Hallo Führer!

Rechtsextremismus ist kein Randphänomen. Auch in der Mitte der Gesellschaft verliert Demokratie an Beliebtheit - das zeigen Untersuchungen der Universität Leipzig. Vor wenigen Wochen erschien die Studie "Vom Rand zur Mitte – Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland". Ein "Zuender"-Interview mit Projektleiter Oliver Decker

Männlich, jung, arbeitslos, ostdeutsch und gewalttätig – so stellt man sich den typischen Rechtsextremen vor. Stimmt das heute noch?

Oliver Decker: Diesen stereotypen Rechtsextremen gibt es immer noch. Gleichzeitig findet sich rechtsextremes Gedankengut in der ganzen Gesellschaft: In beiden Teilen des Landes, in Kirchen wie in Gewerkschaften und quer durch alle Altersgruppen. Der typische Rechtsextreme aus dem Westen ist zum Beispiel männlich und über 60 – das ist kein kahl rasierter Schläger.

Wie „messen“ sie Rechtsextremismus in der Studie „Vom Rand zur Mitte“?

O. D.: Die Dimensionen, nach denen wir Rechtsextremismus untergliedert haben, sind Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, der Wunsch nach einer rechtsextremen Diktatur, die Verherrlichung der NS-Vergangenheit und Sozialdarwinismus. Das fragten wir dann in den Fragebögen und Gruppengesprächen ab. Im Fragebogen haben die Teilnehmer auf einer Skala von “stimme überhaupt nicht zu” bis hin zu “stimme voll und ganz zu” verschiedene Aussagen zu diesen Dimensionen bewertet. In den Gruppendiskussionen sprachen sie über ihren biografischen Hintergrund und über die eigene und die nationale wirtschaftlichen Lage, weil das wichtige Erfahrungen bei der Entstehung einer politischen Einstellung sind.

Ihre Studie räumt auch mit anderen Klischees auf. Wie Sie zeigen, wählen Rechtsextreme häufiger SPD und CDU/CSU als DVU.

O. D.: Soziale Milieus bestimmen die Wählerbindung. Der rechtsextrem eingestellte Katholik aus Fulda oder der Gewerkschafter aus Essen wählt weiterhin CDU oder SPD. Die großen Parteien sind durch ihre Stärke attraktiv für Menschen, die nach Autorität suchen. Die Gefahr besteht weniger darin, dass rechtsextreme Parteien an Regierungen beteiligt werden, sondern dass die demokratischen Parteien im Kampf um Wählerstimmen versuchen, die Parolen der Rechten zu übernehmen. Dadurch kann sich auf Dauer das politische Klima insgesamt nach rechts verschieben.

Frauen wird nachgesagt, sie könnten sich besser in Andere einfühlen. Schützt sie das vor rechtsextremem Denken?

O. D.: Wir finden unter Frauen tatsächlich geringere Zustimmungswerte zu den ausländerfeindlichen Aussagen im Fragebogen. Aber in den Gruppendiskussionen waren ausländerfeindliche Ressentiments bei Frauen genauso stark ausgeprägt wie bei den männlichen Teilnehmern – sie waren sogar die Wortführer. Andere Studien zeigen, dass Frauen zwar selbst seltener gewalttätig werden, aber die Gewalt an Männer delegieren. Frauen sind also keineswegs die besseren Menschen.

Warum wird jemand rechtsextrem?

O. D.: Wir leben heute in einer Situation von großem gesellschaftlichen Druck, gegenüber dem sich viele Menschen ohnmächtig fühlen. Jeder oder jede kann selbst Opfer konkreter oder symbolischer Gewalt werden. Die wenigsten reagieren darauf mit Reflexion. Die meisten suchen sich eine Gruppe, auf die sie ihre Wut und ihren Frust abladen können. Das ist ein klassischer Projektionsmechanismus, der mit der eigenen Erziehung zusammen hängt: Teilnehmer unserer Gruppendiskussionen, die berichten, autoritär erzogen worden zu sein und geschlagen wurden, neigen als Erwachsene ebenfalls zu solchen Formen der autoritären Aggression – also der Wut auf Schwächere oder jene, die als schwächer wahrgenommen werden.

Die als rechtsextrem eingestuften Teilnehmer Ihrer Studien haben tatsächlich besonders häufig angegeben, von ihren Vätern geschlagen worden zu sein. Ist Rechtsextremismus das Ergebnis von elterlichem Versagen?

O. D.: Wir brauchen ganz allgemein ein demokratisches Erziehungsideal. Die Idee von Härte herrscht leider immer noch vor.

15,4% der Befragten der Studie „Vom Rand zur Mitte“ wünschen sich einen „starken Führer“.

O. D.: Das ist der Wunsch nach Identifikation mit einer starken autoritären Figur. Die eigene Autonomie und Freiheit wird von den Befragten nicht etwa als Wert geschätzt. Sie empfinden sie als Belastung und wollen sie durch Unterwerfung unter einen Führer loswerden. Das ist kompliziert, denn es hat zum einen etwas mit dem gesellschaftlichen Druck zu tun, mit der Angst, als Einzelner der allgemeinen Gewalt ausgesetzt zu sein – da ist es besser, in der Masse unter einer Autorität zu verschwinden. Zum anderen hat es etwas mit der persönlichen Biografie zu tun: Individualität muss als Kind mühselig erworben werden. Wenn sie durch autoritäre und gewaltvolle Erziehung entsteht, ist sie auch immer mit der Erinnerung an diese Gewalt verbunden und bleibt damit immer auch ambivalent.

Wünschen sich die Befragten tatsächlich die Nazizeit oder die DDR zurück?

O. D.: Wenn jemand sagt „früher war alles besser“, heißt das noch nicht, dass er tatsächlich zurück möchte in die DDR oder Nazideutschland. Es verdeutlicht aber den Wunsch nach einer Autorität, nach einer Masse in der man aufgehen kann, nach Sanktionen gegen Abweichung. Es wird sichtbar, dass die Demokratisierungsbewegungen in Ost 1989 und West 1968/69 nur einen kleinen Teil der Bevölkerung erreicht haben – das war quasi das Fettauge auf der Suppe. Die Zustimmung zur Demokratie, das wurde in den 50er Jahren für Westdeutschland beschrieben, hing sehr stark an der Wohlstandsentwicklung. Sie war eine Kompensation des verlorenen Krieges, wir haben das in unserer letzten Studie als eine „narzisstische Plombe“ beschrieben. Heute, in einer Zeit, in der sich die Organisation der Arbeitsgesellschaft und die Verteilung des Wohlstandes ändern, löst sich die Plombe und es wird sichtbar, dass es hier sehr große Demokratiedefizite gibt.

Kann man Demokratie lernen?

O. D.: Ja, das wäre ja sonst fürchterlich. Demokratie lernt man über Erfahrung: Wenn nicht erfahren wird, wie sie funktioniert, bleibt sie äußerlich. Wir müssen also in den Institutionen, in denen die Menschen einen Großteil ihres Lebens verbringen, die Erfahrung von Demokratie und Partizipation möglich machen. Das gilt für Schule, Universität und Betriebe. Auch Institutionen wie die Arbeitsagentur müssen demokratisiert werden, damit die Menschen sich selbst als Teil des gesellschaftlichen demokratischen Prozesses verstehen und nicht als Verwaltungsobjekte. Aber von der Idee eines Volksentscheides halte ich zum Beispiel nichts, dann hätten wir bei der momentanen Stimmung in drei Jahren wieder die Todesstrafe.

Wie kann eine demokratische Schule oder Universität aussehen?

O. D.: In den Universitäten könnten Studenten in gleichem Maße an den Entscheidungen beteiligt werden – im Moment stellen noch Professoren die Mehrheit in den Gremien der Selbstverwaltung. In den Schulen könnten Schüler und Schülerinnen selbst Gremien bilden, über eigene Budgets verfügen, eigene Zeitschriften auflegen. Auch der Lehrplan kann von den Schülern und Schülerinnen mitgestaltet werden.

Sie wissen nun was die Deutschen wollen. Wie wäre es mit einer eigenen Partei?

O. D.: (lacht) Als Wissenschaftler pflege ich eine gewisse Distanz zu den Parteien. Außerdem sind Menschen in öffentlichen Ämtern keine Privatpersonen mehr und mir ist meine Privatsphäre sehr wichtig.

Das Interview führte Jasmin Rietdorf

Zum Thema

|Wir sind gut, wenn es uns gut geht. Ein Artikel über die Decker-Studie

drucken