"Fusbal-Maister" 1947: Ichud Landsberg
Foto: Bet Lochamei Hagetaot/jgt/nurinst archiv

Ichud und die Fusbal-Simpatiker

Auf dem Fußballplatz konnten jüdische NS-Überlebende die Grauen der Shoa vergessen: in einer eigenen Liga in Deutschland. Vor 65 Jahren wurde Landsberg Meister - am Tag, an dem die UNO den Weg zur Gründung eines jüdischen und eines palästinensischen Staates frei machte.

Von Jim G. Tobias

"Der Himmel klart auf, die Sonne beginnt wärmer zu werden. Nur noch ein paar Wochen und die Plätze werden sich wieder mit ausgehungerten Sportsfreunden füllen, die sich nach dem Spiel mit dem Ball, nach Toren und nach etwas Herzkitzeln sehnen", textete die "Jidisze Sport Cajtung" (eine Art jüdischer Kicker) im Spätherbst 1947 gefühlvoll, um den Lesern die freudige Nachricht mitzuteilen: "Bald beginnt die Fußballsaison!" Diese Meldung stand nicht in einer Lokalzeitung aus Tel Aviv oder Jerusalem, sondern in einem im besetzten Deutschland verlegten jüdischen Sportmagazin. Ausgerechnet im Land der Täter spielten, nur kurze Zeit nach dem Holocaust, jüdische Überlebende in über 80 Vereinen und mehreren Ligen um Punkte und Tore.

Noch immer ist kaum bekannt, dass sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit rund 200.000 Juden in Deutschland aufhielten: Überlebende aus den KZ und Zwangsarbeiterlagern sowie osteuropäische Juden, die vor antisemitischen Übergriffen aus ihren Heimatländern geflüchtet waren. Die Menschen warteten auf eine Weiterreise nach Palästina oder Übersee. Doch der Staat Israel existierte noch nicht und die britische Mandatsmacht in Palästina verwehrte die Einreise ins Gelobte Land. So waren die Juden gezwungen, einige Jahre in Auffanglagern, den sogenannten Displaced Persons Camps zu verbringen.

Schon bald nachdem die Grundbedürfnisse befriedigt waren, verlangten die Bewohner der "Wartesäle" nach Zerstreuung. Der Wunsch nach sportlicher Betätigung stand dabei ganz oben auf der Liste, wie ein "Aufruf an die Jüdische Jugend" belegt: "Wir haben noch immer die Schrecken des Hungers, der Qualen, des Todes und der Krematorien vor unseren Augen. Darum wollen wir unsere alte Tradition zum neuen Leben erwecken, indem wir durch Sport die Seele zu neuer physischer und moralischer Kraft entwickeln."

Zwei Spitzenteams dominieren

Mit Abstand am beliebtesten war der Fußball. Beim Spiel mit dem Ball konnten die Menschen der Lethargie des Lagerlebens entkommen und einen Moment ihre traumatischen Erinnerungen an die mörderische Vergangenheit vergessen. Und immer mehr ehemalige Aktive wollten ihr geliebtes Spiel wieder ausüben. So ist es nicht verwunderlich, dass ab Frühjahr 1946 überall Mannschaften gegründet wurden. Bald entstanden Bezirksligen, wie sie in der Region um München und Bamberg, im Raum Regensburg, Frankfurt am Main sowie Kassel dokumentiert sind. Neben diesen Ligen wurde als Königsklasse eine 1. Fußball-Liga in der US-Zone ins Leben gerufen. Nach Beendigung der Saison 1946 mit Vereinen wie Makabi Föhrenwald, Bar Kochba Regensburg, Hakoach Bamberg, Kochaw Eschwege, Hagibor Heidenheim oder Hapoel Zeilsheim errang die Elf von Ichud Landsberg souverän den ersten Titel "Jüdischer Fußballmeister" in der US-Besatzungszone.

Waren 1946 nur zehn Teams im eingleisigen Oberhaus der Liga vertreten, wurde der Spielbetrieb 1947 auf 22 Mannschaften ausgedehnt - aufgeteilt in eine Süd- und eine Nordgruppe. Die jeweiligen Sieger spielten um die Meisterschaft, die Zweiten um Platz drei. Mit einem deutlichen Vorsprung von sechs Punkten verwiesen die Landsberger die Elf aus dem Lager Feldafing auf den zweiten Platz. Im Norden holte das Team von Hasmonea Zeilsheim, vor dem CSC Ulm, die Meisterschaft. Beide Spitzenteams dominierten ihre Ligen und hatten frühzeitig die Tabellenführung inne.

Showdown im Grünwalder Stadion

Obwohl der Wetterbericht für den Tag des Endspiels um die Meisterschaft einen bewölkten Himmel und vereinzelt Schneefall vorausgesagt hatte, blieb es am 29. November 1947 in München trocken und freundlich. Gut gelaunt und warm eingepackt strömten die Fans schon vormittags ins Grünwalder Stadion. "Aus allen Lagern, ob Nah oder Fern, kamen Hunderte, ja Tausende von Zuschauern mit Zügen, Omnibussen und Autos", schrieb die "Jidisze Sport Cajtung": "Zu Beginn des Hauptspieles hatten sich 5.000 Menschen eingefunden." Dies sei "kein Wunder", haben doch viele "Fusbal-Simpatiker" seit Monaten ungeduldig auf diesen Tag gewartet.

Punkt 12 Uhr mittags pfiff der Schiedsrichter das Spiel um den dritten Platz an. Die Ulmer Mannschaft übernahm sofort die Initiative, setzte das Team von Feldafing mit schnellem Kurzpass-Spiel unter Druck und kam schon bald zu zwei guten Torchancen. Dennoch gelang Feldafing in der 25. Minute der erste Treffer durch Handelfmeter - zehn Minuten später das 2:0. Mit diesem Ergebnis gingen die Mannschaften in die Kabinen. Nur wenige Minuten nach Wiederanpfiff fiel überraschend der Anschlusstreffer. Die Ulmer drängten auf den Ausgleich und arbeiteten sich schöne Möglichkeiten heraus; allein es fehlte ihnen ein Vollstrecker. Mit viel Glück konnten die Feldafinger den Vorsprung über die Zeit retten und als Sieger vom Platz gehen.

Nun stand der Höhepunkt der Fußballsaison bevor: Das Endspiel um die Meisterschaft. Die Begeisterung der 5.000 Zuschauer war riesig, als der Titelverteidiger Ichud Landsberg und sein Herausforderer, das Team von Hasmonea Frankfurt-Zeilsheim, einliefen. Die Partie versprach spannend zu werden, da Landsberg ersatzgeschwächt war und ohne zwei Stammspieler antreten musste. Beide Mannschaften begannen ohne taktische Zwänge aufzuspielen und lieferten sich einen herzerfrischenden Angriffsfußball. Aufgrund seiner kompakten Abwehr und der technisch versierteren Spieler bestimmte Landsberg vor allem in der zweiten Halbzeit das Geschehen auf dem Rasen. Das 1:0 fiel unmittelbar nach der Pause, das vorentscheidende 2:0 nur wenige Minuten später und kurz vor Schluss mussten die Zeilsheimer auch das 3:0 hinnehmen. Das Ausnahmeteam von Landsberg hatte sich wieder einmal durchgesetzt.

Ichud trägt den Titel nach Israel

"Nachdem Ichud schon 1946 den Titel gewonnen hat, ist die Mannschaft erneut Fußballmeister in der US-Zone geworden", freute sich die in Landsberg verlegte "Jidisze Cajtung". "Wiederum zeigte Ichud, dass sie nicht zu besiegen sind - in den letzten zwei Jahren haben sie nur zwei Spiele verloren." Auch die "Jidisze Sport Cajtung" feierte das Team: "Ichud ist weiterhin die beste Mannschaft in unserer Zone", so die Schlagzeile auf dem Titel und der Sportreporter jubelte: "Es lebe der jüdische Sport in unserem eigenen Staat."

An diesem 29. November 1947 hatte nämlich die UN-Vollversammlung in einer mit Spannung erwarteten Sitzung die Teilung des britischen Mandatsgebietes Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat beschlossen. Ein lang ersehnter Traum war zum Greifen nahe. Nicht nur in München tanzten die Juden auf den Straßen und einige freuten sich darauf, bald in den Vereinen von Haifa, Tel Aviv oder Jerusalem zu kicken. Eine dritte Meisterschaft jüdischer Fußballer fand in Deutschland nicht mehr statt.

Der Autor Jim G. Tobias ist Leiter des "Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts". Zurzeit stellt das Institut ein Internetlexikon über alle in Bayern zwischen 1945 und 1950 bestehenden jüdischen DP-Lager und -Gemeinden zusammen.

Der Artikel erschien zuerst in der Tageszeitung Neues Deutschland, Übernahme mit freundlicher Genehmigung von Autor und Redaktion.

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