»Raus aus den Hinterzimmern, raus auf die Straße, raus in den Kampf mit modernen Kommunikationsmitteln!«, schreibt ein Hans Mallon im NPD-Parteiorgan Deutsche Stimme vom März 2010. Beim Namen des Autors handelt es sich wohl um ein Pseudonym: Der Hitlerjunge Hans Mallon, der 1931 bei Auseinandersetzungen mit Kommunisten auf der Insel Rügen ums Leben kam, wird bis heute von der rechtsextremen Szene als Märtyrer verehrt. Ohne seinen Namen bekannt zu geben, findet der Autor der Zeilen unter dem Titel »Die NPD in der virtuellen Welt« ansonsten sehr klare Worte für seine Aufforderung, das Internet als eine »unverzichtbare und (noch) grenzenlose Waffe« strategisch für die »nationale Sache« zu nutzen. Weder die Nutzung des Internets durch Rechtsextreme noch deren Forderung nach mehr Präsenz im öffentlichen Raum ist neu. Der Verfassungsschutz spricht von mehr als 1800 deutschsprachigen Internetseiten (Stand August 2010). Im Internet wie in der realen Welt steckt dahinter das Anliegen Rechtsextremer, den öffentlichen Raum zu besetzen und rechtsextreme Inhalte salonfähig zu machen.
Von Juliane Lang und Yves Müller
Die NPD in der virtuellen Welt – Ziel: Präsenz zeigen
Von neuer Qualität zeugt jedoch die beschriebene Strategie der gezielten Nutzung sozialer Netzwerke wie MeinVZ oder Wer-kennt-wen für parteipolitische Zwecke der NPD. Waren es zuvor vor allem Betreiber diverser Foren, welche sich mit der Präsenz rechtsextremer Diskussionsbeiträge konfrontiert sahen, sind es zunehmend soziale Netzwerke, die heute vor demselben Problem stehen: klare Grenzen zu ziehen und Rechtsextremen den Raum zur Agitation streitig zu machen. Ausführlich wird in der Deutschen Stimme die Einrichtung von Profilen beschrieben, die einen »möglichst offenen Menschen« beschreiben sollen, »nicht bissig, klischeehaft oder wortkarg«. Ziel sei es, sich als der »nette Rechte von nebenan« zu präsentieren, die Ablehnung seitens nicht-rechter Diskussionsteilnehmer und –teilnehmerinnen zu brechen und die NPD als wählbare Partei im Netz auch jenseits einschlägiger rechtsextremer Foren sichtbar zu machen. Unter anderem über die Gründung von Gruppen und die aktive Beteiligung an bereits bestehenden, so der Autor des Deutsche Stimme-Artikels, soll es Rechtsextremen gelingen, vor allem lokale Kontakte zu knüpfen und um Unterstützung für eigene Kampagnen zu werben. Die Broschüre Dunkelfeld berichtet 2010 von einer Vielzahl an virtuellen Gruppen unter dem Titel »Todesstrafe für Kinderschänder« – eines der rechtsextremen Kampagnenthemen der letzten Jahre, vielfach zur Mobilisierung genutzt. Die Mitglieder in besagten Gruppen seien nicht alle als rechtsextrem einzustufen – teilweise seien sie Mitglieder in Gruppen, die sich explizit gegen rechtsextremes Gedankengut stellen. Und doch treten sie virtuellen Gruppen bei, die sich als Eingangsbild das Transparent eines rechtsextremen Aufmarsches wählen. Daraus schließen die Autorinnen und Autoren auf eine »hohe Akzeptanz für neonazistische Gruppen und Propaganda« und fragen provokant: »Stellt die Gruppe im Internet gar so etwas wie einen Online-Aufmarsch dar, der – angeführt vom Transparent der Freien Nationalisten (...) – letztendlich mehr Menschen erreicht, als wenn ein paar Dutzend Neonazis abgeschirmt von der Polizei durch ein menschenleeres Gebiet ziehen?« Denn beim Internet handelt es sich ganz und gar nicht um ein menschenleeres Gebiet und dem Online-Aufmarsch schließen sich Menschen an, die sich an einem rechtsextremen Aufmarsch nie beteiligen würden.
Virtueller Dorfplatz – Ziel: niedrigschwellige Kontaktaufnahme
Es ist zu bezweifeln, dass jeder Nutzer und jede Nutzerin, die sich einer solchen Gruppe anschließen, automatisch zum überzeugten Rechtsextremen oder zur überzeugten Rechtsextremen wird. Aber: Durch die vielfältige Unterstützung derartiger Gruppen gewinnt rechtsextremes Gedankengut an Normalität. Die neugewonnene Salonfähigkeit senkt im Umkehrschluss die Hemmschwelle und der Kontakt mit rechtsextremen Lebenswelten wird deutlich vereinfacht. Gerade in (virtuellen) Gruppen mit lokaler Bindung gewinnen soziale Netzwerke immer stärker den Charakter virtueller Dorfplätze. Man trifft sich dort, tauscht sich aus, knüpft neue Kontakte und pflegt alte Freundschaften. Das haben auch Rechtsextreme entdeckt und rufen dazu auf, gerade hier »Kontakte immer weiter aus[zu]bauen und [zu] intensivieren. Soweit bis schließlich auch Interessenten, Abonnenten, Mitglieder aus bisherigen Gleichgesinnten und Unorganisierten werden.« Soziale Netzwerke werden gezielt als Kontaktbörsen genutzt. Die Niedrigschwelligkeit der Kontaktaufnahme im Internet erweist sich als besonders zuträglich: »Der Schritt vom stolzen deutschen Feuerwehr-Jugendlichen (...) zum Angehörigen der Neonazikameradschaft (...) ist in der virtuellen Welt nicht einmal mehr ein Schritt – man muss gar nicht aus dem Haus gehen, um dabei zu sein, sondern nur den Zeigefinger auf der Maus bewegen«, so die Broschüre Dunkelfeld. Das Internet ermöglicht den vermeintlich anonymen und unverbindlichen Zugang zu Netzwerken: von der Kameradschaft bis zum Parteiverband, vom rechtsextremen Musiknetzwerk bis zum Versandhandel.
Wortergreifung 2.0 – Ziel: Bühne für die Verbreitung rechtsextremer Inhalte
Soziale Netzwerke stehen angesichts der zunehmenden Präsenz Rechtsextremer aktuell vor Herausforderungen, denen sich Portale wie Online-Diskussionsforen oder Kommentarspalten großer deutscher Zeitungen schon länger gegenüber sahen. Dort versuchen Rechtsextreme seit Jahren, sich Kontakte und Raum zur Verbreitung ihrer Inhalte zu erschließen. Diskussionsverläufe in Foren wie Belltower.news zeigen, dass auch (moderierte) Plattformen, die sich explizit gegen Rechtsextremismus engagieren, gezielt von Rechtsextremen frequentiert werden. Bei der klassischen rechtsextremen Wortergreifungsstrategie geht es darum, Veranstaltungen politischer Gegnerinnen und Gegner zu besuchen, um die eigenen Ziele und Forderungen öffentlich wirksam zu vertreten und die Anwesenden zu zwingen, sich mit rechtsextremen Argumentationen auseinanderzusetzen. Genauso wird es auch in Internetforen und sozialen Netzwerken praktiziert. »Bei einer nationalen Wortmeldung im öffentlichen Raum gelangen unsere Argumente ›ungefiltert‹ in die Öffentlichkeit«, heißt es dazu in einem Strategiepapier der NPD. Überzeugen möchte die NPD dabei weniger das direkte Gegenüber. Die Aufmerksamkeit richtet sich vielmehr auf das Publikum; um dessen Gunst sieht man sich in einer Konkurrenz mit dem Diskussionspartner. »Unser Hauptziel ist die öffentliche Bloßstellung«, so die NPD. Geschulte rechtsextreme Kader setzen auf die Bereitschaft überzeugter Demokratinnen und Demokraten, sich einem solchen argumentativen Austausch zu stellen. Selbst wenn es ihnen dabei nicht gelingt, das Gegenüber »bloßzustellen«, gewinnen sie mit der öffentlichen Auseinandersetzung – virtuell oder nicht – eine Bühne für ihren Populismus.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre "Neonazis im Web 2.0: Erscheinungsformen und Gegenstrategien" von no-nazi.net und Netz gegen Nazis. Hier gibt es die Broschüre zum Download als PDF. Die Printversion ist vergriffen.