"Es gibt viele soziale Lücken, die von Rechtsextremisten besetzt werden"

Kirmesangriffe, Brandanschläge, Aufmärsche: Trotz des Misserfolgs der NPD bei den Landtagswahlen in Hessen, kann sich die extreme Rechte auch hier weiter etablieren. Gerade der ländliche Raum ist gefährdet. Im Interview erklärt Kirsten Neumann vom Mobilen Beratungsteam Hessen, warum die NPD bei den Wahlen gescheitert ist. Und worauf Kommunen achten sollten, wenn Neonazis den Jugendclub der Gemeinde übernommen haben.

NgN: Bei den hessischen Landtagswahlen hat die NPD, wenn man sich nur die Zahlen am Wahlabend anschaut, einen kompletten Misserfolg erlebt. Worauf führen Sie dieses Scheitern zurück?

Kirsten Neumann: Es gibt aus unserer Sicht vier zentrale Gründe für den Misserfolg der NPD: Zum einen hatte der NPD-Bundesvorstand entschieden, sich hauptsächlich auf Niedersachsen zu konzentrieren und Hessen außen vor zu lassen. Zum anderen war der NPD-Wahlkampf in Hessen ziemlich unorganisiert: es gab zwar Wahlkampfstände und Veranstaltungen. Aber die waren eher schlecht koordiniert. Beispielsweise fielen Veranstaltungen aus, weil deren Anmeldung verpasst wurde. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die NPD in Hessen drei Flügel hat, die untereinander zerstritten sind. Der hessische NPD-Vorsitzende Marcel Wöll hat im Vorfeld der Wahlen rechte Erlebniswelten versprochen, dieses Versprechen aber nicht eingehalten. Er kommt traditionell aus dem Kameradschaftsspektrum und ist sehr selbstbewusst angetreten, aber bei der Umsetzung kläglich gescheitert.

Zudem hat sich die NPD in Hessen keine Mühe gegeben, Themen zu besetzen. Moscheebau und Einwanderung wurden zwar aufgegriffen, werden aber auch von Reps und CDU besetzt. Und nicht zuletzt hat sich die NPD einfach blamiert, z.B. indem sie einfach das "Schwarze-Schaf"-Plakat der Schweizer Rechtspopulisten geklaut haben und ein Wahlkampfvideo ins Netz gestellt haben, in dem die Führungsriege als Gartenzwerge aufgetreten ist. Der letzte Punkt ist eher allgemein: in Hessen war der Wahlkampf sehr polarisiert. Es ist allgemein bekannt, dass sich die Wähler und Wählerinnen eher zwischen den etablierten Parteien entscheiden, wenn die politische Situation sehr zugespitzt ist. Viele Protestwähler haben eher die Linkspartei gewählt.

NgN: In Niedersachsen ist die NPD auch nicht in den Landtag eingezogen, trotzdem hat der Wahlkampf der NPD dort insgesamt neuen Aufwind und größere Außenwirkung verschafft.

Kirsten Neumann: In Hessen hat die NPD vom Wahlkampf nicht profitiert. Im Gegenteil, er hat ihnen eher geschadet. Allerdings gab es in Nordhessen einige Wahlstände im ländlichen Raum, die es der NPD ermöglicht haben, neue potenzielle Mitglieder anzusprechen. Dafür ist die Wahlkampfsituation für die NPD ganz hilfreich gewesen, weil sie sonst ja oft nicht so öffentlich präsent sind – bis auf die Demonstrationen, aber die finden seltener im ländlichen Raum statt. Letztendlich wird sich aber auch hier erst in einigen Monaten zeigen, ob die NPD durch den Wahlkampf neue potenzielle Aktivisten ansprechen konnte.

Durch den Misserfolg und die schlechte Organisation des Wahlkampfes wird es aber vermutlich so sein, dass insbesondere in Nordhessen eher die so genannten Freien Kräfte noch mehr Zulauf bekommen werden - wie beispielsweise im Schwalm-Eder-Kreis. Darauf muss man ein wachsames Auge haben. Außerdem bleiben der NPD noch mehr als ein Dutzend Kommunal- und Kreistagsmandate.


NgN: Hat aus Ihrer Sicht der populistische Wahlkampf von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) mittelfristig Auswirkungen auf die Entwicklung der extremen Rechten in Hessen?

Kirsten Neumann: Das ist eine schwierige Frage. Wenn von etablierten Parteien Themen aufgegriffen werden, die traditionell von der extremen Rechten besetzt sind, hat das in jedem Fall Konsequenzen: hauptsächlich, indem sich der populistische Ton und der damit verbundene Rassismus schneller etablieren und im schlimmsten Fall gar nicht mehr skandalisiert werden. Weil man sich daran gewöhnt, dass über Minderheiten so gesprochen wird. Dieser populistische Rassismus ist auf jeden Fall in der so genannten Mitte der Gesellschaft öffentlich angekommen.

NgN: Aber die NPD hat in Hessen davon nicht profitiert.

Kirsten Neumann: Nein, in dieser Konstellation hat es der NPD nichts genutzt, dass sie lediglich das Wahlkampfthema der CDU aufgegriffen und dann erklärt hat, sie würde viel konsequenter gegen migrantische Jugendliche vorgehen als die CDU.

NgN: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den rassistisch motivierten Brandanschlag auf das Haus einer türkischen Familie in Dautphetal bei Marburg wenige Wochen nach der Wahl?


Kirsten Neumann:Es gehört zu den Folgen derartiger populistischer Kampagnen, dass die extreme Rechte sich dadurch bestätigt sieht. Neonazis behaupten eben nicht nur verbal oder bei Aufmärschen, sondern auch mit militanten Aktionen, die konsequenteren Lösungen zu haben. Dabei nehmen sie auch den Tod von Menschen billigend in Kauf.

NgN: Glaubt man dem Innenministerium in Wiesbaden, gibt es in Hessen faktisch keine Probleme mit Neonazis. Dennoch arbeiten Sie schon seit 2003 als Mobiles Beratungsteam in Nordhessen und beraten u.a. Kommunen im Umgang mit Rechtsextremismus. In welchen Situationen wenden sich Gemeinden an Sie? 


Kirsten Neumann: Die Gründe sind sehr unterschiedlich und breit gefächert. Ganz häufig handelt es sich um Probleme mit rechten Jugendcliquen. Das hat u.a. auch damit zu tun, dass vielerorts schlicht und ergreifend das Geld für Sozialarbeit fehlt und dass in manchen Gegenden Jugendclubs von Rechtsextremen übernommen werden.

NgN: Wie wird dabei vorgegangen?

Konkret sieht es oft so aus, dass die rechten Cliquen sich in den Jugendclubs der Gemeinden treffen. Mit dabei sind auch ältere Jugendliche und junge Erwachsene. Sie feiern dort, sie organisieren sich dort und es wird auch rechte Propagandaarbeit mit entsprechendem Propagandamaterial gemacht. Natürlich werden andere Jugendliche dadurch verdrängt. Dazu muss man wissen, dass es in vielen kommunalen Jugendclubs normal ist, dass die Jugendlichen sich selbst organisieren und der Sozialarbeiter der Gemeinde lediglich ab und zu vorbei kommt.

NgN: Was raten Sie Kommunen in solchen Situationen?


Kirsten Neumann: Wenn die Kommunen das Problem erkennen und mit uns zusammenarbeiten, dann raten wir meistens dazu, den Club sofort zu schließen, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen und die nächsten Schritte zu planen, um dann einen neuen Club mit einem anderen Betreuungs- und Angebotssystem aufzumachen.

Außerdem werden wir häufig kontaktiert, wenn es beispielsweise rechtsextreme Konzerte, Aufmärsche, Gewalttaten, aber auch Propagandadelikte und Wahlkampfstände gegeben hat. Ganz oft sind die Gemeindevertreter verwundert, dass sie das Problem nicht früher erkannt haben und denken, dass es Leute von Außen waren, die kommen und auch wieder gehen. Weil sie sich nicht vorstellen können, dass in ihrer eigenen Kommune Rechtsextreme aktiv sind.

Den Leuten ist häufig nicht bewusst, dass sich die Themen und das Outfit erheblich gewandelt haben. Sie haben immer noch das klassische Bild der Glatze mit Bierbauch und Bierflasche im Kopf, das ja leider auch noch überwiegend in in den Medien über die extreme Rechte als Hintergrundbild verwandt wird. Dabei haben sich deren Strategie und Auftreten längst verändert. Deswegen gibt es immer wieder Aufklärungsbedarf in den Orten, von denen wir angesprochen werden. Gerade im ländlichen Raum gibt es viele soziale Lücken, die von Rechtsextremisten – die ganz seriös auftreten – besetzt werden. Beispielsweise durch Jugendangebote, Hilfs- und Freizeitangebote sowie Nachbarschaftshilfen.

NgN: Können Sie uns ein Beispiel nennen, in der es einer Kommune erfolgreich gelungen ist, sich gegen zunehmende neonazistische Aktivitäten zur Wehr zu setzen bzw. diese einzudämmen?

Kirsten Neumann: Teilerfolge zeigen sich bei uns immer dann, wenn das Problem als solches in einer Gemeinde, Stadt oder Kommune öffentlich benannt wird. Und sich die jeweiligen Repräsentanten der Stadt oder Gemeinde dazu öffentlich positionieren und klarstellen, dass sie rechtsextreme Aktivitäten nicht dulden. Wenn es sich um kleine Orte handelt, ist insbesondere der Effekt ganz wichtig, dass die Neonazis dann andere nicht mehr so leicht einschüchtern können - weil sie geoutet und ihre Taten klar benannt wurden. Dadurch büßen sie ihre Macht ein.

Ein Beispiel wäre die mittelhessische Gemeinde Gladenbach, in der unterschiedliche EinwohnerInnen - mit und ohne Ämter - das Problem von Neonaziaufmärschen angefangen haben ernst zu nehmen und sich viele verschiedene phantasievolle Aktionen ausgedacht haben, um Widerstand dagegen zu leisten.
Ein weiteres Beispiel könnte ich aus Bayern nennen, Wunsiedel, mit dem Problem der Rudolf Heß- Gedenkmärsche. So lange die politische Strategie gefahren wurde die Aufmärsche zu ignorieren, wurden diese immer größer – bis hin zu mehreren tausend Teilnehmern. Ab dem Zeitpunkt, an dem der neue CSU-Bürgermeister der Stadt Widerstand dagegen geleistet hat, änderte sich diese Situation komplett, heute marschieren sie dort nicht mehr.

Immer da, wo so getan wird, als gäbe es kein Problem, geht es immer so weiter bzw. eskaliert die Situation – sei es im Fußballclub, in der Freiwilligen Feuerwehr oder im Jugendclub. Weil Rechtsextremisten, die sich einmal einen Raum erobert haben, diesen als Sprungbett nehmen oder als Ort, um sich zu etablieren und andere einzubinden. Nur so können sie vorgeben, dass sie nett und hilfsbereit sind. Bis im Fußballclub oder in der Freiwilligen Feuerwehr die Meinung entsteht, ach, dann kann es mit der NPD oder der Kameradschaft XY ja gar nicht so schlimm sein. Und wenn das einzelnen in solchen Gegenden nicht passt, kann es passieren, dass diese Leute bei der nächsten Kirmes 'aufs Maul' bekommen. Konsequenzen hat das selten, weil es danach immer nur heißt: Schlägereien zwischen Leuten aus dem Dorf gibt es bei der Kirmes jedes Jahr. In den seltensten Fällen wird der Hintergrund öffentlich. Im schlimmsten Fall ziehen die Betroffenen dann weg.

NgN: Vielen Dank für das Gespräch.

Kirsten Neumann (38), arbeitet als Beraterin beim Mobilen Beratungsteam Hessen.

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