Viele Täter, die Anschläge auf Flüchtlingsheime verüben, werden weiterhin nicht gefasst. Aber was erwartet diejenigen, die vor Gericht kommen? Ist es abschreckend genug? Belltower.News hat recherchiert.
Von Alina Darmstadt
Im Februar 2017 wurde der NPD-Politiker Maik Schneider wegen des Brandanschlags auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Nauen zu acht Jahren Haft verurteilt . Zusätzlich erhielt er für andere rechtsextrem motivierte Delikte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Einen weiteren Neonazi verurteilte die Staatsschutzkammer als Mittäter zu sieben Jahren Gefängnis.
Brandanschläge, Molotowcocktails, Hakenkreuz-Schmierereien, Aufmärsche mit Beleidigungen. Bewohner_innen von Geflüchtetenunterkünfte sind nicht nur in Gefahr, sondern müssen auch immer mehr erdulden. Immer mal wieder gibt es Prozesse und Urteile die auf ein großes mediales Interesse stoßen. Oft bleiben die Täter_innen aber unbekannt.
Dem Bundesjustizministerium selbst ist nicht bekannt, wie die Verfahren wegen rassistischer Straftaten ausgehen, denn es führt keine eigene Statistik. Vor allem Brandanschläge werden vor Gericht verhandelt und die Täter_innen verurteilt. Für 2016 listet die Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle insgesamt 3767 Angriffe auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte. Darunter allein 116 Brandanschläge. Mit den für 2015 gelisteten 125 ergeben sich für beide Jahre 241 Brandanschläge.
Aber wie sieht die Bilanz der Verurteilung in anderen Fällen aus? Kommt es überhaupt zur Anklage und wie fällt das Strafmaß aus?
Eine Recherchegruppe der ZEIT zeigt 2015, in wie vielen Fällen der 222 gelisteten schweren Attacken gegen Geflüchteten-Unterkünfte, Urteile gefällt wurden. Traurige Bilanz: lediglich 4 Verurteilungen und 8 weitere Fälle, in denen es zur Anklage kam. Das heißt, in 5% der Angriffe kam es überhaupt erst zum Prozess.
Warum kommt es so selten zur Anklage und Verurteilung?
Oft liegen die Gründe einfach in der Natur der Taten. Sie passieren nachts und Molotowcocktails und Stahlkugeln werden aus Autos gefeuert, sodass die Täter_innen schnell fliehen können. Brände zerstören alle Beweise und damit die Ermittlungserfolge. Ein weiterer Grund: Viele Geflüchtetenunterkünfte liegen abseits und niemand kann die Attacke bezeugen. Häufig scheinen auch Nachbarn die Attacken zu billigen, solange die Gebäude unbewohnt sind und niemand gefährdet wurde.
Amnesty International kritisiert weiterhin, dass ein einheitliches Schutzkonzept für Geflüchtetenunterkünfte fehlt und es immer wieder vorkommt, dass einschlägig vorbestrafte Rechtsextreme als private Sicherheitsmitarbeiter_innen für den Schutz der Einrichtungen beauftragt werden. Auch und vor allem in Ostdeutschland sinken die personellen Verfügbarkeiten der Polizei und die Ermittlungen werden erschwert.
241 Attacken – 26 Urteile nach Recherche
Im Fall des Brandanschlags mit einem Molotowcocktail in Hirschau äußerte der Angeklagte im Prozess: „Ich wollte die Asylbewerber nur erschrecken, wollte, dass es richtig bumm macht, ihnen zeigen, dass es so nicht geht“. Es scheint, als würden solche Fälle als legitimes Mittel des Protests gebilligt. Tatsächlich billigen hier die Täter_innen auch mögliche Verletzte oder Tote. So sehen es auch die Gerichte und Staatsanwaltschaften. Häufig lautete die Anklage “Brandstiftung“ oder versuchte Brandstiftung. Spätestens aber mit dem Prozess um die Gruppe „Freital“, die mehrere Sprengstoffanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte geplant hat, ist in den Anklageschriften vor Gericht eine deutliche Verschärfung erkennbar. Anklagen wegen versuchtem Mord und schwerer Körperverletzung dominieren die Schuldsprüche und die mehrjährigen Gefängnisstrafen. In der medialen Berichterstattung finden sich für den Zeitraum 2015/2016 Berichte über insgesamt 26 solcher Verurteilungen. Die Aufklärungs- und Urteilungsquote steigt damit zumindest auf 10% an.
Was kommt zur Anklage, wie wird verurteilt und bestraft? Gerichtsprozesse Sammlung 2015-2017
+++2015+++
- Escheburg - 09.02.2015 - Brandanschlag mit Farbverdünner, keine Verletzten
Urteil: Brandstiftung - Bewährungsstrafe zwei Jahre
Quelle: Spiegel
- Hofheim - 11.04.2015-Gaspistolenschüsse auf Flüchtlingsunterkunft
Urteil: stationäre Entwöhnung und Suchttherapie wegen Alkoholeinfluss
Quelle: FR
- 01.05.2015 - Vorbereitungen zur Begehung eines Sprengstoffanschlags auf eine bewohnte Asylbewerberunterkunft
Urteil: Anklage Mitglieder der rechtsextremen Vereinigung „Oldschool Society“; Bildung terroristischer Vereinigung, 2 Rädelsführer der Gruppe: fünf Jahre Haft; und viereinhalb Jahre Haft; 3. Angeklagte: Haftstrafe drei Jahre und zehn Monate, der 4. Angeklagter: drei Jahre Haft.
Quelle: Tagesspiegel, Süddeutsche
- Hoyerswerda - 03.06.2015 - Brandstiftung mit Molotowcocktail auf Flüchtlingsunterkunft
Urteil: Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten und Verstoß gegen das Waffengesetz – 1. Täter: Freiheitsstrafe neun Monate; 2. Täter: ein Jahr und vier Monate Haft; trotz zahlreicher Vorstrafen rechtsmotivierter Straftaten, wurden die Freiheitsstrafen für einen Zeitraum von drei bzw. fünf Jahren auf Bewährung ausgesetzt; 3. Täter: Verwarnung 150 Stunden gemeinnützige Arbeit; 4. Täter: Strafe 100 Euro.
Quelle: Zeit
- Meißen - 28.06.2015 - Anschlag auf unbewohnte geplante Flüchtlingsunterkunft mit Feuer und Wasser aus rassistischen Motiven
Urteil: Vorsätzliche Brandstiftung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch mit eindeutigem flüchtlingsfeindlichem Tatmotiv -1. Täter: drei Jahre und acht Monaten Haft; 2. Täter : drei Jahre acht Monate Haft
Quelle: Zeit
- Gruppe “Freital“ – Juli 2015 – Planung Sprengstoffanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte
Anklage: 7 Männer, 1 Frau angeklagt; Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung, versuchter Mord, gefährliche Köperverletzung und Sachbeschädigung, sowie Herbeiführung Sprengstoffexplosion. Bei den Ermittlungen gerieten auch die sächsischen Sicherheitsbehörden in den Fokus.
Quelle: Belltower News, MDR
- Remchingen - 17.07.2015 - Brandstiftung geplante Flüchtlingsunterkunft
Urteil: Brandstiftung drei Jahre Haft – keine Beziehungen zur rechtsextremen Szene; Staatsanwalt vermutet Auftragstat
Quelle: SWR, Mühlacker Tagblatt
- Nauen – 25.08.2015 - Brandanschlag „Nauener Zelle“ auf geplante Flüchtlingsunterkunft
Urteil: 5 Angeklagte: Bildung kriminelle Vereinigung; NPD-Politiker: acht Jahre Haft; 2. Täterin: Freiheitsstrafe ein Jahr und sechs Monate für andere rechtsextreme Delikte; 3. Täter: Mittäterschaft sieben Jahre Haft
Quelle: Tagesspiegel
- Salzhemmendorf 28.08.2015- Brandanschlag auf Asylbewerberheim
Urteil: Versuchter Mord und nachgewiesene rechtsextreme Gesinnung im Prozess -3 Täter: Freiheitsstrafen 8 Jahre; 7 Jahre; 4,5 Jahre
Quelle: Süddeutsche
- Porta Westfalica – 15.09.2015 - Brandanschlag auf Flüchtlingsunterkunft mit Molotowcocktails
Urteil: Versuchter Mord - drei Männer zu je 4 Jahren Haft, eine Frau Bewährungsstrafe 18 Monate
Quelle WDR GeneralAnzeigerBonn
- Altena - 03.10.2015 - Brandstiftung bewohnte Unterkunft mit sieben Bewohner_innen
Urteil: Schwere aber nicht menschengefährdende Brandstiftung. Haupttäter: sechs Jahre Haft; Nebentäter fünf Jahre.
Quelle: WDR
- Dresden-Prohlis – 07.10.2015 – Brandstiftung Benzingefüllte Falschen auf unbewohnte Unterkunft
Urteil: Brandanstiftung und Beihilfe zur Brandstiftung – 1. Täter: Haftstrafe 3 Jahre; 2. Täter: 3 Jahre Bewährung wegen Beihilfe; Drei weitere Männer und eine Frau unter Verdacht und in Untersuchtungshaft
- Crimmitschau - 12.11.2015 - Molotowcocktails auf Flüchtlingsunterkunft
Urteil: Versuchte schwere Brandstiftung und versuchter Mord – 1. Täter: fünf Jahre Haft; 2. Täter: viereinhalb Jahre Haft; 3. Täter: drei Jahre und neun Monate Haft
Quelle: Zeit
- Altenburg – 08.12.2015 - Brandanschlag auf bewohnte Geflüchtetenunterkunft
Urteil: Versuchte Brandstiftung– 1. Täter: dreieinviertel Jahre Haft und Alkoholentzug, 2. Täter: Geldstrafe von 1.200 Euro
Quelle: MDR
- Schlettau - 26.12.2015 - Brandanschlag auf geplante Fluchtunterkunft mit Molotowcocktails
Anklage: 4 Personen wegen schwere Brandstiftung sowie Herstellung und Führens verbotener Waffen
+++2016+++
- Mühlheim - 02.01.2016 - Bengalos gegen Fenster einer bewohnten Flüchtlingsunterkunft
Prozess vertagt
- Dreieich – 04.01.2016 - Schüsse auf Unterkunft – ein Verletzter
Urteil: Fahrlässige Körperverletzung und unerlaubter Waffenbesitz – 1. Täter: Haftstrafe dreieinhalb Jahre; 2. Täter: drei Jahre und neun Monate; 3. Täter: ein Jahr Bewährung
Quelle: Focus Hessenschau
- Reute - 10.01.2016 - Brandanschlag auf Geflüchteten -Unterkunft
Urteil: Schwere versuchte Brandstiftung, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung und Volksverhetzung mit rassistischer Gesinnung – 1. Täter: zwei Jahre und drei Monate Haft; 2. Täter: ein Jahr und zehn Monate
Quelle: Bildschirmzeitung
- Hirschau - 07.02.2016 - Molotowcocktail auf bewohnte Unterkunft mit 9 Bewohner_innen
Urteil: Versuchter Mord und versuchte schwere Brandstiftung - 4 Jahre und 6 Monate Haft
Quelle: Zeit
- Löbau - 18.02.2016 – Anschlag mit Molotowcocktails auf Asylbewerberheim
Urteil: Versuchte schwere Brandstiftung- 1. Täter: zwei Jahre und vier Monate Haft; 2. Täter: zwei Jahre und zwei Monate Freiheitsstrafe; 3. Täter: Verfahren noch nicht gestartet
Quelle: Bild
- Ahaus – Februar 2016 - Schüsse mit Schreckschusspistole auf Geflüchteten-Unterkunft
Urteil: Zwei Täter je sieben Monate Bewährungsstrafe; 1. Täter: Geldbuße 2000 Euro; 2. Täter: 150 Stunden gemeinnützige
Quelle: (WDR, Ruhrnachrichten)
- Bautzen 21.02.2016 & 13.12.2016 – Brandanschlag mit vier Brandsätzen auf Geflüchtetenunterkunft und Beleidigung/Behinderung der Löscharbeiten durch Schaulustige
21.02.2016 – Urteil Schaulustige: Behinderung Löscharbeiten, gefährliche Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung – Haft für 2 Täter: zweieinhalb beziehungsweise drei Jahre. Eine Verurteilung zu einem Jahr Bewährungsstrafe
13.12.2016 – Molotowcocktails auf Nebengelände Fluchtunterkunft
Untersuchungshaft für 3 Verdächtige und Ermittlung wegen Brandanschlag im Februar – Verfahren wegen mangelnder Beweise eingestellt
Quelle: MDR
- Eibenstock – 15.04. 2016 - Steinwurf Asylbewerberunterkunft
Urteil: Sachbeschädigung 1.200 Euro Strafe
Quelle: SZ
- Münster 27.04.2016 und 04.06.2016 - Brandanschläge auf unbewohnte Flüchtlingsunterkunft
Urteil: 1. Täter: fünf Jahre Haft; 2. Täter: zwei Jahre und neun Monate Haft, mit klar rassistischem Hintergrund
Quelle: Zeit
- Zwickau - 22.05.2016 – Brandanschlag mit Molowcocktails auf bewohnte Geflüchtetenunterkunft
Urteil: Versuchter Mord in 15 Fällen und versuchte schwere Brandstiftung (rechtsextreme Gesinnung deutlich) - 4 Jahre und 3 Monate Haft
Quelle: MDR
- Erbach - 17.09.2016 - Brandstiftung bewohnte Unterkunft
Anklage: versuchte schwere Brandstiftung sowie vorsätzliche Brandstiftung vorgeworfen
Quelle: SWR
- Herxheim - 04.12.2016 - Brandanschlag auf unbewohnte Flüchtlingsunterkunft
Urteil: Anklage gegen zwei Männer wegen Brandstiftung
Quelle: SWR
Die aufgeführte Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie basiert auf eigenen Recherchen und Presseberichten. Stand 14.06.2017