Gegen das Vergessen: Auschwitz-Überlebender erzählt Jugendlichen seine Geschichte

Nach über 60 Jahren sucht Werner Bab den Dialog mit Schülern, um an die NS-Verbrechen zu erinnern - eindrucksvoller, als ein Schulbuch es je könnte. Ermöglicht hat dies ein interessierter junger Mann, der einen Film über ihn drehte, die Begegnungen organisiert und sogar eigens einen Verein gründete. Doch fördern will die Arbeit niemand. Somit steht das Projekt vor dem Aus.

Von Bea Marer

Montagmorgen: Auschwitz

Der Saal wird dunkel, die gut 150 Zehntklässler kommen zur Ruhe. Film ab, die Kamera folgt einer Landstraße. Morgentau hängt über den Wiesen. Stille. Dann ist ein Wachturm zu sehen, bald auch der Stacheldrahtzaun und die langgestreckten Baracken dahinter. Eine volle Stimme ertönt aus dem Off: „Es wusste keiner etwas von der Existenz von Auschwitz“. Der Dokumentarfilm „Zeitabschnitte des Werner Bab“ katapultiert die Zuschauer unmittelbar in die Thematik. Bilder und Filmabschnitte zeigen die Deportierten und die Zustände in den Konzentrationslagern zeigen. In Zwischenschnitten berichtet der Überlebende Jude Werner Bab über seinen Fluchtversuch 1942, die Deportation und sein Leben in Auschwitz und anderen Lagern, bis hin zur Befreiung.

Der Dokumentarfilm schafft mit einfachen Mitteln einen persönlichen Zugang zum Thema Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten. Es wird aber noch eindringlicher: Denn die Schülerinnen und Schüler der Katholischen Schule St. Franziskus Berlin haben im Anschluss an den Film die einmalige Gelegenheit, Werner Bab persönlich Fragen zu stellen.

Der 84-jährige ist einer der wenigen noch lebenden Zeugen der kaum vorstellbaren Geschehnisse in den Konzentrationslagern. Dass er heute hier sitzt, zwar fast taub und durch zwei Schlaganfälle geschwächt, verdankt er einer großen Portion Glück und einem engagierten jungen Mann, der die Gespräche organisiert. Der damalige Student Christian Ender hat Babs Lebensgeschichte 2002 durch Zufall entdeckt. Ender beschloss, eine Dokumentation der Erlebnisse dieses Mannes in und nach Auschwitz zu drehen. Seit 2005 besuchen die beiden gemeinsam Einrichtungen, die an einer Gesprächsrunde interessiert sind. Alles ehrenamtlich, inklusive kostenloser DVD in 18 Sprachen für das gesamte Publikum.
Bab wurde für sein Engagement sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, was ihn mit besonderem Stolz erfüllte.

„Das Vergessen verlängert das Exil“ – endlich reden

Das Saallicht geht an und die Jugendlichen unterhalten sich sofort angeregt. Sie bekommen gar nicht so recht mit, dass ein kleiner, weißhaariger Mann sich auf das Podium zubewegt, gestützt durch einen hoch gewachsenen jungen Mann. Doch als Christian Ender sie durch Mikrophon begrüßt, wird die Menge still und wartet. Alle sind neugierig, was dieser alte Mann erzählen wird, der so viel spannender ist, als ein trockenes Kapitel im Geschichtsbuch. Sie werden nicht enttäuscht. Werner Bab schildert eifrig, denn er freut sich, dass sich nach so langer Zeit jemand für seine Geschichte interessiert: „Ich hätte mich sehr gefreut, wenn jemand gefragt hätte, aber das tat niemand. Nie.“

Nach der eintätowierten Häftlingsnummer am Arm fragte ihn nur einmal ein kleines Mädchen, das wissen wollte, warum er seine Telefonnummer tätowiert hätte. Seinen späteren Arbeitskollegen in den USA erzählte er nichts, nicht einmal mit seinem Enkeln konnte er darüber sprechen, da die das doch gar nicht interessiert hätte, sie es gar nicht hätten verstehen können. Doch jetzt will er zur jungen Generation sprechen, um ihr als direkte Quelle von den Verbrechen der Nationalsozialisten zu erzählen. Er möchte seinen Beitrag leisten, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.

Auch heute erzählt er den Klassen immer wieder von der Demokratie als „bestes Leben“, in dem jeder Mensch tun könne, was er wolle und keinen Zwängen unterworfen sei. Ist Letzteres auch ein streitbarer Punkt, hat das Hochhalten der Demokratie durch einen jüdischen Überlebenden der NS-Diktatur doch einen ganz anderen, gewichtigeren Stellenwert für die Jugendlichen, als Predigten der Politiker oder Politikerinnen es je könnten.

Im Dialog mit „lebendiger Geschichte“

Die Schülerinnen und Schüler fragen anfangs zögerlich, denn wie mit einer Frage fassen, was eigentlich unfassbar ist? Jemand möchte wissen, was Bab vom neu aufflammenden Rechtsextremismus unter Jugendlichen hält. Er appelliert hier an die Parteien, die viel mehr für junge Menschen tun müssten, „denn die jungen Menschen sind die Zukunft“. Von einem NPD-Verbot hält Bab nichts: „Lieber ist mir die NPD und ich weiß, wer drin steckt, als wenn diese Leute alle im Untergrund wären“.

Eine Schülerin fragt, wie Bab anfangs von Hitler dachte. Er schildert die Stimmung mit einer Anekdote: „Meine Großmutter hat mit 80 Jahren Hitler gewählt und war stolz darauf. Mit 88 wurde sie vergast.“

Abschließend ruft Bab auf, die Wahlen als Ehre zu verstehen und dieses Recht zu nutzen. „Hütet euch vor der Diktatur! Es kann euch jeden Tag treffen“, warnt er noch einmal mit erhobenem Zeigefinger.

Aus der jungen Generation: „Das war alles viel schlimmer, als ich dachte“

Den Jugendlichen hat das Gespräch gefallen. Lukas ist 15, er hat viel Neues erfahren: „Wir fangen in der 10. Klasse gerade erst mit dem Thema an. Von den Sprachproblemen in den Lagern wusste ich vorher nichts und überhaupt war alles viel schlimmer, als ich dachte.“ Auch Samira (16) und Alexandra (15) fanden das Gespräch spannend: „Neue Fakten habe ich nicht gehört, aber es war toll, sie aus der Sicht eines Überlebenden zu hören.“ Zu Hause sprechen sie nicht darüber. Für sie ist es kein Tabu-Thema, sie kamen nur noch nie darauf. So weiß keiner der beiden, ob und wie die eigene Familie in die NS-Zeit verstrickt war. Alle drei wünschen sich, dass es
öfter solche Gespräche mit Überlebenden gebe. Auch das Gästebuch der Internetseite ist voll von Danksagungen für vergangene Veranstaltungen. Doch so leicht ist das nicht…

Der Dialog droht zu verstummen

Um solche Veranstaltungen zu ermöglichen, hat Christian Ender einen Verein gegründet. Imdialog! e.V. sollte die Finanzierung der Reisen und der DVDs erleichtern. Es gibt auch eine Reihe von Spendern und Unterstützern, allen voran das Jüdische Museum Berlin. Jedoch handelt es sich bei den Spenden laut Ender meist um einmalige Aktionen. Gereicht habe das Geld nie, die Differenz zahlt Ender aus eigener Tasche. Sogar Vorträge in Chile und Sao Paulo hat er finanziert. Aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber Bab und weil er von der Sache überzeugt ist. Er interessiert sich schon lange für die Shoah und wollte seit Kindesalter mit einem Überlebenden sprechen.

Doch ist das Engagement des Doktoranten der Philosophie auch unglaublich groß, unendlich kann es ohne Finanzierung nicht sein. Ender versteht nicht, wie gerade in Deutschland nicht genug Geld für ein Projekt mit Holocaust-Überlebenden zusammenkommen kann. „Ich habe Aktenordner voll von abgelehnten Anträgen stehen, ich begreife das einfach nicht.“ Zum Ende des Jahres läuft das Projekt aus, wenn sich nicht noch ein Geldgeber findet. Dies wäre unfair der jungen Generation gegenüber, der so eine wichtige Zugangsmöglichkeit zur NS-Geschichte verwährt bliebe. Lange kann auch nicht mehr darüber überlegt werden. Denn bald ist niemand mehr da, den man fragen kann. Daher sei aufgerufen, zu spenden:

Spendenkonto:
Kontoinhaber: imdialog e.V.
Commerzbank Göttingen
Kontonummer: 6024582
BLZ: 26040030

| Weiterlesen im Netz:

imdialog! E.V. – hier können Gespräche angefragt und die DVD bestellt werden

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