Lara* ist es passiert. Sie wurde vor wenigen Wochen Opfer eines Übergriffs von rechten Schlägern. Die Tat geschah aber nicht in einer rechtsextremen Hochburg in Berlin-Lichtenberg oder Marzahn Hellersdorf, sondern mitten im alternativen Szeneviertel Friedrichshain.
Von Johannes Radke
“Ich lief nachts mit ein paar Freunden auf der Frankfurter Alle Richtung U-Bahnhof”, erinnert sich die 25-jährige Studentin. Von weitem habe sie schon gesehen, dass sich ihnen zwei Männer breitbeinig in den Weg stellten. Als Lara und ihre Freunde den beiden ausweichen wollten, wurden sie als “Scheiß Zecken” beschimpft und bedroht. Der eine warf seine Bierflasche auf die Gruppe, im selben Moment zog der andere einen Teleskopschlagstock aus der Tasche. Gerade als der Angreifer ausholen wollte, ertönte zufällig aus der Ferne eine Polizeisirene. “Lass es, die Bullen kommen”, sagte einer der Schläger. Dann rannten die beiden davon.
Nur wenige Opfer rechter Gewalt haben so viel Glück. Zwar ist im vergangenen Jahr die Anzahl rechter Übergriffe in Berlin leicht zurückgegangen. Auffallend ist aber, dass sich die Taten immer häufiger in beliebten Kneipengegenden von Friedrichshain und Prenzlauer Berg ereignen und dass die Opfer meist alternative Jugendliche sind. Erst am vergangenen Sonntag haben drei vermummte Rechtsextreme am U-Bahnhof Frankfurter Allee eine 20-jährige Frau angegriffen und mit Pfefferspray attackiert.
Nach der jährlichen Chronik der Opferberatungsstelle Reach Out ist Friedrichshain für 2007 mit 24 rechten Gewalttaten, wie schon im Jahr zuvor, der Bezirk mit der höchsten Zahl von Angriffen. 2006 gab es dort sogar 51 Übergriffe. Bei der von Innensenator Erhart Körting (SPD) im Frühjahr vorgestellten Polizeistatistik rechtsextremer Gewalttaten von 2003 bis 2006, rangiert hingegen Prenzlauer Berg auf dem Spitzenplatz. Seit der Veröffentlichung der Zahlen rätseln Politiker, Experten und Anwohner, wieso gerade in diesen beiden, als alternativ geltenden Szenebezirken, die meisten Übergriffe passieren.
“Die Rechten finden dort schneller potentielle Opfer – vor allem Menschen die äußerlich der alternativen Szene zugerechnet werden können”, erklärt Helga Seyb von Reach Out das Phänomen. “Gerade diese Gegenden sind allen, die nationalistisch und rassistisch denken, ein Dorn in Auge.” Man dürfe aber nicht glauben, dass alle Schläger zum Prügeln in die besagten Stadtteile anreisen. Oft würden sie ganz in der Nähe wohnen. “Die alternativen Kieze sind in jedem Bezirk relativ begrenzt”, sagt Seyb. Diese These wird auch von Körtings Studie bestätigt: In mehr als einem Drittel der Übergriffe, die die Polizei aufklären konnte, wohnten die Täter etwa 2,5 Kilometer vom Tatort entfernt. Linke Gruppen sprechen zudem von insgesamt acht Kneipen in Friedrichshain und Prenzlauer Berg, in denen bekannte Neonazis angeblich zu den Stammgästen gehören sollen.
Der Übergriff auf Lara geschah direkt neben dem “Jeton”. In die Schlagzeilen geriet die Diskothek August 2005, als die Polizei dort eine Großrazzia durchführte, um eine Gruppe gewaltbereiter Hooligans zu überprüfen. Im näheren Umkreis des Jetons kam es in den letzten Jahren mehrfach zu rechtsextremen Gewalttaten. “Am Wochenende ist hier auf der Straße immer viel los, aber Schlägereien sehen wir nur ganz selten”, sagt ein Mitarbeiter eines nahe gelegenen Kiosk. Rechtsextreme seien ihm aber in der Gegend noch nicht aufgefallen.
Helga Seyb von Reach Out kennt, das Problem, dass Übergriffe meist unbeobachtet geschehen und Rechtsextreme äußerlich kaum erkennbar sind. Über 500 Übergriffe in Berlin aus den letzten fünf Jahren hat die Beratungsstelle dokumentiert. In vielen Fällen fehlt es an Zeugen. Dass die Polizei andere Zahlen als Reach Out angibt, liegt unter anderem daran, dass Betroffene aus Angst oft keine Anzeige erstatten, sagt Seyb. Manche melden sich aber bei Reach Out, die den Vorfall dokumentieren. “Es gibt Fälle in denen namentlich bekannte Neonazis in Friedrichshain eine Gruppe Jugendlicher zusammengeschlagen haben. Die Opfer trauen sich jedoch nicht Anzeige zu erstatten, da die Täter über ihre Anwälte dann die Namen und Adressen der Geschädigten erfahren können”, sagt Seyb. Besonders erschreckend sei die Brutalität der Überfälle. Oft seien die Täter mit einem Mundschutz wie beim Boxkampf, mit Schlagstöcken und Sturmhauben ausgerüstet.
Toni Peters vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) hat beobachtet, dass selbst rechtsextreme Schläger heute auf “dezente Symbolik” setzen statt “ auf den altbekannten Nazi-Look”. Doch auch bei diesem äußerlich mildem “rechtsextremen Lifestyle” gehört Gewalt gegen andere Menschen genauso dazu wie bei der bekannten Nazi-Skinhead-Szene. “Man denkt rechts und hat entsprechende Feindbilder verinnerlicht - da ist es nur ein kurzer Schritt bis zu einem gewalttätigen Angriff”, sagt Peters.
Lara verfolgt die Geschichte bis heute. “Ich habe immer noch nicht verstanden, warum die es gerade auf uns abgesehen hatten”, sagt die Studentin. “Vielleicht lag es an unserer dunklen Kleidung oder daran, dass ich ein Piercing trage.” Richtig wohlfühlen konnte sie sich in Friedrichshain danach nicht mehr. Inzwischen ist Lara weggezogen.
*Name von der Redaktion geändert
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