Cover des Ausstellungsbegleitbandes "Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945".
Metropol-Verlag

Von 1945 bis heute: Wie Rechtsextreme in Deutschland ihre Ideologie verbreiten

Die Ausstellung "Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945" in München und ihr Begleitband leisten einen Beitrag zur Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema Neonazis und andere rechte Akteure und die Unterstützung und Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements für einen antirassistischen und respektvollen Umgang miteinander.

 

Von Michael Lausberg

 

Seit der „deutschen Wiedervereinigung“ ist, von einigen Wellentälern abgesehen, ein Ruck nach rechts in der Politik und Gesellschaft der BRD festzustellen. Laut der Amadeu Antonio Stiftung starben seitdem mindestens 192 Menschen an den Folgen rechter Übergriffe und Gewalttaten. Seit der Flüchtlingsdebatte mit teilweise rassistischen Ressentiments aus der etablierten Politik hat sich das Problem nochmals verschärft, genauso wie die Asylgesetze. Das NS-Dokumentationszentrum München[1] setzt sich mit der Ausstellung "Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945" mit rechtsextremistischem Denken und Handeln auseinander: „Rechtsextremes, völkisch-nationales Denken und Rassismus (…) enden nicht 1945, sondern durchziehen als antidemokratische Einstellung, Menschenverachtung und rechte Gewalt die Geschichte der Bundesrepublik. Dem von den Befreiten des KZ Buchenwald am 19.April 1945 formulierten Schwur ‚Nie wieder‘ stand bald ein ‚Schon wieder‘ gegenüber, aus dem im Laufe der Jahrzehnte ein ‚Immer noch‘ wurde.“ (S. 8) Mit der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (a.i.d.a) ist auch eine zivilgesellschaftliche Organisation als Kooperationspartner an der Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum in München und deren Begleitband beteiligt.

Die Ausstellung dauert vom 25.11. bis 2.4.2018.

Die Begleitpublikation zeigt mit wissenschaftlichen Beiträgen, Erfahrungsberichten und einer Chronologie der wichtigsten Ereignisse exemplarisch die Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik seit 1945 auf:

Extrem rechte Einstellungen oder Morde sollen nicht nur aus historischer Perspektive behandelt werden, sondern zur Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen beitragen: „Das Klima in Deutschland hat sich verändert. Die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben, extrem rechtes Gedankengut ist bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Dies zeigen Untersuchungen wie die Münchener Studie zur ‚Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit‘, die eine deutliche Tendenz zur Abwertung von Minderheiten offenbart.“ (S. 6)

Der Band beginnt mit einem Geleitwort des Münchener Oberbürgermeisters Dieter Reiter. Dann folgt eine Aufsatzsammlung, die eigens für den Begleitband von namhaften Autoren in diesem Bereich geschrieben wurde. Im ersten Teil geht es um die extreme Rechte: Zu Beginn skizziert Wolfgang Benz grobe Leitlinien der extremen Rechten in der BRD seit 1945. Dann folgt ein Beitrag von Beate Küpper und Andreas Zick zur Gegenwartsgesellschaft aus soziologischer Sicht. Mit dem schwammigen Begriff des Rechtspopulismus und des Neonationalismus in der BRD und Europa setzt sich dann Alexander Häusler auseinander, bevor Christina Dinar und Cornelia Heyken rechte Propaganda im Internet und sozialen Netzwerken untersuchen. Dann folgt eine Auseinandersetzung des „wehrhaften Staates“ mit den extremen Rechten seit 1945 von Uwe Volkmann. Robert Andreasch beschäftigt sich mit rechten Attentaten in Bayern.

Im zweiten Segment geht es um Gegenstrategien. Dabei beginnt Miriam Heigl mit kommunalen Strategien, bevor Marcus Buschmüller sich mit der Arbeit der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (a.i.d.a) beschäftigt. Weiterhin geht es um die Initiative „Demokratie leben! Bayern gegen Rechtsextremismus“, die Arbeit mit betroffenen rassistischer Gewalt aus der Opferperspektive und die Arbeit von Exit-Deutschland in der Ausstiegsbegleitung von Neonazis. Anschließend geht es um zwei Fallstudien: Ulrich Chaussy setzt sich mit dem Oktoberfestattentat und seinen Folgen und Reaktionen auseinander, während Thies Marsen sich mit der juristischen Aufarbeitung des NSU beschäftigt.

Dann geht es um die Dokumentation der extremen Rechten von 1945 bis heute in einer chronologischen, nach Jahrzehnten gegliederten Abfolge. Bei den dabei benutzten Materialien, Bildern und Quellen wird auf Schwerpunkt auf Bayern und München gelegt.

Anschließend werden die „zehn wesentlichen Bestandteile der rechtsextremen Weltanschauung“ (S.8), die mit aktuellen Beispielen Einblick in das rechte Denken und die Verbreitungswege ihrer Inhalte geben. Dabei handelt es sich um die Themenfelder „Nationalchauvinismus“, „antidemokratisches Denken“, „Geschichtsrevisionismus“, „Antisemitismus“, „Fremdenfeindlichkeit“, „Rassismus“, „Islamfeindlichkeit“, „Antiziganismus“, „Sozialdarwinismus“ sowie „Sexismus, Antifeminismus und Homophobie“. Bei diesen Ideologemen wird immer auch auf die Anschlussfähigkeit dieses Denkens, das natürlich nicht streng voneinander abgrenzbar ist, an die Mitte der Gesellschaft hingewiesen.

Im Anhang findet ein zu kurzes Literaturverzeichnis, ein Abkürzungsverzeichnis, sowie ein Personen- und Sachregister.

 

Fehlstellen

Der Titel des Buches ist auf den ersten Blick irreführend, denn es beschäftigt sich lediglich mit dem rechten Extremismus in der BRD, nicht in der DDR. Für den inhaltlichen Aufbau des Buches wäre es besser gewesen, wenn das Kapitel Chronologie noch vor den Aufsätzen gestanden hätte. Dies hätte für einen Grundstock an Wissen gesorgt für das bessere Verständnis der Aufsätze.

Im Teil Ideologie fehlt das entscheidende Element des Ethnopluralismus, das vor allem in der rechten Zeitung „Junge Freiheit“, bei der NPD ab den 1990er Jahren und der DVU vertreten wurde und wird.  

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges haftete rechten Parteien und Organisationen in Westeuropa der Schatten des Hitler-Regimes und der Shoa an.[2] Dies manifestierte sich in ausbleibenden Wahlerfolgen, fehlenden Mitgliederzahlen, das Fehlen einer gesellschaftlichen Akzeptanz und eine allgemeiner Apathie. Als Reaktion darauf folgte eine Neubestimmung, um wieder tragfähige Konzepte zu entwickeln und auf Dauer wieder politisch erfolgreich zu sein. Diese Neuausrichtung wurde in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Begriff „Neue Rechte“ subsumiert, in England als „New Right“ und in Frankreich als „Nouvelle Droite“ bekannt.

Eine entscheidende inhaltliche Veränderung ist das Konzept des Ethnopluralismus, das vom französischen Philosophen und Vordenker der Nouvelle Droite, Alain de Benoist, entwickelt und zumindest in Frankreich durchgesetzt wurde. Diese Konzeptionen nehmen sich deutsche Rechte vor allem seit den 1970er Jahren zum Vorbild für die Ausarbeitung eigener politischer Programme. Der Ethnopluralismus präsentiert sich als ein Denken der Differenz zwischen Menschen. Alain de Benoist bemerkte: „Die Anerkennung der Differenz, sowohl bei einem Einzelnen wie auch bei einem Volk, ist die Anerkennung dessen, was seine Persönlichkeit, seine Identität ausmacht und den Einzelnen/das Volk unersetzlich werden läßt. Die Differenz leugnen heißt, die Menschen für beliebig auswechselbar zu halten.“[3] Durch die Tatsache untereinander verschiedener, vorgeblich in sich relativ einheitlicher menschlicher Kulturen sei die Menschheit als heterogen aufzufassen. Berührungen zwischen ethnisch bestimmten Gruppen lehnt die Neue Rechte prinzipiell ab, da Völker und Nationen durch „Vermischung“ ihre Einzigartigkeit verlören. Sie lehnen auch eine „Weltgesellschaft“ ab. Damit sind angebliche weltweite Vereinheitlichungstendenzen gemeint, die häufig als planmäßiger Vorgang dargestellt und an Organisationen wie den Vereinten Nationen festgemacht werden. Aus der Sicht von Alain de Benoist genießt das Individuum nicht Rechte aus sich selbst heraus; vielmehr werden sie durch Völker zugewiesen. Daher variieren die Rechte des Einzelnen von Volk zu Volk und können nicht weltweit gültig sein.[4]

Diese Vorstellung von Kultur unterscheidet sich nur marginal vom biologischen Rassismus, da der Ethnopluralismus nach einer ‚reiner‘ genetischer, kultureller und nationaler Identität aller ‚Völker‘ strebt. Anstelle einer Höhersetzung des eigenen „Volkes“ gegenüber anderen „Völkern“ stehen das nationale Selbstbestimmungsrecht und das Nebeneinander der „Völker“. Vorgegangen wird „nach dem Schema ‚X’ den ‚X’-en“, zum Beispiel „Deutschland den Deutschen“ oder „Grönland, den Grönländern“.[5]

 

Das Phänomen des „Institutionellen Rassismus“ findet ebenfalls zu wenig Beachtung. „Institutioneller Rassismus“ ist eine Form der Ausgrenzung, die durch Mechanismen und Maßnahmen in Institutionen wie der Polizei oder Verwaltung entsteht, und die bislang weitgehend unerkannt und somit unbearbeitet bleibt.[6] Von Seiten der Institution besteht zumeist nicht die vorsätzliche Absicht, Personen oder Personengruppen auszugrenzen. Trotzdem werden im Ergebnis bestimmte Personengruppen anders und in den meisten Fällen schlechter behandelt als andere.

Ein bekanntes Beispiel ist Racial Profiling. Als Racial Profiling bezeichnet man ein häufig auf Stereotypen und äußerlichen Merkmalen basierendes Agieren von Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamten, nach dem eine Person anhand von Kriterien wie „Rasse“, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Herkunft als verdächtig eingeschätzt wird und nicht anhand von konkreten Verdachtsmomenten gegen die Person.[7]

 

Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema

Insgesamt gesehen ist dies ein Buch zur Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema Neonazis und andere rechte Akteure und die Unterstützung und Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements für einen antirassistischen und respektvollen Umgang miteinander. Der Verweis, dass sich viele Versatzstücke rechten Denkens auch in der Mitte der Gesellschaft oder auch bei Wählern der Grünen oder der Linkspartei finden, ist richtig und wichtig. Die Kritik an dem Band ist oben bereits ausführlich genannt worden. Trotz dieser besitzt das Buch auch aufgrund der Expertenballung einen hohen inhaltlichen Wert und informiert über die drohende Gefahr von rechts und deren Gegenstrategien. Außerdem macht es Lust auf den persönlichen Besuch der Ausstellung.

 

Die Ausstellung

NS-Dokumentationszentrum München

29.11.2017 - 02.04.2018

https://www.ns-dokuzentrum-muenchen.de/immernoch/

 

Der Begleitband:

Winfried Nerdinger (Hrsg.):
Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945
Metropol Verlag, Berlin 2017
 ISBN: 978-3-86331-369-2
34 Euro

 




[1] Seit Beginn der 1990er Jahre hat München die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus mit Ausstellungen und Veranstaltungsprogrammen intensiviert. 2001/02 fasste der Stadtrat den Grundsatzbeschluss, ein NS-Dokumentationszentrum im Zentrum des ehemaligen Parteiviertels zu realisieren. Als Standort für das NS-Dokumentationszentrum stellte der Freistaat Bayern Ende 2005 das Gelände des ehemaligen ‚Braunen Hauses‘ zur Verfügung. 2006 wurden die Kellerreste des ‚Braunen Hauses‘ freigelegt, dokumentiert und abgebrochen. Im Sommer 2011 begannen die Baumaßnahmen. Die Fertigstellung des Neubaus erfolgte 2014, am 1. Mai 2015 öffnete das NS-Dokumentationszentrum München für Besucherinnen und Besucher.

[2] Pfeiffer, T.: Die Kultur als Machtfrage. Die neue Rechte in Deutschland, Düsseldorf o.J., S. 17

[3] JF 3/1993, S. 6

[4] Reinfeldt, S./Schwarz, R.: ,Ethnopluralismus` made in Germany, in: Kellershohn, H. (Hrsg.): Das Plagiat. Der völkische Nationalismus der Jungen Freiheit, Duisburg 1994, S. 213-232  hier S. 213

[5] Globisch, C.: 'Deutschland uns Deutschen, die Türkei den Türken, Israelis raus aus Palästina'. Ethnopluralismus und sein Verhältnis zum Antisemitismus, in: Globisch, C./ Pufelska, A./ Weiß, V.: Die Dynamik der europäischen Rechten. Kontinuität und Wandel, Wiesbaden 2011, S. 202-224  hier S. 203

 

 
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