Mit dem NSU-Prozess sind alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen? Das glauben weder die Angehörigen der Opfer noch das "Bündnis gegen Naziterror und Rassismus".
Screenshot Twitter, 04.07.2018

"NSU-Komplex nicht zu den Akten legen, keinen Schlussstrich ziehen!“

Nach 5 Jahren und über 430 Verhandlungstagen steht die Urteilsverkündung im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München kurz bevor. Am 21. Juni  ging die Plädoyer-Phase zu Ende, am 3. Juli wurden die letzten Worte der Angeklagten gehört. Nun steht mit dem 11. Juli der Tag der Urteilsverkündung fest. Mit der Kampagne „Kein Schlussstrich“ wird auf  eine antifaschistische Demonstration und Aktionen zum 11.07. in München und anderen Städten mobilisiert.

Initiator dieser Kampagne ist das Bündnis gegen Naziterror und Rassismus. Der Zusammenschluss aus antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen hat sich zusammengefunden, um staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus entgegen zu treten. Das Bündnis gründete sich vor Beginn des NSU-Prozesses 2013 und begleitete den Prozess seither kritisch. Rachel Spicker sprach mit Patrycja Kowalska, Pressesprecherin des Bündnisses, über offene Fragen im NSU-Komplex, die Forderungen der Familienangehörigen und Betroffenen und die Mobilisierung zum Tag X, dem 11.07, der „Kein Schlussstrich“-Kampagne.

Frau Kowalska, ein Ziel des Bündnisses ist es, staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus als solchen zu benennen und zu bekämpfen. Was gab es bisher für Aktionen rund um den NSU-Komplex und wie waren die Reaktionen darauf?

Neben kritischer Prozessbeobachtung und zahlreichen Aufklärungsveranstaltungen gab es zwei größere Aktionen, die wir initiierten. Zum Prozessauftakt haben wir am 13. April 2013 gemeinsam mit rund 200 Initiativen und Gruppen die Demonstration „Greift ein gegen Naziterror, staatlichen und alltäglichen Rassismus – Verfassungsschutz abschaffen!“ auf die Beine gestellt. Damals waren wir überwältigt und ermutigt von dem großen Interesse und Andrang der Menschen, ihren Unmut und ihre Solidarität auf die Straße zu tragen: es waren über 20.000 Menschen an der Demonstration beteiligt. Damit war es die größte antirassistische Demo in München seit 20 Jahren. Seitdem müssen wir feststellen, dass nie wieder so viele Menschen zum Thema NSU-Komplex auf die Straße gegangen sind. Auch sonst sind wir manchmal erschrocken darüber, auf wie wenig Wissen und Interesse wir in der Gesellschaft stoßen. Natürlich steigt die Aufmerksamkeit wieder mit Blick auf die Urteilsverkündung –  und wir wollen dafür sorgen, dass es auch nach Ende des NSU-Prozesses so bleibt. Eine weitere größere Aktion in Form einer Dauerkundgebung vor dem Oberlandesgericht München und einer Demonstration mit bundesweiter Beteiligung am Abend haben wir gemeinsam mit der Initiative „Keupstraße ist überall“ am 25. Januar 2015 organisiert.  Bei dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004 wurden mehr als 22 Menschen verletzt. Erst nach einem langen Streit wurden Betroffene der Keupstraße als Nebenklägerinnen und Nebenkläger zugelassen. Die juristische Auseinandersetzung hat sie immens viel Kraft gekostet. Mit der gemeinsamen Aktion wollten wir uns mit den Betroffenen solidarisch zeigen und sie bei ihren Aussagen vor Gericht unterstützen.
 

Was sind nach über 400 Verhandlungstagen die drängendsten Fragen, die im NSU-Prozess offen geblieben sind?

Eine grundlegende Frage, die bei jedem Mordprozess gestellt wird ist: Wie und warum wurden die Opfer ausgewählt? Nach fünf Jahren NSU-Prozess ist das nicht hinreichend geklärt. Wenn wir zum Beispiel aus einer bayerischen Perspektive schauen: Fünf der zehn Morde und ein Bombenanschlag fanden in diesem Bundesland statt. Wir wissen immer noch nicht, warum Theodoros Boulgarides in der Münchener Trappentreustraße in seinem Geschäft - welches er erst wenige Wochen vor dem Mord eröffnet hatte - erschossen wurde. Es wurde nicht geklärt, warum İsmail Yaşar in seinem Nürnberger Imbiss mit mehreren Schüssen kaltblütig ermordet wurde und wer möglicherweise Hinweise für den Standort seines Imbisses lieferte. Die Liste der ungeklärten Fragen ist lang. Im Prozess ist deutlich geworden, dass der NSU bestens in Bayern vernetzt war. Deshalb werden wir nicht aufhören zu fragen: wer waren die konkreten Unterstützer und Unterstützerinnen, wo sind sie heute und warum werden sie nicht zur Rechenschaft gezogen?

 

Im NSU-Umfeld gab es auch einige Unterstützerinnen, also Frauen, die aktiv waren...

Es gibt viele Beispiele für Unterstützerinnen. Wir wissen beispielsweise von den Unterstützungsleistungen durch Antje P. oder Mandy S.. Viel wichtiger ist mir noch mal der Blick auf Susan Eminger, die mit dem Angeklagten André Eminger verheiratet ist. Sie ist oft im Prozess zu sehen, häufig sitzt sie neben ihm - wahlweise händchenhaltend oder sogar knutschend. Sie sitzt somit zwar auf der Anklagebank, aber nicht als Angeklagte, sondern als Rechtsbeistand. Die Emingers waren gemeinsam mit ihren Kindern oft zu Besuch in der Zwickauer Frühlingsstraße, in der die Hauptangeklagte zusammen mit Mundlos und Böhnhardt wohnte. Susann Eminger lieh Zschäpe ihre Identität, zum Beispiel für eine Bahncard oder bei der Buchung von Urlauben. Auch als die Hauptangeklagte 2006 auf der Zwickauer Polizeiwache zum Wasserschaden in der Nachbarwohnung aussagen musste, gab sie sich als Susann Eminger aus. Zschäpe trug Kleidung von ihr, als sie sich 2011 der Polizei stellte. Susann war über Jahre hinweg eine der engsten Freundinnen. Durch ihre Unterstützung hat sie Zschäpe und den anderen geholfen, eine bürgerliche Fassade nach außen hin aufrecht zu erhalten und hat ihnen gleichzeitig selbst Momente der Normalität ermöglicht. All das ist im NSU-Prozess zur Sprache gekommen, dennoch ist sie bisher nicht angeklagt. Gegen sie läuft zurzeit ein Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft. Wir müssen den öffentlichen und gesellschaftlichen Druck wach halten, damit dieses und weitere Ermittlungsverfahren auch endlich mit Nachdruck geführt werden und zu Konsequenzen führen.

Was sind die Forderungen der Familienangehörigen und Betroffenen mit Blick auf Ende des NSU-Prozesses?

Besonders eindrücklich haben sich einige Betroffene und Familienangehörige der NSU-Mordopfer in den persönlichen Erklärungen während der Plädoyers ihrer Nebenklage-Anwält*innen geäußert.  So hat Gamze Kubaşık, die Tochter des ermordeten Mehmet Kubaşık, gegenüber der Bundesanwaltschaft gesagt:  „Sie haben vielleicht viel dafür getan, dass diese fünf hier verurteilt werden. Aber was ist mit den ganzen anderen? Ich glaube nicht daran, dass Sie noch irgendwann jemanden anderes anklagen. Für Sie ist die Sache doch hier abgeschlossen. […] Sie haben das Versprechen gebrochen!“ (vgl. NSU-Watch). Auch ihre Mutter und Ehefrau von Mehmet, Elif Kubaşık, machte deutlich, wie sehr sie die Frage nach den Helferinnen und Helfern des NSU belastet: „Warum Mehmet? Warum ein Mord in Dortmund? Gab es Helfer in Dortmund? Sehe ich sie vielleicht heute immer noch? Es gibt so viele Nazis in Dortmund. Für mich ist es so wichtig: Was wusste der Staat?“  (vgl. NSU-Watch). Ismail Yozgat, Vater des ermordeten Halit Yozgat, fordert immer noch eine Ortsbegehung des Tatorts, um die staatliche Verwicklung durch den Verfassungsschützer Andreas Temme aufzuklären: „Denn bei der Ortsbegehung werden Sie feststellen, dass Temme gelogen hat“.  Ohne eine Ortsbegehung könne er ein Urteil nicht anerkennen (vgl. NSU-Watch). Viele Betroffene und Familienangehörige haben deutlich gemacht, dass eine Urteilsverkündung im NSU-Prozess für sie kein Schlussstrich bedeutet und auch nicht bedeuten kann. Zu viele Fragen sind immer noch unbeantwortet und eine umfassende Aufklärung wurde verhindert.

Wir haben gerade schon darüber gesprochen, dass weiterhin ungeklärt ist, wer den NSU an den jeweiligen Tatorten unterstützt hat. Wie sieht es mit der Verwicklung der Sicherheitsbehörden aus?

Sowohl in der Anklageschrift als auch im Plädoyer der Generalbundesanwaltschaft werden die behördlichen Ermittlungen und die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex nicht thematisiert und problematisiert. Ungeklärt bleibt damit nicht nur die staatliche Verwicklung in den NSU-Komplex - auch der institutionelle Rassismus, den die Opferangehörigen und Betroffenen nach den Taten erfahren mussten, bleibt damit unberücksichtigt und ohne Folgen. Die Nebenklageanwältinnen und –anwälte haben mit Beweisanträgen immer wieder versucht, die staatliche Verwicklung im Prozess zu thematisieren und aufzuklären. Durch ihre Arbeit ist unter anderem bekannt geworden, dass um die vierzig V-Personen im Umfeld des NSU zu finden waren. In dem Buch „Kein Schlusswort“ sind einige der herausragendsten Plädoyers der Nebenklage zusammenhängend publiziert worden. Darin sind auch die Plädoyers der Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens und des Nebenklageanwalts Sebastian Scharmer enthalten, die zeigen, welche V-Personen rund um den NSU eingesetzt wurden, was welche Verfassungsschutzämter zu welchen Zeitpunkten wussten und welche großen Lücken nach fünf Jahren Prozess weiterhin ungeklärt bleiben. Unaufgeklärt bleiben für uns zum Beispiel folgende Fragen: Fragen bezüglich der wiederholten, planmäßigen Vernichtung relevanter Akten; Fragen zur Rolle des Verfassungsschützers Andreas Temme, der sich im Internetcafé Halit Yozgats aufhielt, als dieser ermordet wurde, und angeblich nichts bemerkt haben will. Fragen zu V-Mann Piatto, der schon 1998 wichtige Hinweise über die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe weitergab. Fragen zu Ralf Marschner, der als V-Mann Primus im Kontakt mit den Untergetauchten gestanden haben soll. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Der Verfassungsschutz hat an vielen Stellen den NSU ermöglicht und unterstützt, das muss man auch so benennen. Deshalb fordern wir als Bündnis die Abschaffung des Verfassungsschutzes.

Wie schätzt ihr die Rolle des Verfassungsschutzes heute ein? Was hat sich seit Auffliegen des NSU und fünf Jahre Prozess geändert?

Der Verfassungsschutz ist aus unserer Perspektive gestärkt aus dem NSU-Prozess hervorgegangen. Das lässt sich zum Beispiel anhand des Verfassungsschützers Gordian Meyer-Plath zeigen. Seit seiner Studienzeit gehört Meyer-Plath der Burschenschaft Marchia Bonn an, beim Verfassungsschutz Brandenburg war er zwischen 1994 und 2000 einer der V-Mann Führer von Carsten Szczepanski alias „Piatto“. Piatto wurde 1995 wegen versuchten Mordes an Steve Erenhi zu acht Jahren Haft verurteilt. Während seiner Haftzeit ist er vom Verfassungsschutz Brandenburg angeworben worden. Dadurch verbesserten sich seine Haftbedingungen und es wurde ihm sogar ermöglicht, sich weiterhin für die rechte Szene zu engagieren, indem er z.B. Neonazi -Fanzines im Gefängnis produzieren und nach außen vertreiben konnte. Zusätzlich wurden Szczepanski besondere Zuwendungen und etliche Freigänge ermöglicht. Sein V-Mann Führer Meyer-Plath hat vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zugegeben, dass Szczepanski im Spätsommer 1998 Informationen über Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gegeben hatte und auch zu Jan W. und Antje P. Informationen lieferte, die die drei unterstützten. Auch gab Piatto Hinweise, dass die drei Waffen beschaffen und im Ausland untertauchen wollten. Obwohl es daraufhin ein Treffen zwischen dem Verfassungsschutz Thüringen, Brandenburg und Sachsen gab, wurden die Informationen nicht an die Polizei weitergegeben. Die hätte eine Festnahme von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt veranlassen können. Für diese schwerwiegenden Fehler ist Meyer-Plath mitverantwortlich. Sie taten seiner Karriere aber keinen Abbruch – im Gegenteil. Seit Sommer 2013 ist er Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes. Insgesamt konnte der Verfassungsschutz nicht nur seinen gesellschaftlichen Ruf wiederherstellen, sondern sogar seine Befugnisse ausweiten.

Auch sehen wir anhand aktueller Debatten eine gestärkte Position des Verfassungsschutzes. Nur zwei kurze Bespiele: Ende 2017 hat die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen angekündigt, in Zukunft alle geförderten Demokratievereine vom Verfassungsschutz durchleuchten zu lassen. Die Ankündigung wurde erst zurückgenommen, nachdem es breiten öffentlichen Protest gegeben hat. Auch wurde vor kurzem bekannt, dass zivilgesellschaftliche Demokratieprojekte vom Verfassungsschutz überprüft wurden. Initiativen und Personen, die sich seit Jahren für Betroffene rechter Gewalt und gegen Rassismus, Antisemitismus und andere menschenverachtende Ideologien einsetzen, werden hier als „Extremisten“ dargestellt. Das sind untragbare Zustände, über die wir reden müssen und die wir nicht hinnehmen wollen. Die Überprüfung ist mit dem Verfassungsrecht auch nicht vereinbar, wie ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Initiativen mit einem Gutachten festgestellt hat (vgl. http://www.bundesverband-mobile-beratung.de/wp-content/uploads/2018/06/2018-06-14-Gutachten-BMB-VBRG-BAGD.pdf). 

Auch aktueller rechter Terror lässt sich nicht losgelöst vom NSU betrachten…

Feststeht, der NSU steht in einer Kontinuität rechter Gewalt in der BRD und dafür gibt es einige Beispiele. Das sehen wir an dem Prozess um die „Gruppe Freital“, der „Oldschool Society“ aus dem letzten Jahr oder dem immer noch nicht eröffneten Verfahren um Mitglieder der Gruppe „Weiße Wölfe Terrorcrew“ in Bayern, die wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Vorbereitung eines Explosionsverbrechens angeklagt wurden. Die Staatsanwaltschaft Bamberg erhob vor 21 Monaten Anklage, das zuständige Gericht hat die Zulassung noch nicht geprüft und die Angeklagten sind zurzeit auf freiem Fuß. Die bayerischen Behörden weigern sich auch, das Attentat auf das Olympiaeinkaufszentrum in München vom 22. Juli 2016 als rechten Terror anzuerkennen, obwohl das politische Tatmotiv durch wissenschaftliche Gutachten belegt ist. Zusätzlich berichtet der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt weiterhin von konstant hohen Angriffszahlen. Die Wahlerfolge der AfD spiegeln ein gesellschaftliches Klima wider, welches von Hass und Hetze geprägt ist und dazu beiträgt, dass Menschen sich zu rechten und rechtsterroristischen Gewalttaten ermutigt fühlen. Wir haben also immer noch das Problem, dass rechter Terror nicht als solcher benannt und damit bagatellisiert wird.

Was habt Ihr für das Ende des NSU-Prozesses geplant und warum ist dieser Tag so wichtig?

Am 11. Juli wollen wir unter dem Motto „Kein Schlussstrich“ bundesweit gemeinsam auf die Straße gehen und vor allem in München Präsenz zeigen. Von 8 Uhr bis etwa 18 Uhr organisieren wir eine Kundgebung vor dem Gericht mit einem umfangreichen Bühnenprogramm. Daran beteiligen sich viele Initiativen, die seit Jahren zum Thema arbeiten: NSU-Watch, das Tribunal NSU-Komplex Auflösen, die Initiative 6.April zur Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat, Betroffene des Keupstraßen-Anschlags und viele weitere. Das heißt, egal wie lange der Prozess an diesem Tag dauert, wir sind vor Ort. Um 18 Uhr wird vom Gericht aus die große »Kein Schlussstrich«-Demonstration durch München ziehen. Für alle, die an diesem Tag nicht nach München reisen können, wird es dezentrale Aktionen geben. Auch wird es Audio- und Videoübertragungen geben, damit so viele wie möglich am Geschehen teilnehmen können. Denn unserer Kampagne „Kein Schlussstrich“ haben sich bundesweit Initiativen und Gruppen angeschlossen. In Berlin, Hamburg, Dortmund, Leipzig, Rostock, Kiel und Göttingen und weiteren Städten wird es eigene Aktionen am 11. Juli geben. Eine Übersicht dazu gibt es auch auf unserer Website (https://nsuprozess.net/anreise-tag-x-bundesweit/). Mit einer Reihe kurzer Videoclips, die aktuell gestartet ist, wollen wir vermitteln, dass der 11. Juli - Tag X- näher rückt und Richtungen einer Zukunftsperspektive der Aufklärung und Auflösung des NSU-Komplexes aufzeigen.

 

 

Der Tag der Urteilsverkündung ist so wichtig für uns, weil wir uns mit den Betroffenen und den Familien der Opfer solidarisch zeigen. Wir wollen genau an diesem Tag, wenn das Gericht die Aufklärung beendet, weitere Aufklärung einfordern: Der NSU-Komplex ist nicht mit der Urteilsverkündung abgeschlossen, es gibt weiterhin mehr Fragen als Antworten, wir haben Forderungen! Die Deutungshoheit über den NSU-Komplex gehört nicht allein der Bundesanwaltschaft oder dem Gericht, sondern uns als kritischer Zivilgesellschaft. Wir werden den NSU-Komplex nicht zu den Akten legen, wir werden keinen Schlussstrich ziehen.

 

Wie kann eine gemeinsame Arbeit nach der Urteilsverkündung aussehen?

Wir wünschen uns, dass es weiterhin Aufklärung zum NSU-Komplex aus unterschiedlichen Perspektiven gibt, z.B. in Form von Veranstaltungen, Demonstrationen oder in Form wissenschaftlicher Analysen. Für uns heißt das konkret, die gesellschaftlichen Grundlagen zu bekämpfen, die den NSU ermöglicht haben und auch heute noch rechten Terror ermöglichen, also Rassismus und Antisemitismus. Dazu gehört es, rassistischen und antisemitischen Aussagen im Alltag zu widersprechen, konsequent über neonazistische Strukturen aufzuklären und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht entfalten können. Der NSU-Komplex hat auch einen Reflexionsprozess der eigenen politischen Praxis angestoßen, mit dem wir uns weiter beschäftigen. Denn auch antifaschistische Gruppierungen haben damals die Forderungen der Betroffenen und Hinterbliebenen der NSU-Mordopfer nicht gehört. Eine weitere Aufarbeitung muss Anliegen und Forderungen der Betroffenen und Familien der Opfer zentral setzen und diese unterstützen.

Auch die politische Aufarbeitung ist noch nicht am Ende. Schauen wir zum Beispiel nach Hamburg: Es ist das einzige Tatortbundesland, das bisher keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingerichtet hat. Hier unterstützen wir die Forderungen der „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü“  und seines Bruders Osman Taşköprü nach der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses und einer unabhängigen Untersuchungskommission mit Beteiligung der Familie Taşköprü. Bis heute wurde sich nicht bei der Familie für die rassistischen Ermittlungen entschuldigt, eine angemessene Entschädigung fand nicht statt. Aufklärung und politische Konsequenzen sind notwendig, reichen aber nicht aus. Der Forderung der Familie Yozgat, die Holländische Straße, in der Halit Yozgat geboren wurde, gearbeitet hat und ermordet wurde, in Halitstraße umzubenennen, wurde ebenfalls nicht nachgekommen. Wir brauchen zusätzlich eine Erinnerungskultur und Gedenkpolitik – sowohl von staatlicher als auch zivilgesellschaftlicher Ebene - die sich an den Bedürfnissen und Forderungen der Betroffenen und Familienangehörigen orientiert. Auch hier sagen wir „Kein Schlussstrich!“ und setzen uns weiterhin für ein solidarisches und würdevolles Gedenken der NSU-Opfer ein.

 

Mehr auf der Website des "Bündnisses gegen Naziterror und Rassismus": 

https://nsuprozess.net/anreise-tag-x-bundesweit/

Auf Facebook: https://www.facebook.com/nsuprozess/

Auf Twitter: https://twitter.com/KSchlussstrich

 

Pressekonferenz der bundesweiten Kampagne "Kein Schlussstrich" am 10.07.2018, Aktionstag am 11.07.2018

Am 11.07.2018 beginnt die Urteilsverkündung im Rahmen des NSU-Prozesses. Während im Gerichtssaal die letzten Worte des Prozesses gesprochen werden, demonstriert die bundesweite Kampagne Kein Schlussstrich ab 8 Uhr morgens ganztägig vor den Türen des Gerichts. Es werden Überlebende und Angehörige der Opfer des NSU-Terrors sowie unterstützende Initiativen aus ganz Deutschland erwartet.
Um 18 Uhr wird der Protest mit einer lautstarken Demonstration durch München ziehen, um an die 10 Mordopfer des NSU-Netzwerks zu erinnern.

Am 10.07.2018 wird um 12:30 Uhr, eine Pressekonferenz der Kampagne Kein Schlussstrich stattfinden, mit Initiativen aus dem gesamten Bundesgebiet, zu der wir Sie herzlich einladen. Nähere Informationen demnächst.
 
Ein festes Kundgebungsprogramm wird demnächst auf unserer Homepage veröffentlicht. Die bundesweite Beteiligung an der Kampagne wird hier stetig aktualisiert: https://nsuprozess.net/anreise-tag-x-bundesweit/

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