Warum werden Leute eigentlich Nazis? Belltower.news betreibt ab wöchentlich Ursachenforschung und fragt Fachleute nach ihrer Einschätzung. Heute im Gespräch mit Prof. Dr. Andreas Zick, Sozialpsychologe an der Universität Bielefeld.
Die Fragen stellte Valentina Huthmacher.
Was sind Ihrer Einschätzung nach die Ursachen von Rechtsextremismus?
Es gibt zwei Gruppen von Ursache: Personenfaktoren auf der einen und Umweltfaktoren auf der anderen Seite. Allerdings sind diese Faktorengruppen nicht voneinander getrennt, sondern stehen in Wechselwirkung zu einander. Die Umweltfaktoren spielen meiner Ansicht nach eine größere Rolle.
Was kann man sich unter Personenfaktoren vorstellen?
Jeder Mensch hat bestimmte Bedürfnisse, die sich die Rechtsextremen zu Nutze machen, um UnterstützerInnen zu gewinnen. Zwei der Bedürfnisse sind die nach Identität und Selbstwert. Man sucht nach einer sinnvollen Form, das Selbst zu definieren und möchte Wertschätzung erfahren. Dies ist besonders bei Menschen aus einem problematischen familiären Hintergrund der Fall. Ein mangelnder Selbstwert wird durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe ausgeglichen. Rechtsextreme bieten genau diese klare Definition des Selbst und die aufwertende Gruppenzugehörigkeit an.
Damit sind wir auch schon beim Zugehörigkeitsbedürfnis und dem Bedürfnis nach Vertrauen. Zugehörigkeit bedeutet, starke Beziehungen und ein stabiles Netzwerk zu haben. Vertrauen entgegen gebracht zu bekommen bedeutet, ein wichtiger Teil einer Gruppe zu sein. Das Zugehörigkeitsbedürfnis kann von Rechtsextremen besonders dann gut genutzt werden, wenn es keine verlässlichen und langfristigen demokratischen Angebote gibt. Das Bedürfnis nach Vertrauen wird in rechtsextremen Gruppen bedient, wenn man sich zu ihnen konform verhält. Nach außen und gegenüber Demokratie sind Rechtsextreme sehr misstrauisch, was den internen Zusammenhalt stärkt.
Menschen haben auch ein Bedürfnis nach Kontrolle. Man möchte, dass das eigene Verhalten Konsequenzen hat, dass man Einfluss hat. Rechtsextreme bedienen das Kontrollbedürfnis, indem sie simple Kausalitäten herstellen. Ein Beispiel hierfür ist die Behauptung, dass es wieder Arbeitsplätze für alle Deutschen gäbe, wenn alle „Ausländer“ abgeschoben würden. Das Kontrollbedürfnis ist in einer Demokratie allerdings schwer zu befriedigen, da es in diesem System Aushandlungsprozesse und keine direkte Kontrolle gibt. Ein tatsächlicher oder angenommener sogenannter „anomischer Zustand“ der Wert-, Orientierungs- und Regellosigkeit wird von extremistischen Ideologien instrumentalisiert.
Dann gibt es noch das Bedürfnis, die Welt zu verstehen. Man möchte Bedeutung mit anderen teilen und sich ein Bild von der Zukunft machen können. Die rechtsextreme Ideologie bietet genau das. Da sie leicht verständlich ist, spricht sie gerade Menschen mit Bildungsdefiziten an.
Inwiefern spielt die Umwelt eine Rolle?
So etwas wie eine rechtsextreme Persönlichkeit gibt es nicht. Es kommt immer auf den Kontext an, ob ein Mensch zu Rechtsextremismus tendiert oder nicht. Wenn Menschen in einem eingeschränkten Kontext mit wenig gesellschaftlichem Integrationspotential leben und dort ihre oben beschriebenen Bedürfnisse wenig befriedigt werden, tendieren sie eher zu rechtsextremen Einstellungen. Gerade aus solchen Kontexten werden UnterstützerInnen der Rechtsextremen rekrutiert. Um dem entgegen zu wirken, müssen demokratische Projekte soziale Integration anbieten – und zwar langfristig.
Prof. Dr. Andreas Zick ist Mitglied des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung und lehrt an der Universität Bielefeld.
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