Während die NPD bei der Bundestagswahl nach einem chaotischen Wahlkampf eine Schlappe einfährt, bleiben die gewaltbereiten neonazistischen Strukturen in Schleswig Holstein stabil. Vor allem Jugendliche stehen im Fokus der extremen Rechten.
Von Till Stehn, Tim Kiefer und Nils Raupach (Regionale Beratungsteams gegen Rechtsextremismus Schleswig-Holstein)
Niedergang organisierter rechtsextremer Strukturen
In Schleswig-Holstein hat sich laut Verfassungsschutz die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremen von 590 im Jahr 2011 auf 630 Personen im Jahr 2012 erhöht. Auch die Mitgliederentwicklung im gesamten rechtsextremen Spektrum zog laut Behörden von 1.170 auf 1.220 Personen an. Die Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus Schleswig-Holstein teilen die Einschätzung, dass sich das Personenpotenzial tendenziell erhöht hat und sich dieser Trend im Jahr 2013 fortsetzte.
Gleichzeitig nahm die öffentliche Präsenz von NPD, aber auch von parteiunabhängigen rechtsextremen Gruppen in Schleswig-Holstein jedoch ab. Ein Indiz hierfür ist der sogenannte "Trauermarsch" in Lübeck, in der Vergangenheit die größte jährlich stattfindende Demonstration der extremen Rechten in Norddeutschland: Schon in den letzten Jahren zeichnete sich ab, dass der Aufmarsch – der sowohl von parteiunabhängigen Rechtsextremen als auch der NPD getragen wurde – seine Zugkraft verloren hatte. Bereits 2012 ließen sich nur noch ca. 120 TeilnehmerInnen mobilisieren, die aufgrund antifaschistischer Straßenblockaden gerade einmal 250 Meter "marschieren" konnten. 2013 wurde die Veranstaltung dann konsequenterweise kurzerhand abgesagt. Die großspurig angekündigten "dezentralen Aktionen" zu Jahrestagen alliierter Bombardierungen im 2.Weltkrieg, die überall in Schleswig-Holstein stattfinden sollten, blieben selten und schlecht besucht.
In einigen Regionen sind organisierte rechtsextreme Gruppierungen kaum noch wahrnehmbar, so existiert etwa im Kreis Dithmarschen derzeit außer der NPD keine offen nach außen auftretende rechtsextreme Gruppe mehr; vor wenigen Jahren gab es hier noch organisierte neonazistische "Aktionsgruppen", die beispielsweise Aufmärsche und Rechtsrockkonzerte organisierten. Zurück blieben auch in Dithmarschen unverbindliche rechtsextreme "Freundeskreise", die aber weiterhin gefährlich bleiben. So griffen an Himmelfahrt 2013 fünfzehn größtenteils schwarz gekleidete junge Männer unter "Ausländer raus!"-Rufen eine Familie mit kurdischem Migrationshintergrund in Heide an.
Eine neue Erscheinung in Schleswig-Holstein sind sogenannte "Bruderschaften" von Neonazis, die nach außen kaum in Erscheinung treten, deren Mitglieder aber durchaus gewaltbereit sind.
Die NPD in Schleswig-Holstein
Der Landesverband der NPD, der mit ca. 200 Mitgliedern eher schwach aufgestellt ist, war im Oktober 2012 ambitioniert in Richtung Bundestagswahlkampf gestartet und hatte die Kandidaten bestimmt, die ein Jahr später für die Partei antreten sollten. Doch im Anschluss war in Sachen Wahlkampf erst einmal nicht mehr viel zu hören. Als es dann im August schließlich offiziell losgehen sollte, gestaltete sich der Auftakt mit dem "Deutschlandtour"-Flaggschiff für die Partei denn auch alles andere als erfolgreich: Nach Protesten in Rostock wurde kurzerhand eine Kundgebung in Neumünster abgesagt. Auch in Kiel konnte die Veranstaltung nur unter lautstarkem Protest von 200 GegendemonstrantInnen stattfinden. Die auch bundesweit eingesetzten rassistischen NPD-Wahlplakate, die sich gegen Sinti und Roma richteten, blieben ebenfalls nicht unwidersprochen: Der Landesverband der Sinti und Roma, unterstützt von zahlreichen Parteien, Organisationen und dem Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein, hatte mit einer Kampagne gegen Rassismus und Diskriminierung auf die Plakate reagiert und die Piraten-Abgeordneten Angelika Beer und Wolfgang Dudda stellten Strafanzeige gegen die NPD. Diese wiederum antwortete darauf mit stumpfer Provokation und ließ Flugblätter vor Beers Wohnhaus verteilen. Dem Wahlkampf entsprechend fiel für die NPD dann auch das Wahlergebnis aus: Obwohl in Schleswig-Holstein konkurrenzlos unter den eindeutig rechtsextremen Parteien, erhielt sie lediglich 0,7 Prozent der Zweitstimmen und blieb somit noch einmal 0,3 Prozent unter dem Ergebnis von 2009.
Erfolge bei den Kommunalwahlen
Bei den Kommunalwahlen 2008 hatte die NPD zwei Mandate (in Kiel und im Herzogtum Lauenburg) erlangen können. Bei den Kommunalwahlen 2013 schnitten rechtsextreme Parteien im Mai etwas stärker ab als noch fünf Jahre zuvor: Es gelang ihnen, in insgesamt drei Kommunalparlamente einzuziehen. Dabei ging zwar nur einer der vier Sitze offiziell an die NPD, die drei anderen erfolgreichen rechtsextremen Abgeordneten sind der Partei aber alles andere als fremd. So behält in Kiel der bisherige Ratsherr der NPD Hermann Gutsche seinen Sitz im Rathaus. Er war als Spitzenkandidat der "Wahlalternative Kieler Bürger" angetreten, welche von der NPD offiziell als Bündnispartner genannt wird. Im Kreis Herzogtum Lauenburg gelang Kay Oelke mit einem Mitstreiter ein Wiedereinzug in den Kreistag und ein Einzug in die Ratsversammlung von Geestacht. Oelke war als Spitzenkandidat einer Wählervereinigung namens "Rechtsstaatliche Liga" angetreten, nachdem er in der letzten Legislaturperiode noch für die NPD im Kreistag saß. Nachdem Oelke kurz vor der Wahl aus der NPD ausgetreten war, ging diese offiziell auf Distanz zu ihm. Die "Rechtsstattliche Liga" gibt sich betont bürgerlich, kann ihre völkisch-nationalistische Ausrichtung aber kaum verbergen. Den einzigen offiziellen Sitz für die NPD erhielt Marc Proch, der für die NPD in die Kommunalvertretung der Stadt Neumünster einzog. Proch war bereits 2012 als Anmelder von Demonstrationen gegen einen verurteilten Sexualstraftäter in der Stadt aufgefallen. Damals hatte er Verbindungen in die rechtsextreme Szene noch bestritten.
Nazis sind auch weiterhin aktiv in freien Strukturen
Neben der NPD existieren teilweise seit Jahren bestehende, zum Teil gewaltbereite, neonazistische Strukturen in Schleswig-Holstein. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise der "Club 88" und die Gaststätte "Titanic" in Neumünster, das "NS-Haus" in Ratzeburg, sowie die Gruppierungen "Aktionsbündnis Lübeck/Stormarn", die "Freien Nationalisten Kiel" und die "Jugend für Pinneberg". In Nordfriesland existiert seit Jahren eine personell stabile und auch im Jahr 2013 umtriebige Neonazigruppe, die aber nicht mehr unter einem Gruppennamen auftritt, da sie nach einer Anzeige des damaligen Ministerpräsidenten Carstensen im Jahr 2012 Repression befürchtete.
In Kiel-Mettenhof besteht seit Jahren der Straßenfußballclub "Bollstein Kiel". Auch 2013 fielen Mitglieder des Clubs durch rechtsextreme Aktivitäten auf: So marschierte im August 2013 eine Gruppe mit "Bollstein"-T-Shirts und Fahnen bei der Neonazi-Demonstration in Bad Nenndorf mit. Trotz dieser Aktivitäten kamen etwa zu Sommerfesten des Clubs auch 2013 bis zu 200 Menschen zusammen.
Die rechtsextreme "Identitäre Bewegung" ist auch in Schleswig-Holstein an mehreren Orten angekommen. Hinter Gruppen wie "Identitas Nord" aus Ostholstein scheinen jedoch nur wenige Aktive zu stecken, die sich 2013 allerdings teilweise durch eine Vielzahl von Aufklebern im Straßenbild bemerkbar machen. Sporadisch in Erscheinung traten 2013 auch "Divisionen" der islamfeindlichen "German Defense League" in Lübeck und Kiel.
Rechtsextreme Aktivitäten und Gewalttaten
Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ging laut Verfassungsschutz 2012 im Vergleich zum Vorjahr zurück. Es wurden insgesamt 533 Straftaten, einschließlich Gewalttaten, gemeldet, 28 weniger als im Vorjahr. Die Zahl der Gewalttaten (hauptsächlich Körperverletzungen) reduzierte sich von 27 auf 23. Einen sehr hohen Anteil der Straftaten bilden Vergehen nach §130 StGB Volksverhetzung und vor allem Propagandadelikte (§§ 86, 86a StGB), das Tragen und Verwenden verfassungsfeindlicher Kennzeichen und Symbole. Die Zahl der registrierten Straftaten mit rechtem Hintergrund 2013 dürfte sich auf einem ähnlichen Niveau befinden.
Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund, die im Jahr 2013 stattfanden, gehen von Sachbeschädigung (z.B. Schmierereien rechter Parolen), wie sie in allen Regionen Schleswig-Holsteins vorkommen, bis hin zu tätlichen Angriffen. Hierbei kam es zu wahrscheinlich im Vorfeld geplanten Aktionen wie einem Angriff auf das sogenannte Punkerhaus in Elmshorn im Mai 2013 und Randale auf einem jüdischen Friedhof in Neustadt i.H. ebenfalls im Mai 2013, aber auch zu spontanen rassistisch motivierten Angriffen. So griffen ein Landwirt und dessen Sohn im Juli 2013 einen schwarzen jungen Mann auf einer Landstraße im Kreis Steinburg an.
Zwei weitere medial wahrgenommene rechtsextreme Angriffe ereigneten sich in Pinneberg: Mitten in den Bundestagswahlkampf 2013 fiel ein Anschlag auf die Geschäftsstelle der Grünen in der Stadt. Mutmaßliche Neonazis zerstörten das Schaufenster, beschädigten den Briefkasten und verschütteten Fäkalien. Die Betroffenen vermuten einen Zusammenhang mit einem Plakat gegen Rechts, das sich im Schaufenster befunden hatte. In der Nacht des Jahrestages der Reichspogromnacht, dem 09. November 2013, schlugen unbekannte TäterInnen Scheiben der Pinneberger Synagoge mit einem spitzen Gegenstand ein.
Rechtsextremer Lifestyle und Jugendkultur
Teile der Rechtsrockszene in Schleswig-Holstein sind nach wie vor gut vernetzt: So trat Weihnachten 2012 die rechte Hooligan Band "Kategorie C/Hungrige Wölfe" aus Bremen vor 150 BesucherInnen in Elmshorn auf. Bands aus Schleswig-Holstein wiederum beteiligten sich an einer Vielzahl von größeren Konzerten in anderen Bundesländern; so spielten beispielsweise "Words of Anger" aus Ostholstein beim "Eichsfeldtag" in Thüringen sowie in Herne bei einem mutmaßlichen Solidaritäts-Konzert für die verbotene Gruppierung "Nationaler Widerstand Dortmund". Die Band "Timebomb" um den ehemaligen NPD-Kandidaten Kai Sager wiederum war beim "Gemeinschaft ist unsere Waffe – Freiluftkonzert" in Finowfurt (Brandenburg) angekündigt. Das Konzert wurde allerdings von der Polizei nach wenigen Liedern u.a. wegen Volksverhetzung abgebrochen.
Die Erfahrungen der Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus Schleswig-Holstein bestätigen darüber hinaus, dass auch in Schleswig- Holstein mancherorts gewaltbereite rechte (Jugend-)Cliquen bestehen, die sich auch in Einträgen auf sozialen Medien, wie facebook eindeutig positionieren.
Gegenaktivitäten
Erfreulicherweise hat auch 2013 zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus nicht nachgelassen. In Glinde (Kreis Stormarn) ebbte auch 2013, zwei Jahre nach der Eröffnung des Thor Steinar Ladens "Tonsberg", der Protest nicht ab. Es fanden diverse Veranstaltungen gegen den Laden statt, die Zahl der von einer örtlichen Bürgerinitiative durchgeführten Mahnwachen ist seit Bestehen des Ladens schon auf über 650 gestiegen. In Pinneberg führten antifaschistische Proteste zu einem Ende der seit Jahren stattfindenden Stammtische der NPD in einer örtlichen Gaststätte. Mancherorts führten rechte Gewalttaten zu Solidaritätskampagnen örtlicher UnterstützerInnen. So organisierten in Bohnert (Kreis Rendsburg-Eckernförde) NachbarInnen nach einem Angriff auf eine Familie mit Migrationshintergrund eine Unterschriftenaktion.
Im Fokus der Aktivitäten autonomer Antifagruppen standen 2013 rechtsextreme Läden und Infrastruktur, so wurde beispielsweise gegen den von rechtsextremen Rockern betriebenen Laden "PLS Werkzeuge" in Kiel-Gaarden demonstriert.
Auch die SPD-Grüne-SSW Landesregierung ist 2013 aktiv geworden und hat als eines der ersten westdeutschen Bundesländer ein eigenes Landesprogramm gegen Rechtsextremismus ins Leben gerufen. Seit Ende Oktober haben zusätzlich zu dem bestehenden Kieler Team drei Regionale Beratungsteams in Flensburg, Lübeck und Itzehoe ihre Arbeit aufgenommen. Die AWO ist Träger der neuen Beratungsstellen und will hierdurch "die Prävention, Beratung und Fortbildung in der Auseinandersetzung mit dem Neonazismus ausbauen und verstärken. Das Landesprogramm soll die Zivilgesellschaft stärken, die Erziehung zu Demokratie und Toleranz unterstützen, soziale Integration und interkulturelles Lernen fördern und durch Bildungsarbeit dazu beitragen, dass junge Menschen auf rechtsextremistische Parolen nicht hereinfallen."
Mehr Informationen: