Diskussion in der Amadeu Antonio Stiftung zu "Le_rstellen im NSU-Komplex.
BTN / SR

Gender, NSU, Rechtsterrorismus: "Frauen als Menschen, die eigenständig denken“

Der NSU-Prozess geht dem Ende entgegen, die Hauptangeklagte ist eine Frau. Trotzdem – und deswegen – trauen Gericht, Medien und Öffentlichkeit ihr weniger Verantwortung für die Taten zu. Das ist kein Einzelfall. Warum es für Prävention und Strafverfolgung wichtig ist, Geschlecht im Blick zu behalten, wurde gestern bei einer Veranstaltung der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus in Berlin diskutiert, auf der die neue Broschüre „Le_rstellen im NSU-Komplex“ vorgestellt wurde.

 

Von Simone Rafael

 

Beate Zschäpe hat die Taten des Nationalsozialistischen Untergrundes ermöglicht. Sie hat nicht die Waffe in der Hand gehalten bei den Morden und Raubüberfällen, aber sie hat das Leben im Untergrund organisiert, dass es Orte zum Wohnen gab und Krankenversicherung, wenn nötig. Sie hat die Finanzen verwaltet. Sie hat die „bürgerliche Tarnkappe“ der Rechtsterroristen gestaltet, ein Familienbild für das Lebensumfeld dargestellt, dafür auch hier und da von Freunden ein Kind ausgeliehen. Ohne diese Logistik wäre ein über zehn Jahre unentdecktes Untergrund-Leben der Rechtsterroristen niemals möglich gewesen. Schon mit 17 hat sie zugleich explizit vor Reportern zu ihrem geschlossenen rechtsextremen und rassistischen Weltbild gestanden, auch später diverse politisch rechtsextreme Aktivitäten ohne die Uwes, also Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, besucht.

„Und trotzdem wird ihr etwa in der Berichterstattung zugeschrieben, unpolitisch zu  sein. Sie wird sexualisiert, wenn vor allem von ihrem Aussehen die Rede ist, und mit sexistischen Zuschreibungen belegt, wenn es darum geht, ihre Rolle im NSU zu marginalisieren“, sagt Judith Rahner  von der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung, „dabei wäre es Rechtsterroristen und rechtsextremen Gewalttätern niemals möglich, lange ‚unsichtbar‘ zu bleiben, wenn sie nicht die Rückzugsräume hätten, die rechtsextreme Frauen schaffen.“  

Der gesellschaftlich verbreitete Stereotyp, Frauen seien grundsätzlich eher „friedfertig“ und „unpolitisch“, wird von rechtsextremen Frauen bewusst bedient, denn es nutzt ihnen und ihrer politischen Arbeit ja. Erste Rasterfahndungen zum NSU der Behörden schlossen „Frauen“ von vornhinein aus. Im Prozess inszeniert sich Beate Zschäpe als unwissende, unsichere, emotional abhängige Frau, was von Gerichtsmitarbeitern und Anwälten mit einem sehr gelösten Verhalten goutiert wird, es wird gemeinsam gelacht, die Angeklagte mit Bonbons und freundlichen Worten versorgt – kaum vorstellbar bei einem männlichen Rechtsterroristen, der wegen 10 Morden vor Gericht steht. „Frauen werden in ihrem politischen und rassistischen Weltbild nicht ernst genommen. Damit werden sie unterschätzt und bleiben länger unentdeckt – oder werden weniger hart bestraft,“ sagt Judith Rahner, „doch sie sind natürlich genauso rechtsextrem wie Männer. Nicht ohne Grund gab es im NSU-Netzwerk besonders viele weibliche Helferinnen, auch wenn derzeit nur die Männer vor Gericht stehen. Für die erfolgreiche Bekämpfung von Rechtsextremismus ist es unerlässlich, Gender mitzudenken und auch die weiblichen Formen zu sehen.“ Mit diesen Themen beschäftigt sich intensiv eine neue Broschüre der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus mit dem Titel „Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitsimus“, die am 24.05.2018 erschienen ist und mit einer Diskussionsveranstaltung in der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin vorgestellt wurde.

Antonia von der Behrens ist Nebenklage-Anwältin im NSU-Prozess und vertritt die Familie des Dortmunder Opfers Mehmet Kubasik im NSU-Prozess. Angesichts des nahenden Endes des NSU-Prozesses fällt ihr Resümee ernüchternd aus: „Die Dreiergruppe NSU ist nicht plausibel. Wir wollten wissen, wie sahen die Unterstützer-Strukturen in Dortmund aus? Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz? Wären Morde verhinderbar gewesen? Nichts davon wurde im Verfahren geklärt, es wurde für unerheblich für die Verurteilungen der jetzt Angeklagten erklärt.“ Die NSU-Untersuchungsausschüsse in verschiedenen Bundesländern findet sie ergiebiger. Trotzdem sieht sie ein Gutes an dem langen Prozess in München:  „Er hat das Interesse an der Aufklärung des Falles wach gehalten. Jetzt soll juristisch alles beendet werden: Strafverfahren im NSU-Umfeld, etwa gegen Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas Temme und Lothar Lingen, wurden ohne Klärung eingestellt. Die wichtigsten weiblichen Helferinnen, Susann E. und Mandy S., kommen so wohl nicht mehr vor Gericht.“ Dann käme es wieder ganz auf die Zivilgesellschaft an, hier Aufklärung zu betreiben.

Von Zschäpes Auftreten vor Gericht berichtet von der Behrens: „Erst hat sie ja geschwiegen und die Verteidigungsstrategie war: Sie hat die Blumen gegossen und nichts gewusst. Später, als sie aussagte, sagte sie: Sie sei rechtsnational gewesen, aber jetzt natürlich nicht mehr. Von den Morden habe sie nichts gewusst, nur von den Raubüberfällen. Sie sie doch selbst ausgeliefert gewesen.“  Zugleich agiert sie sehr strategisch im Prozess, feuert und heuert Anwälte an: „Da kam dann ihr Wille, sich durchzusetzen, auch vor Gericht durch“. Ein traditionelles Frauenbild als Verteidigungsstrategie.

Soziologin Charlie Kaufhold hat den NSU-Prozess für die Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus beobachtet. Ihr Fazit: „Beate Zschäpe wird vor Gericht und in den Medien vor allem als Frau statt als Rechtsextreme wahrgenommen.“  Die Berichterstattung sei entsprechend entweder dämonisierend gewesen – Zschäpe als „Teufel“, aber als „schicker Teufel“, in der BILD – oder bagatellisierend als Mitläuferin und Hausfrau, wenn etwa die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schon vor Jahren feststellt, Zschäpe sei doch „nicht gefährlich“. Angesichts jüngster rechtsterroristischer Taten unter weiblicher Beteiligung müssten wir gesellschaftlich unsere Gewalt-Definitionen hinterfragen: „Ist Gewalt nur körperliche Gewalt? Oder gehört dazu nicht auch ihre Ermöglichung durch Pläne schmieden, Infrastruktur schaffen und ähnliches?“  Von Berichterstattung über rechtsextreme Straftäterinnen wünscht sie sich abschließend: „Ihre politische Einstellung, ihre rassistische Tatmotivation sollte klar benannt werden. Ansonsten reicht ja ein sachlicher Umgang: Frauen als Menschen ansehen, die eigenständig handeln und denken und dabei natürlich auch rassistisch oder rechtsextrem sein können.“

Christina Büttner arbeitet für die Opferberatungsstelle „Ezra - Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen“  und hatte dort mit den Gerichtsverhandlungen zum rechtsextremen gewalttätigen Übergriff in Ballstädt zu tun – auch der mit weiblicher Tatbeteiligung. Sie sagt: „Die Wichtigkeit der Unterstützung von rechtem Terror durch Frauen wird massiv unterschätzt.“  Auch im Ballstädt-Prozess sei die Rolle der Frau heruntergespielt worden. „Die stand an der Tür und hat die Zeit gestoppt, wie lang es dauert, bis die Polizei nach dem Notruf kommt, um den Gewalttätern zur rechtzeitigen Flucht zu verhelfen. Eine zentrale Rolle. Und trotzdem wurde sie nicht ernst genommen.“  Entsprechend würden gerade bei Frauen die rechtsextremen und rassistischen Tatmotive entweder nicht erkannt oder zumindest nicht benannt. „Das führt dann schnell zu Abwehr à la ‚Das ist doch Gesinnungsstrafrecht gegen rechts‘“. Auf der anderen Seite würden Frauen auch innerhalb der eigenen Szene oft wenig ernst genommen. Mit Blick auf rechtspopulistische Politikerinnen, die derzeit viel Öffentlichkeit bekommen, sagt Büttner : „Ich denke etwa in Thüringen an Wiebke Muhsal. Die wird in ihrer eigenen Partei auch nicht ernst genommen. In der Presse bekommt sie Aufmerksamkeit, aber mehr aus Voyeurismus, dass da ‚auch mal eine Frau‘ dabei sei.“

Judith Rahner von der Fachstelle ergänzt: Die prominenten AfD-Frauen wie Alice Weidel träten ja auch eher vom Frau sein zurück in ihrer Rolle als AfD-Führung und setzten es höchstens strategisch ein, wenn sie Frau-Sein etwa zur rassistische Hetze gegen Geflüchtete unter dem Deckmantel des „Schutzes von Frauenrechten“ nützen könnten.

Aus dem Publikum kam außerdem die Anregung, auch unter Anti-Rechts-Aktivisten gäbe es oft einen männlichen Blick und auch im Monitoring rechtsextremer Aktivitäten und Akteure fielen Frauen oft unter den Tisch und blieben trotz jahrzehntelangem Engagement unbekannt und ungesehen.  Judith Rahner bekräftigte dies und wies auf mehr Leerstellen hin: „Auch das migrantische Wissen fehlt in der Aufklärungsarbeit weiterhin, wie schon beim NSU. Da wussten etwa in der Keup-Straße die Opfer sehr schnell, dass es rechtsextreme Täter waren, aber niemand hörte ihnen zu.“

Als Lehre aus dem NSU-Prozess wünscht sich Christina Büttner außerdem gesellschaftliche Aufmerksamkeit für die Betroffenen rechtsextremer Gewalt: „Es gibt weiterhin massive Angriffe auf Geflüchtete, aber die Aufmerksamkeit dafür nimmt ab.“ Dafür seien die Zeitungen voll mit Straftaten durch Geflüchtete – wovon nicht einmal alle real seien. „Viele Opfer rechtsextremer Gewalt werden abgeschoben, bevor es zum Prozess kommt – das müssen wir ändern! Aber eines können wir auch sofort tun: Den Betroffenen das Gefühl geben, es interessiert jemand, was ihnen passiert ist.“

 

Die Broschüre:
 

 

Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus

„Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitismus“.

Hrsg.: Amadeu Antonio Stiftung

Berlin 2018

 

Als PDF zum Download hier:

 

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