Hilfe und Hetze - Auf Ratsuche in einem NPD-Bürgerbüro

Was ist dein Problem?«, fragt mein Gegenüber, ein stämmiger, rothaariger Mann von Mitte dreißig. Die Einrichtung seines Zimmers ist hell und sachlich gehalten: zwei Tische, an denen ein paar ältere Männer in Trainingshosen sitzen.

Von Marie Schumann

Es ist wenig los im Bürgerbüro, das die NPD als »Begegnungsstätte des Volkes« bezeichnet. Etwas nervös beginne ich, eine Geschichte zu erzählen, die nicht die Meinige ist: Gelernte Erzieherin aus dem Nachbarort, arbeitslos, frustriert – ich, Anna, brauche Hilfe. Ich sage, dass ich nicht wegziehen wolle von hier. Als er lächelt und mir zunickt, werde ich ruhiger. Meine Tarnung funktioniert.

Laut aktuellem Verfassungsschutzbericht rückt die soziale Frage zunehmend in den Mittelpunkt der NPD-Agitation. Die Rechtsextremen geben sich als freundliche Helfer aus, wie hier in Lübtheen, einem 5000-Einwohner-Städtchen in Mecklenburg-Vorpommern. Die Arbeitslosenquote beträgt hier elf Prozent, für Mecklenburg-Vorpommern ist das vergleichsweise wenig. Trotzdem stimmte bei der vorigen Landtagswahl jeder sechste Lübtheener für die NPD.

Er selber, raunt mir der NPD-Berater zu, sei in seinem Leben auch schon einmal arbeitslos gewesen, als Zimmermann. Er hört mir zu, mit aufmunterndem Blick, während ich ihm weiter aus meinem fiktiven Leben erzähle: Mein Freund habe mich verlassen, er habe als Dachdecker keinen Job gefunden, sei weg aus der Gegend. »Das Wichtigste ist: Du musst dein Leben wieder auf die Reihe kriegen«, sagt mein Berater. »Wir machen dir jetzt eine Aktionsliste.«

Der Mann, der mich berät, heißt Andreas Theißen, ist 35 Jahre alt, hat fünf Kinder. Außerhalb des Bürgerbüros und seines Amtes als NPD-Kreisvorsitzender ist er ein gewaltbereiter Neonazi. 1999 wurde er wegen Sprengstoffbesitz zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Er ist Mitglied im Ordnerdienst der Partei. Gemeinsam mit seiner Frau richtet er Zeltlager des völkisch-nationalistischen Vereins Heimattreue Deutsche Jugend aus, in dem Schulkinder ab sechs Jahren in Uniformen gesteckt werden.

Wo sich heute das Bürgerbüro befindet, war vor zwei Jahren noch der Schmuckladen von Udo Pastörs. Bei den Leuten machte sich der NPD-Fraktionschef von Mecklenburg-Vorpommern durch Höflichkeit, Respekt und Ordnungssinn schnell beliebt. Im Parlament warnt er vor der »asiatisch-negroiden Ausländerflut« und er bezeichnet Hitler, ganz wertfrei, als »Phänomen«. Pastörs ist wie sein Wahlkreismitarbeiter Andreas Theißen und andere NPD-Mitglieder aus dem Westen in diese Gegend gezogen. Von hier aus wollen sie ihren »nationalen Widerstand« organisieren. Berater Theißen schreibt auf einen Zettel: »Führerschein Klasse 3, Auto, Ausbildung zur Erzieherin, nicht flexibel.« Er macht eine kurze Pause und fasst zusammen: »Du hast ein Auto, eine Wohnung und eine Ausbildung.« Er spricht jetzt langsam und deutlich, mit Nachdruck: »Du musst zum Arbeitsamt, schäme dich nicht, der Staat ist in der Pflicht. Du gehst da morgen hin und sagst denen, dass du was kannst und dass du wer bist. Du bist wer!« Auf einmal scheint es lauter Menschen zu geben, die etwas für mich regeln können. Da ist der Anwalt und NPD-Abgeordnete aus Schwerin, der sich beim Arbeitsamt beschweren kann, wenn dieses Ansprüche nicht anerkennt. Da ist die »Kameradin Ramona« aus Ludwigslust, die sich meiner annehmen werde. Und da ist mein Gegenüber, Andreas Theißen, der den Mitarbeitern vom Arbeitsamt »einen Zahn« ziehen wolle, »wenn sie nicht nett mit dir sind«.

Die NPD will in ihren Bürgerbüros Hilfe zur Daseinsbewältigung anbieten. Aber in Büros wie dem in Lübtheen, von denen es allein in Mecklenburg-Vorpommern noch vier weitere gibt, werden Slogans wie »Sozial geht nur national« zusammen mit Tipps zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes verabreicht. Hilfe und Hetze gehen Hand in Hand. Nach einer Stunde Beratung, dem Hinweis, dass ich Anspruch auf 67 Prozent meines vorherigen Gehalts habe und hier sicher bald Anschluss finden werde, hat sich eine Art Komplizenschaft zwischen Anna und Andreas eingestellt. Ich traue mich jetzt, direkter zu fragen: »Was macht ihr hier in diesem Bürgerbüro genau?« Theißen sagt, die NPD sei nur eine kleine Partei, mit sechs Abgeordneten in Schwerin. Zwei von ihnen, die hier ihren Wahlkreis hätten, verwalteten das Büro. »Wir haben keine Macht im Parlament, die Leute betrachten uns hier eher skeptisch.«

Als ich ihn frage, was sie denn gegen die Arbeitslosigkeit täten, sagt er: »Wir haben da schon unsere Positionen – Arbeit erst den Deutschen und dann den Ausländern.« Dabei haben nur zwei Prozent der Mecklenburger keinen deutschen Pass. Ich weise darauf hin, dass es hier in der Gegend doch gar keine Ausländer gebe, »außer diesem Inder am Markt in Ludwigslust«. Mein Gegenüber sagt: »Ja, das stimmt, es gibt nicht wirklich viele. Aber es kommen immer mehr.«

»Melde dich«, sagt Theißen, als ich mich verabschiede, »ich gebe schon mal unserer Kameradin Bescheid.« Wir stehen auf, er drückt mir einen NPD-Flyer (»Wir machen den Herrschenden Dampf!«) und den Ordnungsruf, ein NPD-Faltblatt (»Globalisierung stoppen!«), in die Hand. Drei Tage später wird Andreas Theißen wegen Körperverletzung und Nötigung verurteilt. Er hatte auf einer NPD-Wahlkampfveranstaltung einen Kameramann des NDR verletzt. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht.

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