Das Chemnitzer Stadion an der Gellertstraße, ein Montag im August 2012: In der ersten Runde des DFB-Pokals trifft im Sachsenderby Drittligist Chemnitzer FC auf Dynamo Dresden. Der Zweitligist aus der Landeshauptstadt gewinnt mit 3:0. Doch nicht wegen des Ergebnisses wird das Spiel in den folgenden Tagen in die Schlagzeilen geraten, sondern wegen der rassistischen Ausfälle, die sich an diesem Abend gegen Dynamos farbigen Stürmer Mickael Poté richten. Mit Affenlauten decken Zuschauer aus dem CFC- Fanblock den 27-jährigen Nationalspieler Benins ein, als er mit einem Annäherungsversuch ans gegnerische Tor scheitert. Rassismus im Sport: Auch im Jahr 2012 ist er aus den Stadien noch nicht verschwunden.
Von Redaktion blick-nach-rechts.de
Neonazis, die auch auf dem Sportplatz als Rechtsaußen unterwegs sind, als Unparteiische ein Spiel leiten, als Jugendtrainer den Nachwuchs ausbilden sollen, die – nicht zuletzt – die Tribünen bevölkern: Fußball als Sportart Nr. eins bietet Rechtsextremisten zwei Möglichkeiten. Sie wollen deutlich machen, in Ost und West, dass sie ganz "normal " dazugehören – zu ihrer Stadt, ihrem Stadtteil, ihrem Dorf und zum Verein. Und sie wollen Nachwuchs rekrutieren.
NPD-Flugblätter vor dem Stadion
Neonazismus im Stadion – das erschien manchen in den letzten Jahren zwar als ein Problem der ostdeutschen Bundesländer. Vor allem dort macht es Schlagzeilen. Manches, was in den modernen Arenen des Westens nicht mehr denkbar erscheint, zwischen Mecklenburg und Sachsen – so der Eindruck – konnte es überwintern. Fans des gegnerischen Vereins werden per Transparent als
"Juden "betitelt, schwarze Spieler mit Affengeräuschen begrüßt. Für Sportvereine mit "linkem " Image wird das Auswärtsspiel zum Spießrutenlauf. Immer wieder machen insbesondere Fans von Lok Leipzig wegen rechtsextremer Aktivitäten Schlagzeilen. Draußen vor dem Stadion verteilt die NPD derweil ihre Flugblätter und CDs. "Es gibt unter den Anhängern von Lok viele, die der NPD aufgeschlossen gegenüberstehen ", erklärte der sächsische NPD-Fraktionsvorsitzende und heutige Parteivorsitzende Holger Apfel. "Wir waren ja töricht, wenn wir die nicht dort abholen würden. " Nicht nur den Leipziger Traditionsverein hatte er in den Blick genommen: Auch Dynamo Dresden und Erzgebirge Aue seien "Vereine mit einem großen Potenzial, deren Anhänger wir versuchen, an die Partei heranzuführen ".
Insgesamt vier sächsische Fanclubs, in denen offensichtlich Neonazis agieren, werden inzwischen vom Landesverfassungsschutz beobachtet, zwei in Leipzig und zwei in Chemnitz. Etwa jeder achte als gewaltbereit eingestufte Fußballfan in Sachsen soll Rechtsextremist sein.
"Potenzial " für Neonazis bietet im benachbarten Brandenburg auch eine Fan-Gruppe des FC Energie Cottbus, nach Einschätzung des Verfassungsschutzes die größte rechtsextreme Hooligangruppe in Brandenburg. Deren Facebook-Seite zeigte ein Banner mit der Aufschrift "Unterwegs im Reich. Auswärts mit Energie Cottbus " mit einer Karte von Deutschland in den Grenzen von 1937. "Widerstand lässt sich nicht verbieten " stand auf einem anderen Banner – das doppelte "S " sah aus wie SS-Runen.
Antisemitische und rassistische Parolen auf der Tribüne
Doch der Eindruck, Rechtsextremisten im Stadion seien ein ostdeutsches Phänomen, täuscht. In Aachen beispielsweise kämpft eine Gruppe, in der auch Mitglieder und Anhänger der mittlerweile verbotenen Neonazi-Vereinigung "Kameradschaft Aachener Land " aktiv sind, um die Vorherrschaft in den Fanblöcken. Mitglieder einer "linken " Ultra-Gruppe sind die Opfer von auch gewalttätigen Übergriffen. In Duisburg beschäftigen sich der Verein, die breite Mehrheit der Fans sowie die Polizei mit jenen MSV-Anhängern, die auf der Tribüne mit antisemitischen und rassistischen Parolen provozierten. Gegen "Judenschweine " und "Zigeunerpack " grölen sie ihre Parolen. Die Gewaltbereitschaft der Beteiligten ist dabei bekannt.
In Dortmund haben Neonazis nach dem Verbot des "Nationalen Widerstands Dortmund " im August 2012 auf der Stehplatztribüne per Transparent "Solidarität mit dem NWDO " bekundet. Bei einem Auswärtsspiel des BVB in Hamburg ist ein Transparent der "Borussenfront " aufgetaucht. Die vor 30 Jahren gegründete und von Siegfried Borchardt (Spitzname "SS-Siggi ") geführte Truppe hatte in den 1980er-Jahren vielen rechtsextremen Hooligangruppen als Vorbild gedient, war aber in den letzten Jahren kaum noch öffentlich aufgetreten. "30 Jahre Borussenfront Dortmund – Ein Mythos stirbt nie ", heißt es auf dem Banner der Neonazi-Hooligans. Bei Heimspielen sollen bis zu 100 bekannte Rechte im Stadion sein, darunter vereinzelt "Autonome Nationalisten ", die den BVB immer mehr als Bühne für Propaganda missbrauchen. Und wenn das nicht bei Heimspielen und in der Bundesliga funktioniert, dann eben in der dritten Liga und bei den Amateuren der Borussia. So etwa am ersten September-Wochenende 2012, als in der Ruhrgebietsstadt die Demonstration zum "Nationalen Antikriegstag " verboten worden war und Dortmunder Neonazis beim Spiel der BVB-Amateure in Erfurt ihre schwarz-weiß-roten Flaggen schwenkten.
Dass die Präsenz von Neonazis in Fußballstadien kein ostdeutsches Phänomen ist, darauf deuten auch Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsatze (ZIS) hin. Im Bericht über die Saison 2010/11 heißt es, in bundesweit 16 Spielstätten der ersten und zweiten Liga hatten sich rechtsextreme Fans unter gewaltbereite Zuschauer gemischt. Acht dieser 16 Stadien waren in Nordrhein-Westfalen zu finden: Aachen, Dortmund, Mönchengladbach, Düsseldorf, Duisburg, Paderborn, Bielefeld und Oberhausen. Durchschnittlich 4,5 Prozent der gewalttätigen Zuschauer zählten auch zur rechten Szene, so das NRW-Innenministerium. Als weitere Vereine listet der Bericht den 1. FC Nürnberg, Werder Bremen, den 1.FC Kaiserslautern, Hertha BSC Berlin, Union Berlin, Energie Cottbus, 1860 München sowie den VfL Osnabrück auf.
Stadionverbote gegen "rechte Fouls "
Seit Jahren machen Sportverbände – nicht nur im Fußball – gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung und für Respekt, Toleranz, Anerkennung und die Achtung der Menschenwürde mobil. Die Kampagne "Sport und Politik verein(t) gegen Rechtsextremismus!! " (www.vereint-gegen-rechtsextremismus.de), getragen unter anderem vom Deutschen Olympischen Sportbund, der Deutschen Sportjugend und dem Deutschen Fußball-Bund steht dafür als Beispiel. "Fouls von Rechtsaußen grenzen Menschen aus, beleidigen und verletzen sie – seelisch ebenso wie körperlich. Und doch gibt es in unserer Gesellschaft diese Fouls von Rechtsaußen, gibt es Diskriminierungen und Attacken auf Menschen, nur weil sie anderer Herkunft sind, anders glauben, aussehen oder anders leben ", warnen die Initiatoren der Kampagne.
Das Problem "rechter Fouls " auf der Tribüne von Fußballstadien wollen viele Vereine unter anderem mit Stadionverboten in den Griff bekommen. Im Herbst 2012 beispielsweise kündigte Borussia Dortmund an, gegen acht Personen solche Verbote auszusprechen. Sie waren nach polizeilichen Erkenntnissen durch "eindeutig rechtsextrem politisch motivierte Aktionen in Erscheinung getreten ". In vielen Stadien wurden im Lauf der Jahre auch die Hausordnungen verschärft, die zum Beispiel nicht mehr nur offen rassistische Parolen untersagen, sondern nun auch das Tragen von Kleidungsmarken, die in der Szene besonders beliebt sind. In der 1. Liga gelten Werder Bremen und Schalke 04 als Vorreiter einer gegen Neonazis gerichteten schärferen Vereinspolitik. Schalke 04 nahm 1994 als erster Bundesligaverein einen Antirassismus-Paragraphen in der Vereinssatzung auf. Auch Clubs, die aktuell Probleme mit der Szene haben, reagieren: Alemannia Aachen untersagte im August 2012 im Stadion sämtliche Utensilien des Fanklubs "Karlsbande Ultras ", in der auch Neonazis aktiv sind.
Dynamo Dresden lief nach den Vorfällen in Chemnitz im Oktober 2012 mit einem Trikot auf, das den Schriftzug "Love Dynamo – Hate Racism " zeigte. "Wir werden uns vor unsere Sportler und Fans stellen, wenn sie beleidigt oder angegriffen werden ", versicherte der Klub. Dynamo selbst sei mit 27 Spielern aus 14 Nationen ein "bunter Haufen ". Rassistische Äußerungen seien "ein Beleg von Schwäche und Dummheit, und wer auch immer sich zu ihnen hinreißen lässt, trifft damit stets auch unsere Spieler, unsere Mannschaft, unseren Verein, unsere Sportgemeinschaft ".
Hetze gegen Patrick Owomoyela
Genau gegen solche "bunte Haufen " und ganz grundsätzlich gegen multikulturelles Zusammenleben richtet sich der Hass von Neonazis. "Wir meinen, der Fußball darf nicht von den Funktionären aus Politik und Sport für ihre Multikultiideologie vereinnahmt werden ", hieß es 2012 auf der Internetseite der inzwischen verbotenen Neonazi-Gruppe "Besseres Hannover " mit Blick auf die DFB-Auswahl: "Entweder ist eine Nationalmannschaft mit eigenen Spielern erfolgreich, oder sie ist es eben nicht. Eine Mannschaft, die mit Türken, Negern, Polen und Nordafrikanern besetzt ist, ist deshalb auch keine echte Nationalmannschaft, mit der wir uns identifizieren können, auch wenn diese bei einem Turnier gegebenenfalls erfolgreich abschneidet. "
Die NPD hatte 2006 zur Fußball-Weltmeisterschaft einen "WM-Planer " mit dem Titel "Weiß – nicht nur eine Trikot-Farbe? Für eine echte Nationalmannschaft " veröffentlicht. Seinerzeit wurde vor allem gegen den (Ex-)Nationalspieler Patrick Owomoyela gehetzt. Zur Zielscheibe rassistischer Hetze wurde auch Gerald Asamoah, auch er ein ehemaliger Nationalspieler. "Nein, Gerald, du bist nicht Deutschland. Du bist BRD! " stand auf Plakaten, die der rassistische "Schutzbund Deutschland " herausbrachte.
NPD-Stadtrat trainiert Jugendliche
Neonazis sind nicht nur als passive Zuschauer unterwegs, sondern auch aktiv auf dem Platz. Das betrifft – soweit bekannt – ausschließlich kleinere Vereine. Warnungen und Mahnungen der Verbände vor deren Aktivitäten, so scheint es, sind nicht bis in den letzten Winkel gelangt. Und kleinere Vereine haben besondere Probleme. Elf Spieler auf den Platz zu bringen, ist nicht immer einfach. Noch problematischer ist die Verpflichtung, ausreichend qualifizierte Schiedsrichter zu benennen. Und wer bringt die Zeit auf, abseits des Scheinwerferlichts und sogar der Berichterstattung in der Lokalzeitung den Nachwuchs des Dorf- oder Kleinstadtvereins zu trainieren? Manchmal füllen Neonazis die Lücken. Der mit Rechtsrock handelnde Neonazi und Versandhausbetreiber aus dem nordrhein-westfälischen Siegerland wird zum Außenstürmer, NPD-Stadtratsmitglieder aus Lüdenscheid oder Löcknitz werden zum Schiedsrichter, ein NPD-Landeschef will den Fußballnachwuchs trainieren.
Zumeist enden solche rechtsextremen Sportkarrieren rasch, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangt sind, manchmal entwickelt sich ein hartnackiges Ringen. In der Kleinstadt Laucha in Sachsen-Anhalt konnte ein NPD-Stadtrat jahrelang Jugendliche des Fußballclubs BSC 99 Laucha trainieren. Erst nach Interventionen bis hin zum Landessportbund und zum Deutschen Olympischen Sportbund wurde er im Herbst 2010 als Trainer abberufen.
"Nationale Fußball-Turniere "
Ungestört von der Öffentlichkeit arbeiteten beispielsweise Fußballspieler des Kreisligisten SV Energie Görlitz lange Zeit mit Neonazis zusammen. Regelmäßig sollen "Nationale Fußball-Turniere " mit rechtsextremen Kameradschaften stattgefunden haben.
Solche "Nationalen Turniere " finden bundesweit statt. Ausrichter sind im Regelfall neonazistische Kameradschaften, aber auch NPD-Kreisverbände, die damit die Vernetzung untereinander vorantreiben. Das Teilnehmerfeld wirkt zuweilen wie ein Who is Who der regionalen Szene, ergänzt um wenige Teams mit Fantasienamen. An einem Turnier im Raum Düren nahmen etwa teil: Sturm 8, Freie Nationalisten Siegen, Freie Kräfte Köln, NPD Mettmann, NPD Essen, NS Wuppertal, NS Essen, NPD Euskirchen, Nationaler Widerstand Leverkusen, Skinhead Front Dorstfeld, Kameradschaft Aachener Land, NPD Düren, SC Schafspelz, Frauen am Sportplatz (K.A.L.), NS Pulheim, Asoziale Randgruppe Istanbul. Bei einem Turnier des NPD-Kreisverbands Mettmann/Düsseldorf gewann der Vorjahressieger das Finale. Die Veranstalter verfielen in den Jargon ihrer politischen Ahnen: "Den Endsieg konnten auch in diesem Jahr die Freien Nationalisten Leverkusen davontragen. "
Rechtsextremismus im Sport als Problem thematisieren
Sport und vor allem der Fußball bleibt auch drei Jahrzehnte nach den ersten rechtsextremen Hooligan-Gruppen ein wichtiges Aktionsfeld für Neonazis, auch wenn sie nicht mehr so dreist agieren wie zu Zeiten, als sie im Stadion noch die Reichskriegsflagge präsentieren konnten. Sie agieren unauffälliger, aber sie sind präsent. Ihre Ziele: sich selbst als den "normalen " Nachbarn von nebenan – in der Stadt, auf dem Platz und auf der Tribüne – zu präsentieren und so nicht zuletzt auch Nachwuchs zu rekrutieren.
Rechtsextremisten müssen daran gehindert werden, Sportvereine und Sportveranstaltungen für die Verbreitung ihrer Ideologie zu instrumentalisieren. Dazu müssen die Verbände und Vereine, die Funktionärinnen und Funktionäre sowie die Sportlerinnen und Sportler sensibilisiert und bei der Präventionsarbeit unterstützt werden. Auch in die politische Bildungsarbeit und in die wissenschaftliche Forschung muss das Thema Rechtsextremismus im Sport Eingang finden. Die SPD-Fraktion hat dazu konkrete Vorschläge erarbeitet und als Antrag in den Bundestag eingebracht. (Rechtsextremistische Einstellungen im Sport konsequent bekämpfen – Toleranz und Demokratie nachhaltig fördern; Drucksache 17/5045)
Dieser Text wurde von der Redaktion blick-nach-rechts.de im Auftrag der SPD-Bundestagsfraktion erstellt und erschien zuerst in der Broschüre "Argumente- Rechtsextremismus in Deutschland ". Die Publikation kann kostenlos bestellt werden unter: spdfraktion.de