Seit Dezember 2013 prüft das Bundesverfassungsgericht ein erneutes NPD-Verbotsverfahren. Das erste wurde 2003 aufgrund von Verfahrensfehlern eingestellt. Nach dem Brandanschlag in Tröglitz erhielt die Debatte neuen Aufwind. Neben der Frage nach den tatsächlichen Erfolgsaussichten der Verbotsbemühungen stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Parteiverbots. Wäre ein Verbot der NPD überhaupt zielführend, oder handelt es sich um bloßen Aktionismus, der den Fokus von wesentlichen Problemen ablenkt? Unter anderem mit dieser Frage beschäftigte sich der Jurist und Publizist Horst Meier in dem Sammelband „Verbot der NPD – Ein deutsches Staatstheater in zwei Akten“.
Von Johannes Riedlberger
Im Rahmen einer Pressekonferenz in der Amadeu Antonio Stiftung am 29.04.2015 in Berlin erläuterte Horst Meier seine Thesen. Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, und Anetta Kahane, Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung, kommentierten.
Gesetzliche Voraussetzung für ein Parteiverbot nicht erfüllt
Horst Meier sieht die im Grundgesetz verankerten Voraussetzungen für ein Parteiverbot bei der NPD nicht gegeben. So heißt es in Artikel 21, Absatz II:
„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“
Nach Auslegung des Bundesverfassungsgerichts reicht dabei eine bloße verfassungsfeindliche Haltung nicht aus, die freiheitlich demokratische Grundordnung muss durch eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gefährdet sein. Für Meier geht von der NPD keine direkte Gefährdung der Demokratie mehr aus. Die Partei sei „auf dem absteigenden Ast“, und „konstitutionell unfähig, die freiheitlich demokratische Grundordnung dieses Staates zu beeinträchtigen oder gar zu beseitigen“. Für ihn bestünde eine Gefährdung der Demokratie nur im Falle einer legalen Machtergreifung, oder durch die Ausübung militanter Gewalt, etwa durch „SA-ähnliche Schlägertrupps“.
Parteiverbot als „ideologischer Kampf“
Horst Meier vermutet, bei den aktuellen Anstrengungen für ein Parteiverbot handle es sich um Populismus – es sei eine rein „symbolische Verbotspolitik“. So werde eine tatsächliche Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Einstellungen vermieden. Ein Parteiverbot als Präventivmaßnahme sei ein „ideologischer Kampf“ und damit undemokratisch. In einer Demokratie gehe es um Meinungsfreiheit, den Streit um Ideen und um das Recht auf Opposition. Diese Grundwerte unserer demokratischen Gesellschaft würde, so Meier, durch ein Parteiverbot verletzt. Nicht umsonst existiere in alten Demokratien wie zum Beispiel in Großbritannien und den USA keine Möglichkeit für ein Parteiverbot.
Ein NPD-Verbot bekämpft nicht die Wurzel
Auch Volker Beck steht einer Verbotspolitik kritisch gegenüber. Rechtsextreme würden sich immer wieder neue Hüllen suchen. Erst das Verbot rechtsextremer Vereine im vergangenen Jahrzehnt hätte der NPD überhaupt zu einem Aufschwung verholfen.
Eine Fokussierung auf die NPD gehe an der Sache vorbei. „Was die NPD macht, geht auch gleichermaßen von anderen Gruppierungen aus“, so Beck. Menschenfeindliche Einstellungen finden ebenso bei Pegida, HoGeSa, der AfD und sogar in der Mitte der Gesellschaft Verbreitung. Es sei wichtig, diese Einstellungen an der Wurzel zu bekämpfen. Ein NPD-Verbot ändere daran nichts. Außerdem verdränge die Verbotspolitik andere zielführende Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.
Zusätzlich verwies Beck auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), in der die Voraussetzungen für Parteienverbote wesentlich strenger seien als in der Bundesrepublik. Die Verbote der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in den 50er Jahren verteidigte Beck: „Die frühe Bundesrepublik war noch keine gefestigte Demokratie“. Aus dem zeitlichen Kontext heraus sei es nachvollziehbar gewesen, Parteien präventiv, also bereits aufgrund einer möglichen Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung, und nicht aufgrund einer tatsächlichen Gefährdung, zu verbieten. Die Zivilgesellschaft sei damals noch nicht ausreichend gefestigt gewesen. Einer verfassungsfeindlichen Partei sei es heute, alleine durch die starke zivilgesellschaftliche Kontrolle, gar nicht mehr möglich, die bundesdeutsche Demokratie ernsthaft zu gefährden. Die Erfolgschancen eines NPD- Verbotsverfahrens schätzte Volker Beck gering ein. Für ein Verbot müssten eindeutige organisatorische Verstrickungen der NPD mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) nachgewiesen werden. Dies sei im Moment jedoch nicht möglich. „Ich sehe aktuell nicht die Voraussetzungen für ein NPD-Verbot“, so Beck.
Es muss eine gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung geben
Auch Anetta Kahane äußerte sich gegen ein NPD-Verbot. Wie Horst Meier und Volker Beck hält auch sie eine Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch die NPD für unwahrscheinlich. „Es muss eine gesellschaftliche Debatte, und eine politische Auseinandersetzung geben“, forderte sie. Ein NPD-Verbot würde nichts an rechtsextremen Einstellungen, und der Gewaltbereitschaft durch Neonazis ändern. Auch ohne die NPD hätten Kameradschaften und andere militante rechtsextreme Organisationen weiterhin Zulauf. Die Kosten eines Verbotsverfahrens dürfe man nicht unterschätzen, so Kahane. Das Geld solle lieber zur Stärkung der Zivilgesellschaft eingesetzt werden. Zivilgesellschaftliche Initiativen könnten am effektivsten dazu beitragen, Rechtsextremismus vor Ort in den Kommunen zu bekämpfen.
Das Buch:
Horst Meier: '
Verbot der NPD – ein deutsches Staatstheater in zwei Akten. Analysen und Kritik 2001–2014.
(mit Gastbeiträgen u. a. von Hans Magnus Enzensberger, Eckhard Jesse, Wolfgang Kraushaar, Claus Leggewie, Johannes Lichdi, Volker Neumann und Peter Niesen sowie einem Gespräch mit Bernhard Schlink)
Berliner Wissenschafts-Verlag
398 Seiten
69 Euro