Was bezweckt in NPD mit parlamentarischen Anfragen?

Wenn eine rechtsextreme Partei im Landtag sitzt, hat das für sie mehr als nur symbolischen Wert. So ist etwa das Stellen zahlreicher parlamentarischer Anfragen nicht nur eine Strategie, Engagement vorzutäuschen, demokratischen Kräften Zeit zu stehlen und Ideologie zu präsentieren. Es gibt auch ganz konkreten Nutzen, den die NPD aus ihren Anfragen zieht. Was die NPD warum wissen will, hat Wissenschaftler Michael Nattke für Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern analysiert, wo die NPD jeweils im Landtag vertreten ist.

Von Michael Nattke

Aufschlussreicher als die Quantität sollte ein inhaltlicher und qualitativer Vergleich der NPD-Aktivitäten in den beiden Landtagen sein. Um eine sinnvolle Vergleichbarkeit hinsichtlich der von der NPD in Anfragen verfolgten Zielstellung herzustellen, wurden insgesamt 15 Kategorien definiert, in welche die entsprechenden Anfragen thematisch eingeordnet wurden. Eine weitere Kategorie fasste sämtliche Anfragen zusammen, welche sich nicht in diese Schemata einordnen ließen. Für Sachsen sind lediglich 4 % und für MV 3,4 % der Anfragen nicht durch die erarbeiteten Kategorien fassbar. Die Anfragen-Kategorien mit der größten Bedeutung sollen nachfolgend vorgestellt werden.

NPD-Fraktion Sachsen
Politischer Gegner 17,0%
Innere Sicherheit & Justiz 14,0%
Staatliche Repression 10,9%
Soziales & Familie 6,7%
Umwelt 8,9%
Kommune & Heimatpolitik 7,1%
Migration 6,2%
Wirtschaft 7,5%
Sonstige 21,7%

NPD-Fraktion Mecklenburg-
Vorpommern

Politischer Gegner 8,9%
Innere Sicherheit & Justiz 11,1%
Staatliche Repression 28,8%
Soziales & Familie 9,5%
Umwelt 3,7%
Kommune & Heimatpolitik 8,9%
Migration 6,4%
Wirtschaft 5,5%
Sonstige 17,2%

Demnach drehen sich circa 17 % der NPD-Anfragen im sächsischen Landtag rund um die politischen Gegner_innen der NPD. Nach jeder bekannt gewordenen Demonstration oder Aktion von autonomen Antifaschist_innen gibt es postwendend parlamentarische Anfragen der NPD-Landtagsfraktion, um die Antifaschist_innen zu kriminalisieren. Ein vermeintlicher «Linksextremismus», als eigentliche Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung soll den Fokus von der eigenen Klientel weg lenken. Seit dem Jahr 2007 wird diese Strategie von der NPD verfolgt. Fast 2/3 aller Anfragen in diesem Bereich sind in den Jahren 2007 und 2008 entstanden. Hierzu gehören auch Fragen zu Treffpunkten der linken Szene, zu alternativen Kulturprojekten, zur Förderung von Vereinen und Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Toleranz engagieren. Die NPD möchte möglichst viele Informationen über ihre politischen Gegner_innen erlangen, um vermeintliche Unregelmäßigkeiten in der Vergabe von Fördermitteln oder in der Durchführungen von Veranstaltungen aufzudecken und politischen Druck aufzubauen. Politische Gegner_innen der NPD werden dabei pauschal als «Linksradikale» bezeichnet. Autonome Antifaschist_innen sollen als Handlanger der demokratischen Fraktionen dargestellt werden, die deren politische Forderungen gegen die NPD mit Hilfe von Gewalt durchsetzen. Jeder, der sich gegen die Neonazis engagiert, soll das Gefühl erhalten, anschließend durch die NPD-Anfragenpolitik ins Licht der Öffentlichkeit gezogen zu werden und damit der Gefahr ausgesetzt zu sein, durch gewalttätige Neonazis aus dem NPD-Umfeld angegriffen zu werden. Bei einer Reihe von Anfragen ist auch eine enge Zusammenarbeit mit dem militanten Kameradschaftsspektrum zu vermuten, das gezielt Informationen über politische Gegner_innen in Form von Anti-Antifa-Arbeit zusammenträgt und veröffentlicht. In MV ist dieser Themenbereich der NPD-Anfragen mit fast 9 % aller Anfragen immer noch auf Rang 4.

Sowohl in Sachsen als auch in MV möchte sich die NPD mit Hilfe ihrer Anfragen als die Partei darstellen, die für Sicherheit, Recht und Ordnung eintritt. So machen Anfragen zum Bereich Innere Sicherheit und Justiz rund 14 % der sächsischen und 11 % der nordostdeutschen NPD-Anfragen aus. Während sich in Sachsen jede zehnte Anfrage mit dem Themenbereich „Staatliche Repression“ beschäftigt, ist dieser Komplex in MV mit 28,8 % aller Anfragen das bedeutendste Thema. Die Schweriner NPD-Fraktion stellte mindestens 134 ähnlich lautende Anfragen, die sich mit den gelisteten Vorfällen rechtsextremer Gewalt der Opferberatung LOBBI beschäftigten. Die Neonazis interessierten sich für den juristischen Ermittlungsstand jedes Vorfalls, die Erkenntnisse der Staatsregierung, für die ermittelten Tatverdächtigen und die Bewertung der politischen Motivation der Geschehnisse. Die Absicht, die dahinter steckt, ist die Diskreditierung der Statistik rechtsextremer Straftaten durch die Opferberatungen und die Bagatellisierung der von Neonazis verübten Gewalt. Außerdem sollen Fehler staatlicher Repressionsorgane bei Einsätzen gegen Rechtsextremisten (z.B. Auflösung von rechtsextremen Konzerten) aufgedeckt und skandalisiert werden. Mit Hilfe der Anfragen erhofft sich die NPD, rechtliche Lücken zu finden, um bei zukünftigen neonazistischen Aktionen der Strafverfolgung zu entgehen.

Im Landtag von MV widmet sich die NPD-Fraktion in weitaus stärkerem Maße als in Sachsen dem Themenbereich Soziales und Familie. Während sich in Schwerin jede zehnte Anfrage diesem Thema zuwendet, beziehen sich darauf in Sachsen nur 6,7 Prozent aller Anfragen. Die NPD interessiert sich u.a. für Kindertagesstätten in privater Trägerschaft, für die Verpflichtungen von Banken und Sparkassen gegenüber den Empfänger_innen von Arbeitslosengeld II oder für Drohungen gegenüber Arbeitsagenturen. Sie versucht mit Hilfe zusätzlicher Informationen ihr sozialpolitisches Profil zu schärfen und den Eindruck zu erwecken, dass sie sich für die Belange von sozial Benachteiligten einsetze und die Hartz IV-Gesetzgebung bekämpfe. Da der sächsische NPD-Wahlkampf im Jahr 2004 vor allem durch die populistische Bezugnahme auf die Arbeitsmarktreformen geprägt war, verwundert die geringe Wertschätzung, die dem Thema seitens der NPD im sächsischen Landtag zuteil wird.

Der Umweltschutz ist bei der sächsischen NPD hingegen ein sehr bedeutendes Thema. Dies ist vor allem dem Ex-NPD-Abgeordneten Matthias Paul zu verdanken, der sich sorgfältig in diesen Bereich eingearbeitet hatte und die Neonazi-Losung «Umweltschutz ist Heimatschutz» in die Tat umsetzen wollte. Fast 3/4 aller Anfragen
zum Thema Umweltschutz wurden gestellt, bevor er sein Mandat auf Grund einer Kinderpornographie-Affäre niedergelegt hatte. Seit dem Skandal um Matthias Paul ist dieser Bereich zu einem Stiefkind der sächsischen Landtagsfraktion verkommen. Der Nachrücker René Despang ist als Totalausfall für die NPD-Fraktion zu betrachten, da er den Aufgaben eines Landtagsabgeordneten nicht gewachsen ist. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die Besetzung bestimmter Themen in erheblichem Maße von den Fähigkeiten und dem Engagement einzelner Personen innerhalb der NPD abhängig sein kann.

In MV versucht die NPD, mit Anfragen zu einzelnen kommunalen Themen und zur Heimatpolitik den Eindruck einer Verwurzelung im regionalen Bereich zu erwecken. In Sachsen, wo die Parteistrukturen insgesamt flächendeckender ausgebaut sind, ist dieses Thema ebenfalls von Bedeutung. Anfragen, die diesem Bereich zugeordnet sind, beziehen sich auf spezifische Fragen zu Geschehnissen mit regionaler Bedeutung. Oft werden diese Anfragen von den Abgeordneten gestellt, die in den entsprechenden Regionen ihren Wohnsitz oder ihr Wahlkreisbüro haben, und sie scheinen vereinzelt von Parteikameraden oder Bürger_innen an die NPD-Abgeordneten herangetragen worden zu sein.

Das Thema Migration, bei welchem die NPD z.B. die Anzahl und die Kosten für Asylbewerber_innen oder die Gründe für die Duldung von Migrant_innen erfahren möchte, ist ein klassisches Thema rechtsextremer Parteien. Die Informationen verwendet die NPD, um sie in anderen Kontexten als Fakten zur Untermauerung fremdenfeindlicher Propaganda zu verwenden. Anfragen aus diesem Bereich nehmen mit immerhin über 6 Prozent noch einen der Spitzenplätze ein. Es wird allerdings deutlich, dass die NPD keine Ein-Themen-Partei ist, wie es rechtsextremen Parlamentsfraktionen in der Vergangenheit oft nachgewiesen werden konnte. Die so genannte «Ausländer-Frage» ist nur einer von vielen Bereichen, für die sich die Neonazis interessieren.

Eine enge Zusammenarbeit der NPD-Landtagsfraktionen im Bereich der parlamentarischen Anfragen ist für den Untersuchungszeitraum nicht zu erkennen. Selbst Anfragen zu übereinstimmenden Themenbereichen von landesübergreifender Bedeutung (Zahl von Migrant_innen oder Umsetzung der Hartz-IV-Gesetzgebung) weisen keine Ähnlichkeiten hinsichtlich verwendeter Formulierungen oder der Struktur der Anfragen auf.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Artikel:

Michael Nattke: Die NPD-Landtagsfraktion in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich.

Erschienen in der lesenswerten Broschüre:
NiP-Redaktionskollektiv & Heinrich Böll Stiftung Weiterdenken: Die NPD im Sächsischen Landtag. Analysen und Hintergründe 2008.
Dresden, November 2008

Im Internet als Download unter
| www.weiterdenken.de

Der Auszug wurde uns freundlicherweise von der Heinrich Böll Stiftung Weiterdenken zur Verfügung gestellt.

Mehr zum Thema:

| Schwerpunkt: Neonazis im "Superwahljahr" 2009
Strategien von und gegen NPD und Co.

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