Rechtsextreme Frauen werden vor allem als Mitläuferinnen wahrgenommen. Dabei spielen Frauen eine Schlüsselrolle, um die rechtsextreme Ideologie in die Mitte zu tragen.
Von Tina Groll
Als Sabine Schwarz* vor zehn Jahren Hilfe bei den Behörden suchte, schienen ihr die Ermittler erst nicht zu glauben. Eine rechtsextreme Kaderfrau will nach 20 Jahren aussteigen – mit mehreren Kindern? Polizei und Verfassungsschutz konnten ihr nicht viel bieten. Das Ausstiegsprogramm war nicht zugeschnitten auf ein Leben mit kleinen Kindern, Schutz konnten die Behörden ihr nur vor ihrem gewalttätigen Ehemann bieten, nicht vor dessen Kameraden. Frauen in der Szene, sagt Schwarz heute, werden von den Behörden nach wie vor unterschätzt.
Dabei ist der moderne Rechtsextremismus ohne Frauen nicht denkbar. Mittlerweile ist fast ein Drittel der NPD-Mitglieder weiblich, mindestens 10 Prozent der rechtsextremistischen Gewalttaten werden von Frauen verübt. Frauen melden Demonstrationen an, mieten Räume für Konzerte oder betreiben rechtsextreme Internetforen und Websites. Mehr noch: Sie ergreifen mittlerweile bewusst Berufe, in denen sie die Ideologie weiter in die Gesellschaft tragen können – werden Erzieherin, Lehrerin, Therapeutin oder Juristin.
Seit Beate Zschäpe und ihre Terrorkameraden aufflogen, interessiert sich auch die Öffentlichkeit für das Thema. Die Presse aber berichtete vor allem über ihr Verhältnis zu den beiden Mittätern. Dieser Fokus ist verengt, sagt Michaela Köttig, Professorin an der Fachhochschule Frankfurt am Main und Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. "Wer nicht politisch motiviert ist, bleibt nicht 13 Jahre im Untergrund". Das Forschungsnetzwerk kritisierte jüngst in einem offenen Brief die Berichterstattung über rechtsextreme Frauen. Das Bild von Neonazi-Frauen als unpolitische Mitläuferinnen führe zu einer Verharmlosung ihrer Rolle – obwohl vor allem sie es sind, die die Szene stabilisieren.
Als die 13-jährige Sabine Schwarz in den achtziger Jahren Kontakt zur Neonazi-Szene sucht, gibt es dort nur wenige aktive Frauen. Im Gegenteil, oft ist die Freundin für Neonazis sogar der Grund zum Ausstieg. Das ändert sich mit Frauen wie ihr. Sie hält sich nicht im Hintergrund, sondern will aktiv mitmachen. "Ich wollte den Linken zeigen: Wir sind noch da. Und mich hat die Naziideologie meines Großvaters geprägt. Vielleicht wollte ich ihn reinwaschen." Schwarz träumt von einer Volksgemeinschaft, in der jeder seinen Platz hat.
Frauen stabilisieren die Szene
Sabine Schwarz legt eine steile Karriere in der rechtsextremen Szene hin, sie wird "Neonazi von Beruf", wie sie das nennt. Sie schließt sich einer radikalen Gruppe in Niedersachsen an, wird Kameradschaftsführerin und Mitglied der "Wiking-Jugend". Später geht sie zu den freien Nationalisten. Der NPD tritt sie nie bei – die sei ihr nicht radikal genug gewesen. Mit Anfang 20 gründet sie bereits Kameradschaften und leitet Neonazi-Kader, Skinheads und Hooligans an. Die Männer akzeptieren sie, auch weil sie auf Demonstrationen mit Steinen nach Gegendemonstranten, Journalisten und Polizisten wirft.
"Das Rollen- und Selbstverständnis für Frauen in der rechtsextremen Szene ist differenzierter geworden", sagt Frauke Büttner, Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. Ob militant-autonome Nationalistin, völkische Mutter, Skingirl oder bürgerlich erscheinende NPD-Politikerin – rechtsextreme Frauen sind mittlerweile so vielfältig wie alle anderen.
Die Mutterrolle aber bleibt der wichtigste Bestandteil des Neonazi-Frauenbildes. Vor allem, weil – anders als früher – dank ihnen die Männer innerhalb rechtsextremer Milieus Familien gründen, statt sie zu verlassen. Auch Sabine Schwarz stellt dieses Frauenbild nie infrage. Sie heiratet einen Neonazi und bekommt mehrere Kinder mit ihm. Die Kinder werden völkisch erzogen – Jeans und Radio sind tabu, die Mädchen müssen im Trachtenrock zur Schule und dürfen beim Klavierunterricht nichts von jüdischen Komponisten lernen. Ihre Ferien verbringen die Kinder im Lager der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ).
Schwarz beginnt währenddessen, eine stärkere Rolle der Frauen in der Szene zu propagieren. Den NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt und dessen Stellvertreter Udo Pastörs, fordert sie auf, die Frauen aktiv einzubinden, um neue Mitglieder zu finden.
Sie selbst macht vor, wie es geht. Dass sie rechtsextrem ist, sieht man ihr nicht an. Mit ihren langen Haaren und den Öko-Röcken wirkt sie wie eine Alternative. Neben Familie und Neonazikarriere verschafft sie sich Zeit für ein Psychologiestudium. Sie setzt sich für gesunde Ernährung und gegen Genpolitik ein – und fordert gleichzeitig die Todesstrafe für Kinderschänder und Drogendealer. Wo immer sie auftaucht, gibt Schwarz die diskussionsfreudige, engagierte Mutter. Und nutzt ihre Authentizität, um der Bewegung neue Anhänger zu gewinnen.
2001 zieht sie mit mehreren Neonazi-Familien nach Mecklenburg-Vorpommern. In einem Dorf nahe Ludwigslust unternehmen sie einen Siedlungsversuch – das Ziel ist die national befreite Zone, eine Neonazi-Kolonie. Die Frauen spielen dabei von Anfang an eine zentrale Rolle. "Wir haben eine Krabbelgruppe gegründet und systematisch andere Vereine unterwandert." Die Nazifrauen gehen zum Frauenfrühstück der Kirchengemeinde, werben für gesunde Ernährung und altes Liedgut.
Gleichberechtigt aber sind Frauen unter Rechtsextremisten nicht. "Die kennen ihre Grenzen", sagt die Journalistin Andrea Röpke, die seit Jahren zu dem Thema recherchiert. Zwar gebe es etwa in der NPD mittlerweile Frauen auf kommunalpolitischer Ebene und Bundesebene. Immer wieder aber komme es vor, dass Frauen zugunsten eines Mannes auf ihren Listenplatz oder sogar ein Amt verzichten. Die sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Gitta Schüßler musste als Vorsitzende der Partei-Frauenorganisation Ring Nationaler Frauen (RNF) zurücktreten, nachdem sie genau das kritisierte.
Der Ausstieg ist für Frauen besonders schwer
Auch Schwarz bekommt das immer wieder zu spüren. Ihrem Mann ist das Siedlungsprojekt nicht extrem genug, ihm fehlen Kameradschaftsabende und Parteiarbeit.
Während dieser Zeit sei ihr Mann immer radikaler geworden, sagt Schwarz. Er verwickelt sich in illegale Geschäfte und schlägt sie. Auch die Kinder leiden unter der Gewalt. Irgendwann hält sie es nicht mehr aus. Sie beschließt auszusteigen. Schwarz wendet sich an den Verfassungsschutz – und hat das Gefühl, dass die Behörde mit Frauen und Kindern überfordert ist.
Erst 2005 gelingt der Absprung, diesmal mit Hilfe der Organisation Exit. Die Familie nimmt eine neue Identität an. Doch damit ist es nicht getan. Bis heute lauern Sabine Schwarz einstige Kameraden auf. "Mein Ex-Mann hat mich in Foren zum Abschuss freigegeben – das heißt, dass uns jeder Nazi verfolgen kann." Wie wird man mit dieser Angst fertig? "Ich war bereit, im politischen Kampf zu sterben – dieses Denkmuster hat mir dann kurioserweise auch beim Ausstieg geholfen."
Schwarz ist inzwischen selbst Ausstiegsberaterin, sie hilft vor allem Frauen. Die Berichterstattung über die NSU hat sie mit großem Interesse verfolgt. Und sie hat sich über die Darstellung von Beate Zschäpe geärgert. "Wann fangen Medien und Behörden endlich an, Frauen ernst zu nehmen?"
* Der Name der Aussteigerin sowie Details aus ihrem Leben wurden zum Schutz von Sabine Schwarz und ihrer Familie anonymisiert.
Dieser Text erschien zuerst am 14.03.2012 bei ZEIT Online. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.