtsextreme Kleidung wird nachgegangen. Bei problematischem Verhalten sind auch lokale Stadionverbote möglich", erklärt er. Aber noch beobachtet er keine Rückkehr der Hooligans in den Fanblock.

Wilko Zicht von den Grünen betont, dass die Politik nun klare Kante zeigen müsse und den antirassistischen Fans den Rücken stärken sollte. "Dem Innensenator stünde es gut zu Gesicht, sich einmal ähnlich unmissverständlich wie der SV Werder zu äußern. Die Entpolitisierung des Konflikts spielt den Nazis in die Hände."

Das Nordderby wurde übrigens vom Land Bremen mit 300.000 Euro an die Deutsche Fußballliga in Rechnung gestellt. Es war eins der Hochrisikospiele, deren Kosten laut Senatsbeschluss vom organisierten Fußball selbst getragen werden sollen. Hoch riskant sind zur Zeit aber vor allem die falsche Einschätzung der Gefahrenlage durch die Bremer Polizei und der erneute Freifahrtschein für die Bremer Hooligans. Und diese Kosten muss nicht der Fußball, sondern die Gesellschaft tragen. Die Rolle der Polizei ist es, Straftaten zu verfolgen. Egal, von welcher Seite. Und das ernsthaft.

"Werder Fan crossing" steht im Fenster des "Verdener Eck", das auch noch die Zeichen der Auseinandersetzungen trägt. Vielleicht täte die Wirtschaft gut daran, auf gewaltbereite Fans zu verzichten. (Quelle: Redaktion FgN)
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