Die "Lunikoff Verschwörung" am 06.07.2013 beim "Rock für Deutschland" in Gera
MOBIT

Offensive "Freie Kräfte", umtriebige NPD: Der Jahresrückblick 2013 aus Thüringen

Im zweiten Jahr nach der Selbstenttarnung des "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU) tritt die rechte Szene weiterhin selbstbewusst und offensiv auf. Während die "Freien Kräfte" die Schlagzahl eigener Demonstrationen erhöht haben und am 1. Mai rund 300 Neonazis nach Erfurt mobilisieren konnte, wurde auch die NPD aktiv. Vor allem im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes stieg die Zahl der Infoständen und Demonstrationen stark an. Darüber hinaus begann die extreme Rechte zum Jahresende Proteste gegen geplante oder neu eröffnete Flüchtlingsunterkünfte zu organisieren.

Von MOBIT Thüringen

Seit Beginn des Jahres melden "Freie Kräfte" und die NPD-Thüringen zahlreiche Demonstrationen und Infoveranstaltungen an. Im Spektrum der "Freien Kräfte" versucht sich vor allem der Neonazi Michel Fischer zu profilieren. Ihm gelang es auch, am 1. Mai ohne Unterstützung durch die NPD 300 Neonazis in die Thüringer Landeshauptstadt zu mobilisieren. Im Zuge der Bundestagswahl führte die NPD unter Führung von Patrick Wieschke mehrere Infostände in allen Thüringer Landkreisen durch und organisierte vereinzelt Demonstrationen und Kundgebungen. So vermochte es die extrem rechten Partei, die Stimmen bei der Bundestagswahl auf dem hohen Niveau von 3,2 Prozent zu halten.

Rechtsrock begeistert die rechten Anhänger

Wie in den Vorjahren auch organisierten "Freie Kräfte" und NPD gemeinsam drei Rechts-Rock-Großveranstaltungen unter freiem Himmel. Zum "Nationalen Kundgebungstag" in Leinefelde, dem "Thüringentag der nationalen Jugend" in Kahla und dem "Rock für Deutschland" in Gera kamen zusammengenommen mehr als 1.200 Neonazis. Mit dem Rechts-Rock-Open Air "In.Bewegung", das zwar in Berga (Sachsen-Anhalt) stattfand, aber von dem Thüringer NPD-Funktionär Patrick Weber angemeldet und von Thüringer Neonazis unterstützt wurde, gelang es der extremen Rechten nicht nur 1.000 Neonazis zu mobilisieren, sondern auch den eigenen Aktionsraum über die Landesgrenze zu erweitern. 

Für bundesweites Aufsehen sorgte der lokale Sportverein Wismut Gera. Dieser wählte mit Lars Weber einen neuen Vorstandsvorsitzenden der Verbindungen in die rechte Szene hat. Unter anderem trainiert der Kampfsportler Weber gemeinsam mit dem Holocaustleugner und ehemaligen Landesvorsitzenden der NPD Hessen Marcel Wöll.

Nazis nutzen Proteste gegen Asylsuchende

Wie auch in Schneeberg (Sachsen) und Hellersdorf (Berlin) beteiligen sich in Thüringen Neonazis maßgeblich an der Organisation und Durchführung von Protesten gegen geplante oder neu eingerichtete Unterkünfte für Asylsuchende. In Greiz organisiert seit Mitte September ein regional bekannter Neonazi Aufmärsche gegen eine von rund 50 Geflüchteten bewohnte Unterkunft. An den wöchentlich stattfindenden Aufmärschen beteiligten sich bis zu 120 Personen. Neben zahlreichen bekannten und erkennbaren Neonazis befinden sich unter den Teilnehmer_innen auch Greizer Bürger_innen, die sich selbst nicht als Neonazis verstehen. Aber auch die NPD versucht die Thematik für sich zu nutzen. In dem 350 Einwohner_innendorf Beichlingen beteiligten sich NPD-Funktionäre mit Flugblättern und Kommentaren im Internet an Diskussionen und Protesten gegen eine geplante Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Eisenberg. Wie auch in Greiz stoßen die rassistischen Parolen der Rechten auf wenig Gegenwehr.

Ausblick auf 2014

Für das Jahr 2014 stehen Europa- und Landtagswahlen sowie die Wahlen zu Kreistagen, Stadträten und Gemeinderäten an. Somit gleich mehrere Wahlen, bei denen sich die NPD größere Wahlerfolge verspricht. Entsprechend wird die NPD ihre Wahlkampfaktivitäten im Jahr 2014 verstärken.

Mehr Informationen:

MOBIT Thüringen

 

Rechtsmotivierte Gewalt und rassistische Mobilisierungen

Ein Rückblick auf 2013 der Mobilen Beratung "ezra"

Zwei Jahre nach dem Bekanntwerden der Verbrechen  des "Nationalsozialistischen Untergrunds"  NSU wurde deutlich, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe einen großen Unterstützerkreis in Thüringen und der ganzen Bundesrepublik hatten. Der Mitangeklagte im Münchner NSU-Prozess, Ralf Wohlleben, kann in der Thüringer Neonaziszene mit zahlreichen Sympathisanten rechnen. Auf dem jährlich stattfindenden "Thüringentag der Nationalen Jugend" wurde z.B. Geld für seine Unterstützung gesammelt. 

Die rechte Szene ist nicht eingeschüchtert oder gar verunsichert, sondern tritt selbstbewusst auf.

Die öffentliche Aufmerksamkeit für rechte Gewalt und deren Opfer, die im vorigen Jahr groß war, hat inzwischen merklich nachgelassen. 

Eine der wenigen Konsequenzen aus dem offensichtlichen Versagen der Sicherheitsbehörden ist in Thüringen die Schaffung einer neuen Abteilung im Landeskriminalamt mit der Bezeichnung BAO ZESAR (Besondere Aufbauorganisation "Zentrale Ermittlungen und Strukturaufklärung – Rechts"). Dort wird zu gravierenden Straftaten der politisch motivierten Kriminalität rechts ermittelt. Ob am Ende der erhöhte Ermittlungsdruck Erfolg hat und mehr rechtsmotivierte Straftaten aufgeklärt werden, wird sich an den konkreten Ergebnissen messen lassen.

Nach vielen Konflikten wird die Arbeit von "ezra" auf höherer und mittlerer Polizeiebene nunmehr sukzessiv interessiert wahrgenommen.  Trotzdem zeigen sich noch deutliche  Defizite in der Arbeit der Polizei. Das zeigt sich beispielsweise in mangelndem Wissen über die Einordnung politisch rechter Straftaten, aber auch in rassistischen Einstellungsmustern bei einzelnen Beamt_innen. Eine offene und  authentische Auseinandersetzung mit latenten und manifesten  Ressentiments in Polizeistrukturen ist nach wie vor kaum möglich, vielmehr stellt es sich als Tabuthema dar.

Die Vernetzung von "ezra"  konnte weiter ausgebaut und die Bekanntheit des Angebotes verbessert werden. Die Zahl der Beratungsnehmer_innen wird sich im Vergleich zum vorigen Jahr wieder erhöhen. Mit dem begrenzten Stellenumfang von 3,25 VbE kommt das Beratungsteam immer stärker an die Grenzen seiner verfügbaren Ressourcen.

Proteste gegen Flüchtlinge finden auch in Thüringen statt

Im Sommer 2013 begannen, angeführt von NPD  sowie organisierten Neonazis, rassistisch-motivierte Proteste und Aktionen gegen Thüringer Flüchtlingsunterkünfte. Unterstützung und Zustimmung bekommen die meist aus einer Bürgerinitiative heraus agierenden Nazis dabei aus der regionalen Zivilgesellschaft, die dem "Engagement" der Nazis eher mit großem Wohlwollen und Interesse begegnet als mit Ablehnung. Im Landkreis Greiz ist bereits seit den 1990er Jahren eine aktive, und  organisierte Neonaziszene beheimatet, die gute Kontakte nach Sachsen und Bayern unterhält. Seit Jahren fällt der Landkreis als Schwerpunktregion rechter Gewalt auf. Trotzdem weigert sich die Mehrheit der politisch Verantwortlichen, allen voran die Landrätin, diese Tatsache anzuerkennen und Strategien gegen eine drohende rechte Hegemonie zu entwickeln.

Auch in der Frage der Flüchtlingspolitik fällt der Landkreis auf. Nur  hier und im Landkreis Weimarer Land werden noch Verpflegungsgutscheine statt Bargeld an die Flüchtlinge ausgegeben. Als Ende September eine neue Gemeinschaftsunterkunft (Lager) für geflüchtete Menschen entstand, bildete sich sehr schnell eine Bürgerinitiative gegen die Flüchtlinge, die anfangs wöchentlich über 100 Demonstrant_innen mobilisieren konnte.

Aus unserer Sicht und der anderer Initiativen ist es kein Zufall, dass ausgerechnet in Greiz die thüringenweit größten und langanhaltendsten Kampagnen gegen Flüchtlinge stattfinden.

Gemeinsam mit der Mobilen Beratung (MOBIT), den Bürgerbündnissen gegen Rechts, dem Thüringer Flüchtlingsrat und weiteren Akteuren  zeigt sich auch "ezra" solidarisch mit den  geflüchteten Menschen und bietet aktive Unterstützungsarbeit an.

Konsequenzen aus den NSU-Morden und Landtagswahlen

Die Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Ausschusses des Bundestages steht an. Der Thüringer Untersuchungsausschuss setzt seine Arbeit fort und wird im kommenden Jahr ebenfalls Konsequenzen für die Ermittlungsbehörden fordern. Nachdem sich das Ausmaß des Versagens  der zuständigen Ermittlungsbehörden und des Verfassungsschutzes überdeutlich zeigte, sind auch Ende 2013, also zwei Jahre nach Bekanntwerden des NSU,  keine praxisrelevanten Konsequenzen zu beobachten.

Dieser Zustand ist im Hinblick auf die Situation von Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt nicht hinnehmbar.  Deshalb fordern wir als Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt auch im kommenden Jahr endlich tiefgreifende und ernsthafte Veränderungsprozesse in den verantwortlichen Behörden.

Ausblick auf 2014

"Ezra" hat eine Studie in Auftrag gegeben, die vom Kompetenzzentrum Rechtsextremismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena erstellt wird. Die Studie  soll untersuchen, welche Erfahrungen Betroffene und Zeug_innen nach einem rechts motivierten Angriff in Thüringen machen. Die Befragten  können sich darin  u. a. auch zu ihren Erfahrungen mit  Ermittlungsbehörden äußern.
Bisher konnten immer nur exemplarische  Aussagen zu den Erfahrungen Betroffener gemacht werden. Wenn die Ergebnisse der Studie vorliegen, sind auch quantitative Aussagen möglich.

Die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und SPD sieht vor, dass Projekte gegen Rechtsextremismus und die Opferberatung verstetigt werden sollen.  Wir begrüßen diese Entwicklung, werden aber gleichzeitig die Umsetzung der Vereinbarung kritisch beobachten.
Im kommenden Jahr wird in Thüringen gewählt. Der Ausgang der Landtagswahlen wird auch für "ezra" nicht unerheblich sein. Wir hoffen, dass es die NPD nicht in den Landtag schafft und auch bei den Kommunalwahlen weniger Mandate – oder besser gar keine – erringt.

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