Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes.
DHV/Plambeck

"Die familienpolitischen Positionen der AfD widersprechen den ethischen Grundsätzen des Berufsstandes Hebamme"

Hebammen sehen sich vielen beruflichen Herausforderungen gegenüber - und fordern Politik zur Lösung auf. Eine Partei, die sich für bessere Bedingungen für Hebammen ausspricht: Die AfD. Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, sieht deren Engagment kritisch - und hat dafür gute Argumente.

 

Martina Klenk ist die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands. Mit über 19.700 Mitgliedern  und 16 Landesverbänden ist er die größte Interessensvertretung freiberuflicher, wissenschaftlicher und angestellter Hebammen sowie der Hebammen im Ausbildungsbetrieb. Rachel Spicker und Jana Gerecke von der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus sprachen mit ihr über die Herausforderungen im Hebammenberuf, die bevorstehende Bundestagswahl – und ihren Umgang mit der AfD.

 

Was sind aktuell Herausforderungen im Arbeitsfeld der Geburtshilfe?

Der Hebammenberuf wird grundsätzlich schlecht vergütet. Und die Arbeitsbedingungen werden immer schwieriger. Zum Beispiel muss eine Hebamme, die freiberuflich Geburtshilfe anbietet, über 7.600 Euro nur für ihre Berufshaftpflichtversicherung bezahlen. Dabei ist es egal, ob sie als Hausgeburts- oder Geburtshaushebamme vielleicht nur wenige Geburten im Jahr begleitet oder ob sie im Krankenhaus arbeitet und dort vielleicht auch viele Geburten betreut. Und die Prämien steigen weiter.

 

Was sind die Konsequenzen?

Das führt dazu, dass viele Hebammen sich aus dem Kerngeschäft, der Geburtshilfe, zurückziehen, weil sie die Kosten nicht mehr tragen können. Zum anderen gibt es durch politische Entscheidungen eine Unterversorgung von Hebammen insbesondere in Ballungsgebieten und im ländlichen Raum, da immer mehr Kreissäle und Geburtsstationen geschlossen werden.

 

Das klingt nach Handlungsbedarf. Ist der Berufsstand Hebamme und das Thema Geburtshilfe ein Wahlkampfthema?

Immerhin werden in nahezu allen Parteiprogrammen die aktuellen Herausforderungen für unseren Berufsstand berücksichtigt - mal mehr, mal weniger konkret. Wir zeigen das in den Wahlprüfsteinen auf unserer Homepage (http://bit.ly/2xarHMZ). Auch die Medien berichten in den letzten Jahren häufiger über die Missstände in unserem Beruf. Das Thema ist in der Politik angekommen. Zusätzlich sind wir in der glücklichen Position, dass Hebammen großen Rückhalt in der Bevölkerung genießen – denn wir werden gebraucht. Heute leben viele weiter weg von den eigenen Eltern oder Großeltern. Das führt dazu, dass Hebammen immer häufiger die ersten Ansprechpartnerinnen sind in der Zeit des Mutter Werdens. Somit steigt die Nachfrage in der Hebammenversorgung.

 

Auch die AfD weist immer wieder auf Herausforderungen im Berufsstand hin und betont die Wichtigkeit von Hebammen - in ihrem Wahlprogramm fordert sie etwa eine finanzielle Entlastung für Hebammen. Wie bewerten Sie die Forderungen der AfD?

Vom propagierten Frauenbild der AfD bis hin zur Positionierung gegen das Abtreibungsrecht: die Frauen- und familienpolitischen Positionen der AfD widersprechen allen ethischen Grundsätzen unseres Berufsstandes. Wir sehen uns klar in der Tradition der Frauenbewegung und verstehen uns als Bündnispartnerinnen der Frauen. Das heißt, wir achten das Recht der Frauen auf reproduktive Selbstbestimmung und wir unterstützen Frauen dabei, autonom Entscheidungen treffen zu können. Das bedeutet für uns auch, dass wir niemanden ausgrenzen und allen Frauen und ihren Familien ungeachtet ihrer Herkunft, ihres sozialen Status und ihrer Lebensformen die notwendige Hilfe ermöglichen, die sie brauchen. Wichtig ist für uns auch ein offenes Familienverständnis, denn Familie ist da, wo Kinder sind. Als Berufsverband sind wir zwar angehalten, politisch neutral zu sein. Unsere Grundsätze machen jedoch deutlich: von Rechtspopulist_innen und der AfD grenzen wir uns entschieden ab.

 

Wie geht der Verband mit der öffentlichen Bezugnahme der AfD um?

Im Nationalsozialismus wurde der Beruf der Hebamme ideologisch aufgewertet, der Verband, damals die „Reichsfachschaft Deutscher Hebammen“, wurde wichtiger Bestandteil zur Umsetzung des bevölkerungspolitischen Interesses nach Steigerung der Geburtenzahlen und war dafür verantwortlich, die Bestimmungen zur „Erbgesundheit und Rassenpflege“ mit umzusetzen. Die Hebammen wurden zu Täterinnen, indem sie „auffällige“ Neugeborene meldeten, die dann später misshandelt oder ermordet wurden. Ebenso waren sie an der Pflege von zwangssterilisierten Patientinnen beteiligt. In einem Positionspapier (http://bit.ly/2ftOUlo) haben wir zu dieser Vergangenheit Stellung genommen. Die bewusste Auseinandersetzung mit unserer Geschichte zeigt unsere besondere Verantwortung, für ein demokratisches Miteinander einzutreten und uns eindeutig gegen Rechtspopulismus und Rassismus positionieren.

Dazu haben wir unterschiedliche Schritte unternommen. Zum Beispiel haben wir uns letztes Jahr auf der Bundesdelegiertenkonferenz mit rechtspopulistischen Strategien und dem Umgang damit beschäftigt, um die Landesvorsitzenden und alle Mitglieder des Verbands dafür zu sensibilisieren. Auch war es eine bewusste Entscheidung des Verbands, die Wahlprüfsteine nicht an die AfD zu senden. Es ist Konsens, dass wir uns nicht von der AfD zu deren Podien oder Veranstaltungen einladen lassen. Ein anderes Beispiel: In Baden-Württemberg hat der AfD-Abgeordnete Stefan Herre Anfragen ans Parlament gestellt zur Hebammenversorgung im Zollernalbkreis. Der Hebammenverband Baden-Württemberg hat zu den Anfragen Stellung genommen und diese veröffentlicht. Diese öffentliche Positionierung verdeutlicht, wo unsere Expertise liegt und dass wir uns nicht von rechtspopulistischen Parteien vereinnahmen lassen.

 

Welche Forderungen vertritt der Deutsche Hebammenverband in Bezug auf die Bundestagswahl?

Frauenpolitik und Geschlechtergerechtigkeit beginnt im Kreissaal. Die Versorgung mit Hebammen ist eine Basisleistung im Gesundheitssystem und soll es auch bleiben. Daher fordern wir eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung mit Hebammen. Dazu gehört, die Arbeitsbedingungen von Hebammen in Kliniken zu verbessern, die unter Personaleinsparung und verstärkter Dokumentationspflicht leiden. Zusätzlich muss das Problem mit den zu geringen Löhnen und der steigenden Haftpflichtversicherung gelöst werden. Der Deutsche Hebammenverband fordert einen Haftpflichtfonds, der für Schäden aufkommt, die über einer bestimmten Deckungssumme liegen. Damit könnte die Preisspirale bei den Prämien gestoppt werden.

 

Sie haben dieses Jahr auch einen gesonderten Wahlaufruf veröffentlicht…

Genau. Geschlechtergerechtigkeit ist ein zentraler Wert unserer Demokratie. Ich bin immer wieder verwundert, dass das in aktuellen Diskursen und mit antifeministischen Aktionen in Frage gestellt wird. Viele denken heute, es ist alles schon erreicht, die Frauen sind gleichberechtigt, es gibt keine Probleme mehr. Aber das ist völliger Unsinn. Frauen sind strukturell immer noch extrem benachteiligt. Wir passen uns mit den Strukturen, die wir in der Arbeitswelt haben, immer noch sehr an das männliche Maß an. Durch diese Strukturen laufen Frauen Gefahr, in alten Rollenmuster zurückfallen, da sie am Arbeitsmarkt benachteiligt werden und der größte Teil der Sorgearbeit immer noch von Frauen geleistet wird.

 

Vor hundert Jahren haben wir noch um das Wahlrecht gestritten. Deshalb ist es wichtiger denn je, dass Frauen heute wählen. Gleichberechtigung und Demokratie gehören zusammen. Daher haben wir uns gemeinsam mit über 40 anderen Frauenverbänden dem Wahlaufruf „Wo Wahl draufsteht, muss Demokratie herauskommen“ (http://bit.ly/2hcicFf) angeschlossen. Mit dem Aufruf positionieren sich die Frauenverbände gegen Rechtspopulismus und Rassismus und treten für ein demokratisches, gewaltfreies Miteinander ein, das Frauen und Männern ein selbstbestimmtes, wirtschaftlich unabhängiges Leben ermöglicht. Wir fordern einen Rechtsstaat, der Frauen und Kindern bedingungslos Schutz vor physischer und psychischer Gewalt bietet. Zusätzlich vertreten wir ein offenes Familienverständnis und verdeutlichen, dass wir uns für Geschlechtergerechtigkeit, Vielfalt, Respekt und Mitmenschlichkeit stark machen.

 
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