Dresden 2009: Signal der Hilflosigkeit

Die rechtsextremen Aufmärsche am vergangenen Wochenende in Dresden senden zahlreiche fatale Signale aus: Die Rechtsextremen zeigten sich stark, die Nichtrechten kamen mit ihrem Protest nicht durch oder schwiegen aus Angst - oder Gleichgültigkeit? Jedenfalls müssen jetzt alle Beteiligten - Politik, Polizei, Einwohner und Gegendemonstranten - kritisch und konstruktiv miteinander ins Gespräch kommen, um Ähnliches oder Schlimmeres zum 65. Jahrestag der Bombardierung im nächsten Jahr zu verhindern.

Von Simone Rafael

Mit ihren Aufmärsche am vergangenen Freitag und Samstag gelang den Rechtsextremen nicht nur ein für Vernetzungen hilfreiches Klassentreffen der vielgesichtigen Szene, sondern auch eine machtvolle Demonstration der Stärke nach außen. Die Dresdener Polizei schirmte einerseits alle erkennbare Gegenwehr weiträumig ab, andererseits sicherte sie den Zug der Neonazis nur punktuell. So kam es zu Übergriffen auf Journalisten, die den Rechtsextremen bekannt waren, und Anwohner und Anwohnerinnen fürchteten eingeschüchtert um ihre Sicherheit, wenn sie etwas gegen den Aufmarsch sagen würden. Sie müssen sich auch dadurch bestätigt fühlen, dass es hinterher auf Autobahnraststätten zu Übergriffen von Neonazis auf Gegendemonstranten kam, ohne dass die Demokraten geschützt wurden. Als würde das nicht reichen, müssen sie sich hinterher auch noch von Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo als "diese Gewaltbereiten von der rechten und linken Seite" verhöhnen lassen. Doch auch Anwohner und Gegendemonstranten müssen ihr Tun und ihre Taktik überdenken.

Stilles Gedenken? Passé, bis die Rechtsextremen draußen sind

Konservative und liberale Politiker der Dresdener, Sächsischen und Bundes-Politik wünschen sich ein „stilles Gedenken“ an die Bombardierung Dresdens, das mit einer Fokussierung auf deutsche Opfer Anschlusspunkte für die Rechtsextremen bietet. Auch werden seit Jahren rechtsextreme Beteiligte etwa bei der Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof und anderen offiziellen Veranstaltungen geduldet, so lang sie nur schön ruhig bleiben. Andere Orte, die als symbolträchtige rechtsextreme Aufmarschplätze in Frage kamen, etwa Wunsiedel, wo das Grab von Rudolf Hess liegt, der Waldfriedhof in Halbe oder Leipzig mit dem Völkerschlachtdenkmal, wurden geschlossen aktiv, zumindest als der Leidensdruck zu groß wurde, blockierten die rechtsextremen Aufmärsche, erließen zahlreiche Auflagen, die die Polizei so lange kontrollierte, bis den Rechtsextremen die Lust verging, änderten das Versammlungsrecht, damit rechtsextreme Aufmärsche verboten werden können oder machten es den Rechtsextremen unmöglich, ihre Wunschrouten zu verwirklichen, indem alle potenziellen schon von der Stadt oder anderen Anmeldern für Feste und Veranstaltungen blockiert waren. Vielleicht ist der Leidensdruck der Dresdener Politiker noch nicht groß genug, um gemeinsam aktiv genug zu werden, um Wirkungsvolles auf die Beine zu stellen und auch von ihren Wählerinnen und Wählern Beteiligung zu fordern. Es ist dann aber die Frage, was noch passieren muss, bevor der Leidensdruck groß genug ist, denn schon jetzt sind ja viele Dresdner – aus verschieden guten Motiven – genervt von den politischen Demonstrationen aller Art, die um den 13. Februar in ihre Stadt kommen.

Die Polizei könnte für statt gegen die Demokraten agieren

Durch die Taktik der Polizei, jegliche Gegendemonstranten außerhalb der Sicht- und sogar der Rufweite abzuschirmen, konnten die Rechtsextremen sich darin sonnen, völlig unkommentiert und scheinbar akzeptiert (oder gefürchtet!) zu marschieren. Sie konnten dadurch sogar ihr scheinheilig-bürgerliches Gesicht wahren, zumindest, bis die aus taktischen Gründen zur Mäßigung mahnenden Führer auf den Autobahnraststätten weit genug weg waren und der der Szene innewohnende menschenverachtende Gewalt wieder zum Vorschein kam. Krawalle zu verhindern, gelang der Polizei damit nicht – nur richtete sich die Wut frustrierter Demonstranten dann gegen die Polizisten, was doch auch nicht im Sinne der Polizeiführung sein dürfte. Auch jeglicher Versuch einer Blockade der rechtsextremen Demonstration unterbot die Polizei mit massiver Härte – dabei haben andere Städte, etwa Wunsiedel, Jena oder Köln gerade mit friedlichen Blockaden, bei denen die Polizei zwar nicht ihren Job vernachlässigten, aber ihn doch im Sinne der demokratischen Demonstranten auslegt, machtvolle Zeichen der Stärke ausgesandt, dass den Neonazis kein freier Durchmarsch durch die eigene Stadt gewährt wurde.

Anwohner: Aktivität gefragt

Die einzigen, die etwas an der Strecke des Neonazi-Aufmarsches gegen die Rechtsextremen hätten sagen können, waren die Anwohner, Geschäftsleute und einkaufenden Dresdnerinnen und Dresdner, die die Polizei offenbar als harmlos genug eingestuft hatte, dass sie zu den Rechtsextremen in die Einkaufsstraße gelassen wurden. Ob hier hauptsächlich Gleichgültigkeit, Angst, Gewöhnung oder gar Akzeptanz der Rechtsextremen diese Menschen beeinflusste, größtenteils stumm zu bleiben und 6.000 Neonazis durch ihre Stadt laufen zu lassen, als sei es ein unpolitischer Rosenmontagszug in schwarz und ohne Humor, weiß nur jede und jeder einzelne für sich. Fakt ist: Selbst unaufwändige (und im Zweifelsfall schnell selbst herzustellende) Plakate in den Geschäften, Bettlaken mit Botschaften an den Häusern der Strecke wären eine Möglichkeit gewesen, aller Welt klarzumachen, dass die Dresdnerinnen und Dresdner keine Neonazis in ihrer Stadt dulden wollen. Allerdings müssen sie es natürlich erst einmal auch selbst so sehen. Und während in den Wohngebieten der rechtsextreme Marsch tatsächlich streckenweise völlig ohne Polizei lief und dort Ängste der Einwohner mehr als verständlich waren (und von der schreibenden Journalistin geteilt wurden), war im Fußgängerzonenbereich zumindest genug Polizeisicherung für einige mehr spontane „Nazis raus“-Rufe gewesen. Ich zumindest habe keine erlebt, dafür aber einige Menschen, die sich in den rechtsextremen Zug einreihten. Aber natürlich wäre für die Zukunft eine Sicherung wünschenswert, die es allen Demokraten in Dresden angstfrei ermöglichen würde, sich gegen Neonazis auszusprechen.

Gegenveranstaltungen: Mehr Geschlossenheit, mehr Mut

Auch die Organisatoren der großen Gegenveranstaltung GEH DENKEN müssen sich nach dem Wochenende von Dresden Gedanken machen. Zwar gelang ein bunter Sternmarsch und ein Fest mit vielen Beteiligten, was die Neonazis aus der historischen Altstadt Dresdens fernhielt und durch die Beteiligung bundespolitischer Bekanntheiten auch Öffentlichkeit erhielt. Trotzdem bekommt die symbolisch gute Geste einen bitteren Beigeschmack, wenn wenige Meter weiter Tausende von Neonazis störungsfrei durch die Stadt pilgern. Vielleicht wird im nächsten Jahr mehr gemeinsamer Mut nötig sein, um den Neonazizug mit einer wirklich großen Menge von Menschen wirklich zu stören – vielfältige Formen sind dazu erprobt, die auch gewaltfrei und sogar spaßig sein können – und den Rechtsextremen so die Freude am Aufmarsch zu nehmen. Denn vor allem im nächsten Jahr müssen alle demokratischen Kräfte zusammen gegen die Rechtsextremen auftreten – dann jährt sich nämlich die Bombardierung Dresdens zum 65. Mal, und diesen Anlass werden sich die Rechtsextremen bestimmt nicht nehmen lassen, wenn die Demokraten es nicht mit allen Mitteln, von politisch bis praktisch, versuchen.

Zum Thema:

| Dresden 2009: Schaulaufen der rechtsextremen Szene

| Bildergalerie - Der Neonaziaufmarsch in Dresden am Samstag, den 14. Februar 2009

| Bildergalerie - Der erste "Trauermarsch" der Kameradschaften am Freitag, 13.02.2009

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