NPD-Chef Schmidtke (In Jeans und Karohemd) auf der BürgerInnenversammlung in Hellersdorf
Christian Jäger

Gefährliche Allianz in Hellersdorf

Das Max-Reinhardt-Gymnasium in Berlin-Hellersdorf wurde 2008 aufgrund sinkender Schülerzahlen geschlossen. Jetzt wird im Gebäude eine Notunterkunft für asylsuchende Menschen eingerichtet. Mit Protesten der Anwohnerinnen und Anwohner war zu rechnen, nicht aber mit dem Ausmaß an Hass, Aggression und rassistischen Vorurteilen. Um der Nachbarschaft die "Sorgen und Ängste" zu nehmen, luden der Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD) und die Bezirksstadträtin für Gesundheit und Soziales, Dagmar Pohle (Linke), zu einer Informationsveranstaltung ins Evangelische Gemeindezentrum ein.

Von Ulla Scharfenberg

Aufgrund des erwarteten Andrangs wurde die Informationsveranstaltung kurzfristig auf den Hof der Schule am Rosenhain verlegt. Bereits eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn sind die aufgestellten Bierbänke fast vollständig besetzt. Die Menschen drängen sich in den wenigen Schattenplätzen zusammen. Sie sind gekommen, um ihrem Ärger Luft zu machen. "Informationen zu Hintergründen und Situationen der Menschen (…) die im Bezirk eine Unterkunft finden werden", wie vom Bezirk angeboten, interessieren hier die allerwenigsten. "Wenn das Heim kommt, zieh' ich hier weg", sagt eine Frau. Ihre Begleiterin erwidert: "Och nee. Am Ende hab ich dann sowas als Nachbarn", sie deutet auf eine Gruppe schwarzer Menschen, die gerade ankommt. "Was wollen die hier? Die können doch gar kein Deutsch. Also echt, was hier so rumsteht…"

Rassistische Hetze auf fruchtbarem Boden

Die Stimmung auf dem Schulhof ist angespannt. Viele der Anwesenden tragen weiße T-Shirts mit dem Slogan "Nein zum Heim". Sie gehören der "Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf" an, die sich erst Mitte Juni gründete. Auf Facebook hat die Bürgerinitiative bereits 1.321 Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden. (Stand 10. Juli, 16 Uhr.) Der Ton auf der Seite lässt keinen Zweifel an den Zielen der Gruppe. Der "Asylantenlobby der Multikulti-Parteien" wird vorgeworfen, das "massive(s) Einwanderungsproblem mit Zigeunern aus Mazedonien (…) (reine Wirtschaftsflüchtlinge – sprich Asylbetrüger)" zu ignorieren und fordern: "Kein weiteres Asylbewerberheim in Marzahn Hellersdorf, hier leben bereits genug Ausländer von Sozialleistungen!" Diese eindeutig rassistische Rhetorik schürt ganz gezielt Angst und Aggression innerhalb der Anwohnerschaft. Die Bürgerinitiative kündigt an, verhindern zu wollen, "was in fast allen Asylbewerberheimen an der Tagesordnung ist, nämlich Müll, Kriminalität und Lärm".

Keine Distanzierung von der NPD

Den gleichen Ton schlägt ein Flugblatt der Bürgerinitiative an, das an unzählige Haushalte im Stadtteil verteilt wurde. Dort werden den Bewohnerinnen und Bewohnern von Flüchtlingsunterkünften neben angeblicher Vermüllung auch "Drogenhandel, Zwangsprostitution und schwerste Gewaltausbrüche" unterstellt. Als Verantwortlicher für den Flyer wird Thomas Crull angegeben. Crull kandidierte 2011 erfolglos für die NPD zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses. Dennoch möchte die Bürgerinitiative nicht öffentlich mit der NPD verglichen werden. Nach einer echten Distanzierung sucht man jedoch vergeblich. Stattdessen heißt es: "Jeder der sich mit unseren Vorhaben identifiziert, kann sich zu dieser Bürgerinitiative dazuzählen. Wir möchten die Stimme des Volkes widerspiegeln und die demokratische Formel eines Volksentscheides im Sinne von Bürgerprotest formieren."

Berliner Nazis finden dankbare Bühne

Wie dieser Bürgerprotest aussieht, konnte am vergangenen Abend in Hellersdorf beobachtet werden. Zahlreiche NPD-Funktionäre und weitere bekannte Anhängerinnen und Anhänger der Berliner Naziszene erschienen auf der Veranstaltung, verteilten Infomaterial und postierten sich geschlossen vor der Rednerbühne. Wie üblich waren unter ihnen auch die sogenannten "Anti-Antifa" Aktivisten, die Foto- und Videoaufnahmen der Anwesenden machten, Journalistinnen und Journalisten bedrohten und schließlich sogar einen Anwohner, der sich für Menschlichkeit und gegen Rassismus aussprach. Die Polizei beobachtete die Aktivitäten nur, griff nicht ein. Als der Berliner NPD-Chef, Sebastian Schmidtke, ans Mikrofon ging, war es auch Bezirksstadträtin Dagmar Pohle, die ihm das Mikrofon wieder entriss. Schmidtke ließ sich für seinen Auftritt von den eigenen Leuten feiern und postierte sich wieder in der ersten Reihe. Maria Fank, Berliner Landesvorsitzende der NPD-Unterorganisation "Ring Nationaler Frauen", durfte allerdings zum Publikum sprechen. In gewohnter Manier hetzte sie gegen "Armutsflüchtlinge" und die angebliche Besserbehandlung von Kindern in Flüchtlingsheimen. Sie fragte dumpf-populistisch: "Warum können fremde Kinder die Bildung genießen, auf die unsere Kinder verzichten müssen?" Der Applaus war ihr sicher.

Die Frage der Sicherheit

Immer wieder äußerten die Anwohnerinnen und Anwohner ihre Sorge vor wachsender Kriminalität im Umfeld des neuen Auffanglagers. Woraus dieses Vorurteil sich speist, ist unklar. Martin Jeske, Leiter der Polizeidirektion 6 – Abschnitt 63, ist zuständig für mehrere Asylsuchenden-Einrichtungen in den Bezirken Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Lichtenberg. "Unsere Erfahrungen, polizeilicherseits, bezüglich dieser Einrichtungen und Institutionen sind derart, dass sie eher unauffällig sind", sagt Jeske. Sofort wird Gejohle laut, als Jeske sich erneut Gehör verschaffen kann, ergänzt er: "Keine dieser Einrichtungen bilden derzeit Kriminalitätsschwerpunkte." Am Ende verspricht er, "dass zukünftig auch in diesem Bereich Sie mehr Polizei sehen werden und (…) wir diesen Bereich auch sehr genau beobachten werden". In Anbetracht der zahlreichen rassistischen Zwischenrufe, der aggressiven Stimmung und nicht zuletzt der unverhohlenen Neonazipräsenz vor Ort, bleibt die Hoffnung, dass sich an dieses Versprechen auch gehalten wird.

Wer die Stimmung vor Ort erlebte, muss sich unweigerlich die Frage stellen, wessen Sicherheit hier eigentlich gefährdet ist. Viele der Anwesenden fühlen sich zu Recht an Rostock-Lichtenhagen erinnert und sehen den Bezirk in einem echten Dilemma: Es ist undenkbar, den Rassistinnen und Rassisten nachzugeben und die Unterbringung von Asylsuchenden im ehemaligen Max-Reinhardt-Gymnasium Hellersdorf zu stoppen, aber dürfen schutzsuchende und zum Teil schwer traumatisierte Menschen wirklich gezwungen werden, in einem Umfeld zu leben, wo ihnen so deutliche Ablehnung entgegenschlägt?

Solidarität mit den Geflüchteten

Nur wenige Menschen sprechen sich offen gegen die rassistische Grundstimmung aus, fordern Menschenrechte und Solidarität und weisen darauf hin, dass es sich bei den Asylsuchenden um Menschen handelt. Eine Gruppe überwiegend junger Menschen zeigte offen Solidarität mit den geflüchteten Menschen, versuchten rassistische Parolen mit "Nazis raus" Rufen zu übertönen. Nachdem die Veranstaltung offiziell beendet wurde, fanden sich rund 100 Personen zu einer antirassistischen Spontandemonstration zusammen. Gemeinsam und in Polizeibegleitung verließen sie den Schulhof durch den Haupteingang, vor dem sich zuvor schon einige Neonazis mit einem NPD-Transparent versammelt hatten.

Willkommenskultur auch in Hellersdorf

Wie wird es weitergehen in Hellersdorf? Dass die Unterkunft kommt, steht fest. Auch, dass sie im ehemaligen Max-Reinhardt-Gymnasium eingerichtet wird, ist sicher. "Es gibt keine Alternativen hier im Bezirk", erklärt der Präsident des Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), Franz Allert (SPD): "Die Entscheidung ist hier gefallen." Er hofft, dass sich die Situation in Hellersdorf entspannen wird. Auch in anderen Bezirken habe es vor der Eröffnung vergleichbarer Einrichtungen Unmutsäußerungen gegeben, die Sorgen der Anwohnerinnen und Anwohner hätten sich aber in den allermeisten Fällen nicht bestätigt, sodass man zu einer guten Nachbarschaft habe kommen können. Eine Stimmung wie in Hellersdorf habe er jedoch noch nicht erlebt. "Die Willkommenskultur, die wir hatten", sagt er nach Abschluss der Veranstaltung, sei "nicht mehr so ausgeprägt", zum Teil leider umgeschlagen.

Um den Asylsuchenden in Hellersdorf doch noch einen freundlichen Empfang ermöglichen zu können, braucht es nun vor allem Solidarität. Als Gegenplattform zur Bürgerinitiative hat sich bereits eine Facebook-Gruppe gegründet, die es sich unter dem Namen "Hellersdorf hilf Asylbewerbern" zur Aufgabe gemacht hat, "den ankommenden Asylbewerbern ein menschenwürdiges Leben zu bieten, denn das haben sie nach all ihren leidvollen Erfahrungen verdient". Die Unterstützerinnen und Unterstützer erklären: "Wir nehmen die Flüchtlinge als Menschen wahr, nicht als potentielle Kriminelle oder Bedrohung oder Last". Nach nur 15 Stunden gewann die Solidaritätsseite 1.300 Likes auf Facebook und liegt damit in etwa gleichauf mit der Bürgerinitiative.

Hintergrund

Die Zahl der Flüchtlinge steigt weltweit. Um das Menschenrecht auf Schutz und Asyl zu gewähren, nimmt auch das Land Berlin Asylsuchende auf. In allen Bezirken existieren oder entstehen Unterkünfte, die im besten Fall ein menschenwürdiges Leben ermöglichen sollen. Mit fast 1.200 Menschen leben in Berlin-Lichtenberg die meisten Flüchtlinge. In Marzahn-Hellersdorf gibt es aktuell zwei Heime mit 170 Plätzen. Das entspricht 2,5% aller in Berlin lebenden Asylsuchenden.

Textübernahme mit freundlicher Genehmigung von Mut gegen rechte Gewalt.

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