Nach dem Tod eines 22 Jahre alten Mannes in der sachsen-anhaltinischen Stadt Köthen hatten am Sonntagabend, den 09. September 2018, rund 2.500 Menschen, größtenteils Rechtsextreme, an einem „Trauermarsch“ teilgenommen, zu der unter anderem Neonazi-Kader in sozialen Netzwerken aufgerufen hatten.
Von Zamira Alshater
In Köthen war es in der Nacht zum Sonntag zum Streit zwischen mehreren Männern auf einem Spielplatz gekommen. Gegen zwei Afghanen wird nun wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt, sie sitzen in Untersuchungshaft. Denn einer der Männer, der Deutsche Markus B. (22 Jahre), starb nach dem Streit im Krankenhaus an Herzversagen. Der Tote ist der Bruder eines lokalen rechtsextremen Intensivtäters.
Ähnlich wie in Chemnitz, wird der Todesfall auch in Köthen nun von Rechtsextremen missbraucht. Ihre Idee ist, Köthen zu einem zweiten Chemnitz zu machen. In der sächsischen Stadt sind in den vergangenen Wochen tausende Rechtsextreme und angeblich nur „Besorgte“ auf die Straßen gegangen und haben Migrant*innen, Gegendemonstrant*innen und Journalist*innen angegriffen.
Rechtsextremer Demo-Teilnehmer mit einem Rechtsrock-Bandshirt und dem Symbol des Ku-Klux-Klans.
Für den Sonntag nach Köthen mobilisierten innerhalb weniger Stunden unter anderem die Neonazi-Kader Tommy Frenck, David Köckert, Dieter Riefling und Sebastian Schmidtke, außerdem einige NPD-Accounts und die Splitterpartei „Die Rechte“. Außerdem war der Köthener Neonazi Steffen Bösener maßgeblich an der Mobilisierung verbreitet. Der Blog „Runter von der Matte“ bezeichnet den Kampfsportler Bösener als „Urgestein der rechten Szene in Sachsen-Anhalt“. Der ehemalige NPD-Kandidat betrieb in Köthen das rechte Ladengeschäft „Nordic Flame“ und produzierte Rechtsrock über sein Label „Odinseye Records“. Letztendlich folgten rund 2.500 Menschen dem spontanen Aufruf – das ist erschreckend.
Sebastian Schmidtke (Cap), NPD-Mann und Neonazi-Kader aus Berlin, trägt Shirt eines rechtsextrmen Kampfsport-Events ("Kampf der Nibelungen")
So rechtsextrem wie einige der genannten Hauptagitatoren, war auch das angesprochene Publikum, das nach Köthen gereist ist. Es war eine Mischung aus finanziell Abgehängten aus der Region, überregionalen Neonazi-Größen, Personen aus der Rechtsrock- und Kampfsport-Szene und rechtsextremen Hooligans an.
Zunächst traf sich die rechte Truppe gegen 19 Uhr am Friedenspark in Köthen. Zwar nicht schweigend, doch auch keine Parolen grölend zog der braune Mob dann in Richtung Tatort, zu einem Spielplatz. Auch hier gab es zunächst keine Reden oder Parolen, bis David Köckert ans Mikrofon trat und seine nur so vor NS-Ideologie triefende Rede hielt.
David Köckert (l.) und Alexander Kurth (r.)
Köckert entstammt der Kameradschafts-Szene und ist bestens vernetzt. Von 2013 bis 2014 war Köckert AfD Mitglied, danach war er bis 2016 bei der NPD. Seither ist er gemeinsam mit Alexander Kurth (Die Republikaner) Initiator des thüringischen „Pegida“-Ablegers „Thügida“. Köckert ist ein klassischer NSler und so ist es auch nicht verwunderlich, dass er bei seiner Rede am späten Sonntagabend auch tief in die rhetorische Nazi-Kiste griff. So krakeelte er „Wir müssen endlich erwachen.“ Dann droht er mit einer verdächtig volksverhetzenden Aussage: „Das einzige was funktioniert, ist, wenn man diesen scheiß …. wenn ihr vor deren Türen auf sie wartet und denen genau das gebt, was sie uns zumuten. Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Der biblische Ausspruch „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wurde auch von Adolf Hitler während seiner Sportpalastrede 1942 verwendet. In der Rede damals, ging es darum, dass „die Juden […]die europäischen arischen Völker“ zwar gerne ausrotten wollen, nach Ende des Krieges das Judentum jedoch vernichtet seien würde. Große Teile des rechtsextremen Publikums werden diese Anspielung verstanden haben.
Der 50-jährige, bundesweit als militanter Neonaziredner auftretende Hildesheimer Dieter Riefling, ehemaliger Kader der 1995 verbotenen FAP, der dem Umfeld von „Blood and Honour“ sowie den „Freien Kräften“ zugerechnet wird, hielt eine Rede.
Dann faselt Köckert, dass das deutsche Volk momentan abgeschlachtet wird (nur noch mal zur Erinnerung: Der Tote Markus B. ist nach derzeitigem Kenntnisstand an einem Herzinfarkt gestorben). „Ich kann euch sagen: 89. War ein Possenspiel dagegen, wenn wir noch einmal die Macht Bekommen, dann werden sich diese Flitzpiepen im dunklen Kellerverlies wiederfinden.“
Neonazi Christian Fischer (l.) am Sonntag in Köthen. Auch in Chemnitz war er stets dabei. Nach dem Aus der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ wurde Fischer Landesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten (JN). 2014 nahm er am Aufmarsch der gewaltbereiten „Hooligans gegen Salafisten“ in Hannover teil. Fischer besuchte gen Ende öfters den NSU-Prozess. Mit weiteren Kameraden hörte er sich Teile der Plädoyers von Andre Emminger und Ralf Wohlleben an.
Sowohl in Chemnitz wie nun auch in Köthen seien keine Neonazis auf die Straße gegangen, sondern nur ganz normale Mütter und Väter, so der Mann, auf dessen linker Gesichtshälfte eine schwarze Sonne prangert, jenes Symbol, dass die Neonazi-Szene als Hakenkreuz-Ersatz für sich beansprucht.
Köckert fabuliert schließlich weiter vom „Rassenkrieg gegen das deutsche Volk“. Man müsse sich wehren stachelt er sein Publikum auf: „Wollt ihr weiterhin die Schafe bleiben, die blöken, oder wollt ihr zu Wölfen werden und sie zerfetzen?“ Auch die Metapher vom Schafen und Wölfen ist nicht etwa auf Köckerts Mist gewachsen. Auch hier hat er einen prominenten Ideengeber. NS-Reichspropagandaminister Joseph Goebbels schrieb 1928 in einem Leitartikel des Völkischen Beobachter: „Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. […] Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“ Auch Björn Höcke bedient sich gerne der Goebbels Rhetorik.
„Der 9. November ist ein Schicksalstatg für das deutsch Volk“ grölte Köckert schließlich weiter. Ob Köckert hier vom Fall der Mauer spricht oder von der Reichspogromnacht 1938, wissen wir nicht, haben aber eine Vermutung. Die Thüringer Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuß hat nun Strafanzeige gegen Köckert wegen Volksverhetzung gestellt.
Christian Häger (L.), langjähriger Kameradschaftler ist Vorsitzender des Vorstandes der „Jungen Nationalisten“ der Jugendorganisation der NPD. Häger gilt als führender Kader des neonazistischen „Aktionsbüros Mittelrhein“ und wichtiger Akteur in der Kameradschaftsszene von Rheinland-Pfalz, so „Blick nach rechts“. Zuletzt trat Häger öffentlich in Erscheinung als Organisator und Versammlungsleiter des geschichtsrevisionistischen Rudolf-Heß-Gedenkmarsches in Berlin-Spandau. Auch Lutz Giesen (r.) war langezeit in der Freien Kameradschafts-Szene aktiv.
Nach Beendigung der Kundgebung zogen gewaltsuchende, 40 bis 50 Personen starke rechtsextreme Mobs durch die Innenstadt von Köthen. Offenbar versuchten sie zu einer kleinen Gegendemonstration am Bahnhof zu kommen. Organisiert wurde die Kundgebung „Rassistische Hetzjagden verhindern bevor sie entstehen“ unter anderem von der Linken-Landtagsabgeordneten Henriette Quade. Etwa 150 Personen beteiligten sich. Die Polizei schirmte die Gegendemo jedoch gut ab, so dass die aktionsorientierten Neonazis die Demonstrant*innen nicht angreifen konnten. Stattdessen zündeten sie in der Innenstadt offenbar Bengalos, skandierten "frei,sozial und national" und griffen Journalisten an.
Unsere Bilder: