Mit Neonazis reden? In der Schule unbedingt

Argumentationshilfen gegen Rechtsextremismus gibt es kostenlos im Internet. Doch damit ist es nicht getan. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit extrem rechten Parolen muss Teil der Lehrerausbildung werden. Sie darf auch im Unterricht nicht fehlen.

Von Christof Ruf

Irgendwo in Deutschland. Ein Seminar der Lehrerfortbildung. Fast alle Kolleginnen und Kollegen wissen von extrem rechten Schülern in ihren Klassen zu berichten, einzelne erzählen auch von Fällen offener Agitation oder fühlen sich sogar physisch bedroht.

Angst vor Imageproblemen

Die meisten haben sich entschieden, wegzuschauen. Teils, weil sie sich der Situation nicht gewachsen, teils, weil sie sich im Kollegium isoliert fühlen. "An unserer Schule würden neben mir noch drei weitere Kollegen gerne aktiver gegen diese Leute vorgehen“, sagt eine Geschichts- und Deutschlehrerin, "der Schulleiter hat mir aber signalisiert, dass er das nicht für wünschenswert hält.“ Er habe Angst, dass seine Schule demnächst medial gebrandmarkt wird. Deshalb sitzt an besagter Schule sogar ein Schüler in der Klasse, der zuweilen mit einem T-Shirt aufkreuzt, auf dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess vor einem Hakenkreuz-Hintergrund posiert. Auf sein T-Shirt hat den Schüler noch niemand aus dem Kollegium angesprochen.

Die Lehrerin hätte gerne eine Vorgabe und Unterstützung, wie sie mit dem jungen Mann umgehen soll. Doch unabhängig von der Frage, wie juristisch–administrativ zu verfahren sei – das Hakenkreuz ist nach Paragraf 86a Strafgesetzbuch (StGB) ein verfassungsfeindliches Symbol, ein Pädagoge, der hier nicht interveniert, macht sich streng genommen strafbar - ist es entscheidender, wie auf die dahinterstehende inhaltliche rechtsextreme Gesinnung reagiert wird. In den Augen seiner Mitschüler hat der extrem rechte Mitschüler schon dadurch gewonnen, dass auf seine Provokation keine Erwiderung erfolgte.

"Zu viele Pädagogen tauchen ab“

Prof. Albert Scherr von der Pädagogischen Hochschule (PH) Freiburg beobachtet solche Reaktionsmuster seit Jahren. Dass zu viele Pädagogen abtauchen, anstatt mit dem Problem offensiv umzugehen, sei ein strukturelles Problem. Schon zu Beginn der 1990er-Jahre, als der wieder erstarkende Rechtsextremismus erstmals deutlicher ins öffentliche Bewusstsein gedrungen sei, hätten Experten angemahnt, das Thema müsse fest in der Lehrerfortbildung verankert werden. Passiert sei seither jedoch nichts. An der PH Freiburg seien beispielsweise weder Soziologie noch Politologie verpflichtende Fächer der Ausbildung. Fundiertes politisches Wissen fehle daher vielen Lehrkräften: Wann hört legitime Kritik an der gegenwärtigen Politik Israels auf, wo beginnt der Antisemitismus? Das sei so eine Frage, der Lehrkräfte dadurch auswichen, dass sie das Thema tabuisieren.

Scheu vor der Diskussion

Oftmals scheuten sich die Pädagoginnen und Pädagogen, die weder im Studium noch danach gezielt auf die Problematik vorbereitet worden sind, eine Diskussionen mit Rechtsextremen einzugehen. Sie befürchten, sie könnten die argumentative Auseinandersetzung verlieren. Stattdessen werde häufig ausschließlich mit moralischer Empörung reagiert. Das aber sei, so Scherr, kontraproduktiv, bestätigte man doch so die von der NPD behauptete Sicht, nach der "das System“ argumentativ versage und mit Repression unliebsame Meinungen unterdrücke. "Die Aufrechterhaltung der Dialogfähigkeit muss das oberste pädagogische Prinzip sein“, sagt der Wissenschaftler.

Vielerorts fehlt es den Lehrern jedoch weder am Willen zu intervenieren, noch am argumentativen Rüstzeug. Die Tatsache, dass sich das Erscheinungsbild der extremen Rechten in den vergangenen Jahren gewandelt hat, sei bislang noch nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen, konstatierte die "Frankfurter Rundschau“ bereits vor einem Jahr. "Dass Neonazis in Sozialistenmanier gegen Kapitalismus wettern, Hartz IV verteufeln und nach Solidarität rufen – daran hat man sich mittlerweile gewöhnt... Dass sie aber Hip-Hop-Klamotten tragen, mit Graffiti-Dosen hantieren und auf Demos schon mal Punksongs anstimmen, das ist neu. Da halten es die Ultrarechten mit den Links-Autonomen und kopieren munter deren Szenecodes.“ Mit der Folge, dass man "manchmal erst weiß, dass einer von der anderen Seite war, wenn man blutend am Boden liegt“, gibt ein Berliner Autonomer zu Protokoll.

Erste Hilfe

Erste Informationen und Argumentationshilfen gegen Rechtsextremismus finden sich im Internet: Welche Kleidermarken sind in der Szene gängig, welche Symbole, welche Zahlencodes? Nach welchem Muster argumentieren die Aktivisten, welches sind ihre bevorzugten Themen? Wie ist die rechtliche Situation? Wann greifen die Paragraphen 86 a (verfassungsfeindliche Kennzeichen), 130 (Volksverhetzung) und 189 (Verhöhnung der NS-Opfer)? Wer Neonazi-Aktivisten schnell erkennen will, hat viele Möglichkeiten, sich im Netz innerhalb von einer Stunde einen geschulten Blick anzulesen. Argumentationstrainings gegen rechtextreme Parolen im Unterricht sowie Lehrerfortbildungen zu Rechtsextremismus bieten inzwischen die meisten Mobilen Beratungsteams und das "Netzwerk Demokratie und Courage" an.

Dieser Artikel erschien erstmals in der GEW-Zeitschrift "Erziehung & Wissenschaft", Ausgabe 2/2006. Wir danken dem Autor und den Herausgebern für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

Zum Thema:

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| Das Versteckspiel

Weblinks

| Netzwerk Demokratie und Courage

| Hinter den Kulissen“ – Argumentationshilfen gegen rechtsextreme Parolen

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