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September 2017: Antisemitismus

Zahl der antisemitischen Straftaten gestiegen +++ Israelischer Botschafter warnt vor AfD-Einzug in Bundestag +++ Wahlsieg der AfD schockiert Holocaust-Überlebende: „Wir haben einen Feind in Deutschland“ +++ Warum reagiert die Justiz bei "frecher Jude" nicht? +++ Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller kommt doch nicht auf Antisemitismus-Liste, hat aber ein Problem in der eigenen Partei +++ Bundesregierung beschließt einheitliche Antisemitismus-Definition +++ Frankfurt will keine Israel-Boykotteure dulden +++ Zielgruppe: "Judenhasser" +++ Zum Antisemitismus in der deutschen Linken +++ Beratungsstelle für Opfer von Antisemitismus und Rassismus in Düsseldorf eröffnet +++ Polen: Sorge über Antisemitismus +++ Antisemitische Rufe nach dem Derby von Offenbach und FSV Frankfurt

 

Zahl der antisemitischen Straftaten gestiegen

Antisemitische und antiisraelische Straftaten nehmen in Deutschland wieder zu. Wie aus einer am Freitag veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Fraktion hervorgeht, wurden in diesem Jahr bis zum 28. August 681 Straftaten gemeldet. Im Vorjahr waren es im selben Zeitraum 654 entsprechende Straftaten. Der Grünen-Politiker Volker Beck geht allerdings von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) forderte einen entschiedenen Einsatz gegen Antisemitismus. (Frankfurter Rundschau)

Auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, warnt angesichts der neuen Zahlen vor dem Erstarken rechter Parteien und Gruppierungen. "Rechtspopulismus und -extremismus haben stark zugenommen und wirken leider bis in die Mitte der Gesellschaft. Pegida und Co. sowie die AfD haben diesen Virus in Deutschland ausbrechen lassen", sagte sie laut Mitteilung am Freitag. "Wir erleben eine ungeahnte Renaissance antijüdischer Ressentiments und Verschwörungstheorien. Die Tabus sind gefallen." (Frankenpost) In einer Umfrage berichteten jüngst fast ein Drittel der Menschen mit jüdischem Glauben von verbalen Beleidigungen in den letzten zwölf Monaten. (Endstation Rechts)

Die jüdische Gemeinde in Frankfurt erlebt den Antisemitismus als gravierendes Problem. „Der Antisemitismus wächst“, stellt Rabbiner Avichai Apel fest. Dies sei ein globales Phänomen, weil Israel weltweit derzeit immer mehr isoliert sei. Auch in Deutschland erhielten Aufrufe zum Israel-Boykott vor allem im Internet immer mehr Aufmerksamkeit. (Focus)

Nach den Angaben des Bundesinnenministeriums wurden 632 der 681 antisemitischen Delikte von Rechtsextremisten begangen (93 Prozent). Nur bei 23 Fällen wird ein religiöser oder ausländisch motivierter Hintergrund unterstellt, dabei handelt es sich um Extremismus, der durch ausländische Themen bestimmt ist, beispielsweise um den Palästinenser-Konflikt. 25 Delikte lassen sich nicht zuordnen, in nur einem Fall wird ein linksextremes Motiv angenommen.

Zweifel an der Darstellung, von wem die antisemitischen Taten ausgehen, äußert Benjamin Steinitz, Leiter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Berlin. Es gebe eine „Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Betroffenen von antisemitischen Angriffen, Beleidigungen und Beschimpfungen und den polizeilichen Statistiken“, sagt Steinitz unter Berufung auf den Bericht des „Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“, der auf Anregung der Bundesregierung im April von namhaften Wissenschaftlern vorgelegt worden war.

Darin heißt es, fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten würden grundsätzlich immer dann dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität Rechts“ zugeordnet, „wenn keine weiteren Spezifika erkennbar“ und „keine Tatverdächtigen bekannt geworden sind“. So tauche der Schriftzug „Juden raus“ generell als „rechtsextrem motiviert“ in Statistiken auf, obwohl eine solche Parole auch in islamistischen Kreisen populär ist. „Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild über die Tatmotivation und den Täterkreis“, schrieben die Autoren des Expertenberichts. (Welt, SWR)

 

Israelischer Botschafter warnt vor AfD-Einzug in Bundestag

Der neue israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, empfindet einen möglichen Wahlerfolg der AfD bei der Bundestagswahl als Bedrohung. "Wenn eine Partei mit solchen antisemitischen Äußerungen erstmals in den Bundestag einziehen würde, wäre das sehr besorgniserregend! Solche Positionen dürfen sich nicht ausbreiten und dürfen keine öffentliche politische Bühne erhalten", sagte Issacharoff der Oldenburger "Nordwest Zeitung".

"Jede Partei, die judenfeindliche Einstellungen duldet oder sogar unterstützt, ist für Israel eine Bedrohung. Wir wissen es aus der Vergangenheit: Antisemitismus kann an einem Ort auflodern und breitet sich dann aus", sagte der Botschafter, der vor einer Woche seinen Dienst in Berlin angetreten hat. "Jeder, der ein Interesse daran hat, eine demokratische und tolerante Gesellschaft zu bewahren, sollte darüber beunruhigt sein." (n-tv, NWZ)

 

Wahlsieg der AfD schockiert Holocaust-Überlebende: „Wir haben einen Feind in Deutschland“

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu brachte in einem Telefonat mit Merkel seine Sorgen zum Ausdruck. Auch bei Holocaust-Überlebenden weckt der Rechtsruck schreckliche Erinnerungen.

Die Nachrichten über die Wahl im fernen Deutschland haben Berthe Badehi tief getroffen. "Ich bin sehr schockiert", sagt die 86-jährige Holocaust-Überlebende in Jerusalem. Alte Ängste seien in ihr wach geworden - etwa die Erinnerung, wie sie als Kind in Frankreich deutschen Besatzungssoldaten begegnete. In Israel sind viele Überlebende der Nazi-Diktatur entsetzt über den Einzug der rechten AfD in den Bundestag. Auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich besorgt über Antisemitismus in Deutschland. (Merkur)

 

Warum reagiert die Justiz bei "frecher Jude" nicht?

Der Musikprofessor Matitjahu Kellig wurde von einem rechtsextremen NRW-Politiker als „frecher Jude“ beschimpft. Die Justiz tut sich schwer, diesen antisemitischen Topos zu erkennen – und zu handeln. (Welt)

 

Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller kommt doch nicht auf Antisemitismus-Liste, hat aber ein Problem in der eigenen Partei

Berlins Regierender Bürgermeister hat sich die breite Kritik an seinem Umgang mit Antisemitismus in Berlin offenbar zu Herzen genommen. Wie der Zentralrat der Juden (ZDJ) am Mittwoch berichtete, habe der SPD-Politiker in einem Gespräch scharfe Maßnahmen gegen die Israel-Boykott-Bewegung "BDS" und den jährlich in der Hauptstadt stattfindenden Al-Kuds-Marsch angekündigt. Auch den Judenhass an Berliner Schulen wolle er bekämpfen. Das geht aus einer Pressemitteilung hervor.

Das Simon-Wiesenthal-Center aus Los Angeles hatte zuvor darüber nachgedacht, Müller in die jährliche Liste der zehn antisemitischsten Schmähungen aufzunehmen, da dieser sich nicht ausreichend gegen Judenhass positioniere.

Der stellvertretende Vorsitzende des Centers, Rabbi Abraham Cooper, kündigte in der "Jerusalem Post" jedoch an, dass Müller nach seinen Aussagen nicht auf der Liste landen werde. "Die Verurteilung des BDS und der Israel-Boykotte durch den Regierenden Bürgermeister sind genau die Statements, die nötig sind, um diese gegen den Frieden gerichtete, antisemitische Bewegung zu marginalisieren und zu besiegen", sagte Cooper der Zeitung. (Morgenpost, Berliner Zeitung)

Um sein Versprechen allerdings einzulösen, muss Müller auch in der eigenen Partei künftig härter durchgreifen. Beim Versuch, das islamisch-konservative Milieu als Wählerschaft für die SPD zu gewinnen, haben die Sozialdemokraten zuletzt auch die Zusammenarbeit mit Menschen nicht ausgeschlossen, deren politischen Überzeugungen sich weit außerhalb des gesellschaftlichen Konsens’ befinden und die offen israelfeindlich agitieren. (Tagesspiegel)

 

Bundesregierung beschließt einheitliche Antisemitismus-Definition

Die Bundesregierung hat beschlossen, sich der internationalen Definition von Antisemitismus anzuschließen. Dadurch soll erreicht werden, verschiedene Ausprägungen von Antisemitismus möglichst früh zu erkennen und zu bekämpfen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) stellte die Arbeitsdefinition gemeinsam mit Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in der Ministerrunde vor. "Wir Deutschen sind besonders wachsam, wenn Antisemitismus in unserem Land um sich zu greifen droht", sagte de Maizière.

Die Definition beruht auf Arbeiten der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA). Sie lautet: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen." (Zeit, FAZ, BNR)

 

Frankfurt will keine Israel-Boykotteure dulden

Die Stadt Frankfurt will Vertretern der Israel-kritischen BDS-Bewegung keine Räume mehr überlassen. Sie ruft auch private Saal-Vermieter zum Boykott der Boykott-Befürworter auf. Doch ist das Verbot rechtlich durchsetzbar? (Hessenschau)

 

Zielgruppe: "Judenhasser"

Facebook hat es Seitenbetreibern ermöglicht, gezielt antisemitische oder rassistische Nutzer anzusprechen oder Werbung für diese Zielgruppen zu schalten. Im Anzeigenmanager ließen sich Interessen wie "Wie verbrennt man Juden" oder "Ku-Klux-Klan" auswählen. Facebook hat die genannten Begriffe entfernt. In einem Test von SZ.de tauchten aber immer noch zahlreiche weitere fragwürdigen Kategorien auf. Das Unternehmen ist bereits mehrfach mit umstrittenen Werbemöglichkeiten in die Kritik geraten. (SZ)

 

Zum Antisemitismus in der deutschen Linken

„Aufklären und ächten ist die ständige Sisyphus-Arbeit! Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass in unserer Mitte Judenfeinde ihre Stimme erheben, offen oder verdeckt.“ Im Gespräch mit Martin Kloke über Antisemitismus in der Linken und das Verhältnis der deutschen Linken zu Israel. (JFDA)

 

Beratungsstelle für Opfer von Antisemitismus und Rassismus in Düsseldorf eröffnet

Rat und Prävention sind die Schwerpunkte. Wie notwendig diese Arbeit ist, belegt ein Forschungsprojekt der Hochschule Düsseldorf.155 Briefe, Postkarten und E-Mails aus den Jahren 1980 bis 2014 haben Lia Wagner und Joachim Schröder vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus ausgewertet. Gerichtet waren die Mitteilungen meist an die Jüdische Gemeinde. "Eine ganze Reihe auch mit vollem Namen", sagt Historiker Schröder. Zu lesen, was sich in den Köpfen der Absender zuvor zusammengebraut hat, fällt selbst den Wissenschaftlern immer wieder schwer. "Aber wir wollen zeigen, was ist", sagt Schröder, der auch Leiter des Erinnerungsortes Alter Schlachthof in Derendorf ist. (RP)

 

Polen: Sorge über Antisemitismus

Der Europäische Jüdische Kongress (EJC) hat sich besorgt über eine Zunahme antisemitischer Vorfälle in Polen gezeigt. In jüngster Zeit gebe es eine "merkliche Normalisierung von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Polen", erklärte EJC-Präsident Mosche Kantor am Donnerstag abend per Pressemitteilung. Er äußerte die Hoffnung, dass die nationalkonservative Regierung in Warschau "gegen den Hass ankämpfen" werde. (Junge Welt, Zeit)

 

Antisemitische Rufe nach dem Derby von Offenbach und FSV Frankfurt

Beim Fußballspiel zwischen den Offenbacher Kickers (OFC) und dem FSV Frankfurt haben nach Spielende Menschen aus dem OFC-Block die Beleidigung „Judenschweine“ in Richtung der FSV-Fans und der Mannschaft gerufen. (Merkurist)

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