Megaloh ist ein deutscher Rapper niederländisch-nigerianischer Abstammung aus Berlin-Moabit.
Robert Winter

Megaloh: "Als Kollektiv Menschheit können wir etwas verändern"

Der Berliner Rapper Megaloh (37) spricht über seine Rassismuserfahrungen, koloniale Kontinuitäten und musikalisches Empowerment. Er meint, es sei an der Zeit, einige veraltete Denkweisen ein für allemal abzulegen und als Menschheit verantwortungsbewusster zu werden.

 

Das Interview führte Viktor Weigelin

 

Viktor Weigelin: Du verzichtest bewusst auf Wörter, die beispielsweise Menschen mit Behinderung beleidigen oder homosexuelle Menschen oder Frauen abwerten. Wieso wählst du bewusst einen anderen Weg als viele deiner Deutschrap-Kollegen?

MegalohDas war nicht immer so. Auch ich habe früher einiges an Texten geschrieben, in denen es sexistische Passagen und abwertende Begriffe für andere Menschen gab. Irgendwann habe ich einfach mehr begonnen, darüber nachzudenken, wie mein Handeln andere Menschen beeinflusst. Außerdem kamen irgendwann Kinder ins Spiel und spätestens da war mir klar, dass ich kein schlechtes Vorbild sein möchte bzw. nicht Negativität und Menschenverachtung propagieren möchte. Man muss natürlich auch sagen, dass es vielleicht für mich einfacher war als für andere Künstler, die mit so einer Schiene direkt Erfolg haben und dann zusätzlich zur ethisch-moralischen auch vor einer wirtschaftlichen Entscheidung stehen. Es werden ja gesamtgesellschaftlich und in der Wirtschaft täglich Entscheidungen zu Gunsten der Wirtschaftlichkeit und zum Nachteil ethischer und moralischer Wertvorstellungen getroffen.

 

VW: Du hast Anfang des Jahres einen Artikel im Spiegel zu einer rassistischen H&M-Kinderkollektion veröffentlicht. Warum war es dir so wichtig, dich dazu öffentlich zu positionieren?

M: Es waren die Reaktionen im Netz, die dazu führten. Ich habe auf einigen Socialmedia-Profilen von dunkelhäutigen Künstlern, die die Entscheidung H&Ms verurteilten, so viel Unverständnis in den Kommentaren lesen müssen, dass ich nicht anders konnte, als Stellung zu beziehen. Nochmal: H&M hat als Konzern auch eine gesellschaftliche und ethische Verantwortung. Durch die lange Geschichte der Entmenschlichung afrikanisch-stämmiger Menschen, die ihren Ursprung in der jahrhundertelangen kolonialen Ausbeutung Afrikas hat, ist es einfach nicht in Ordnung, einen schwarzen Jungen mit Affenpullover und Aufschrift „Coolest Monkey“ in der Kampagne zu benutzen, um seine Kollektion zu verkaufen. Da ist es auch egal, ob es den Jungen oder seine Eltern stört oder nicht, es geht um die Symbolhaftigkeit im geschichtlichen und politischen Kontext. Der Affe symbolisiert genau diese Entmenschlichung, heutzutage werden zum Beispiel schwarze Fußballer immer noch mit Affenlauten von gegnerischen Fans beleidigt, das heißt, das Symbol des Affen gilt für dunkelhäutige Menschen immer noch als Beleidigung und dieser Umstand sollte deshalb auf keinen Fall einfach von Menschen, die nicht betroffen sind, geleugnet oder abgestritten werden. Warum auch? Aber genau das passierte im Netz und da brauchte es in dem Moment meiner Meinung nach eine Gegenstimme. Leider sind es aber sehr viele Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind und auch nach meiner Erklärung keine Empathie oder Verständnis aufbringen wollen oder können. Das war schade zu sehen, hat aber meinen Verdacht bestätigt, dass eins der Probleme mit Rassismus darin besteht, dass der Großteil der Gesellschaft ihn gar nicht erkennen will oder kann, da er einfach keinen Bezug dazu hat.

 

VW: Dein Kollege Samy Deluxe sagte kürzlich in einem FAZ-Interview: „Wenn man optisch nicht eindeutig als Weißer zu identifizieren ist, erlebt man in Deutschland keinen Tag ohne Rassismus.“ Was meinst du dazu?

M:Da werden natürlich alle aufschreien bei so einer Aussage, aber ich weiß genau, was er meint. Selbst wenn nichts „Auffälliges“ geschieht wie Drohungen, Beschimpfungen oder körperliche Gewalt, so gibt es immer die kleinen abwertenden Blicke, die Menschen die sich wegsetzen oder die Straßenseite wechseln. Oder aber die Klischees und diese  „Exotenfaszination“ bezüglich der Mythen und Klischees. Leute die Haare anfassen wollen oder sich sehnlichst wünschen, dass man Basketballspieler oder begnadeter Tänzer ist. Menschen, die einen erst auf Englisch ansprechen und sich dann darüber freuen, wie gut man deutsch spricht. Ich zumindest bin mir in Gesprächen mit weißen Menschen immer meiner Hautfarbe bewusst und habe in gewisser Form eine emotionale Schutzmaske auf, damit ich nicht bei jeder Anspielung an die Decke gehe. Aber die Möglichkeiten dafür werden immer wieder geboten.

 

VW: 2017 hast du zusammen mit Ghanaian Stallion und Musa das Projekt BSMG gestartet. Ihr habt mit „Platz an der Sonne“ das mit Abstand politischste Album der letzten Jahre herausgebracht. Möchtest du mit deiner Musik Menschen empowern?

M: Ja. Es ist ein Unding, wie wenig in der Welt auch die negative Geschichte aufgearbeitet wird. Das gewährleistet, dass strukturelle Ungerechtigkeiten weiter bestehen. Es wird Zeit, einige veraltete Denkweisen, Muster und Bräuche ein für allemal abzulegen und als Menschheit verantwortungsbewusster zu werden. Um die Zukunft nachhaltig zum Positiven zu verändern, ist es unabdingbar die Fehler der Vergangenheit zu kennen.

 

VW: Du bist schon mehrfach am Brandenburger Tor aufgetreten, um ein Zeichen gegen den AfD-Einzug in den Bundestag zu setzen oder für eine plurale Gesellschaft einzutreten. Was kann deine Musik bewirken?

M: Ich hoffe, mehr als mir bewusst ist. Als „Person der Öffentlichkeit“ ist man meistens ein Sprachrohr für viele. Das ist ein Privileg, welches aus meiner Sicht nicht ohne Verantwortung kommt. Ich hoffe, ich inspiriere andere Künstler dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen, aber vor allem hoffe ich, dass ich andere Menschen inspirieren kann, über ihren Tellerrand zu schauen und Mitgefühl zu entwickeln. Ansonsten ist die Musik mein Statement, was mir keiner mehr wegnehmen kann. „Platz an der Sonne“ wird für immer ein Referenzwerk bleiben und ist die unangenehme Wahrheit, die jetzt offen daliegt, bereit für die Auseinandersetzung in der Gesellschaft.

 

VW: Die Ereignisse von Chemnitz haben uns alle erschüttert. Was haben sie mit dir gemacht?

M: Sie bestätigen nur und machen wieder mal sichtbar, was immer da war. Deutschland hat eine lange verwurzelte Historie des Rassismus. Dass ist ein Fakt, der endlich mal akzeptiert werden und behandelt werden muss, statt immer nur momentan erschrocken zu sein, wozu Menschen fähig sind. In den 90ern haben schon Flüchtlingsunterkünfte gebrannt und sie tun es auch heute. Als die Bundeswehr gegründet wurde, wurden alte Wehrmachtsgeneräle eingesetzt, um sie zu führen. Eine der größten deutschen bzw. westlichen Lichtgestalten, Immanuel Kant, war ein Rassentheoretiker, wird aber für seinen Beitrag zur Entwicklung der Wertekultur uneingeschränkt und absolut unkritisch gefeiert. Das Gleiche gilt für Luther und Hegel. Die Aufarbeitung der „Schuldgeschichte“ ist eine von außen aufgesetzte und nur erfolgt, weil man als Kriegsverlierer nach dem Zweiten Weltkrieg dazu gezwungen wurde. Eine richtige Aufarbeitung der dunklen Kapitel muss strukturell und gesamtgesellschaftlich gewollt sein, auch von der Regierung. Das ist aber nicht der Fall bis jetzt. Und die Ereignisse rund um die NSU-Vorfälle oder auch die jüngsten Äußerungen des ehemaligen Verfassungsschutzchefs lassen nur erahnen, wie tief rassistische Gesinnungen in deutschen Staatsstrukturen verankert sind und nach wie vor das Handeln bestimmen.

 

VW: Du sprichst gerne von „Verantwortung der gesamten Menschheit“. Was genau meinst du damit?

M: Es sollte nicht mehr um Kategorisierungen gehen. Hautfarbe, Rasse, Geschlecht etc. – das spielt alles irgendwann keine Rolle wenn, wir schauen, was wir mit der Erde machen. Und auch das System, in dem wir leben und funktionieren, trennt langfristig nur zwischen mächtig und machtlos. Wenn wir das endlich erkennen, können wir als Kollektiv Menschheit vielleicht etwas verändern, bevor es zu spät ist. Jeder ist gefragt!

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