„Die Zahl der Ratsuchenden ist immens groß“

Das Internetportal www.mut-gegen-rechte-gewalt.de der Amadeu-Antonio-Stiftung wird heute fünf Jahre alt – und feiert mit Popstars wie Silbermond und Prominenten wie Wolfgang Thierse. Wir fragten Mut-Redakteur Holger Kulick nach Erfolgen, Niederlagen und seinem neuen Handbuch

NgN: Seit fünf Jahren berichtet das Portal mut-gegen-rechte-gewalt über Rechtsextremismus und diejenigen, die sich den Nazis entgegen stellen. Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Portal?

Das lässt sich in drei Worten zusammenfassen: Mut machen, ermutigen. Wir wollen nicht nur zeigen, wo die Probleme liegen, sondern wie man die Probleme lösen kann. Indem wir Beispiele beschreiben, von denen andere lernen können.

NgN: Sie haben über einige hundert Projekte und Ideen geschrieben. Haben Sie einen Favoriten oder eine Lieblingsinitiative?

Das Aktionsbündnis gegen Rechts im fränkischen Grafenberg ist nach wie vor eine der einfallsreichsten Bürgerinitiativen, die ich kennengelernt habe. Gräfenberg hat nur 4 000 Einwohner, aber als die NPD beispielsweise im Jahr 2007 einen ihrer „Rudolf-Hess-Gedenkmärsche“ in dem Ort abhalten wollte, haben über tausend Einwohner den Marktplatz in einer Aktion des zivilen Ungehorsams blockiert. Zeitweilig wird der Ort jeden Monat von der örtlichen NPD-Gruppe und den Freien Kameradschaften heimgesucht mit Aufzügen und Mahnwachen. Und jedes Mal denken sich der gesamte Ort und die Vereine aus dem Umland neue, kreative Protestformen aus.

NgN: Als Ihr Projekt begann, hatten rechtsextreme Angriffe wieder einmal für Schlagzeilen gesorgt. Wie kam es dann zu dem Webportal?

Man muss sich die Situation in 2003 noch vor Augen führen. Zum Beispiel die folgenden Meldungen: Im Januar 2003 wird in Erfurt (Thüringen) der 48-jährige Hartmut Balzke getötet, als Neonazis eine Gruppe feiernder Punks überfallen. Im Juni wird in Wittstock (Brandenburg) eine 13-Jährige deutsch-kubanischer Herkunft auf einem Spielplatz von vier 14- bis 16-jährigen Mädchen wegen ihrer Hautfarbe zu Boden geschlagen und getreten. Im Juli wird in Schwedt (Brandenburg) ein 16-jähriger alternativer Jugendlicher von drei Rechten über Stunden mit Schlägen und Tritten misshandelt, sein Kopf unter Wasser getaucht. Diese Liste ließe sich endlos fortführen.

Die Zeitschrift „stern“ hat damals relativ viel darüber berichtet. Irgendwann gab es in der Redaktionskonferenz die Entscheidung, dass es nicht ausreiche, nur zu schreiben. Nach Rückfragen bei den Initiativen wurde klar, dass es relativ wenig überregionale Vernetzung von Projekten gab. Also kein Fachforum, wo zusammengefasst wurde, was passiert eigentlich auf dem Gebiet und was kann man effektiv gegen Rechtsextremismus tun. Der Stern hat dann einen Spendenaufruf gemacht und über Kontakte zur Amadeu-Antonio-Stiftung ist die Redaktion von mut-gegen-rechte-gewalt geboren worden. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der Stiftung, der Stern hat die Anschubhilfe gegeben. Inzwischen sind wir völlig auf Spendengelder angewiesen. Insofern ist es auch ein kleines Wunder, dass es uns nach fünf Jahren noch gibt.

NgN: Was würden Sie als den größten Erfolg des Portals bezeichnen?

Ich würde eher von lauter kleinen Erfolgen sprechen. Seitdem das Projekt losging, ist eine steigende Zahl von rund 200.000 Nutzern dabei. Ein Drittel sind Stammleser aus Projekten, aus Politik und all den Bereichen, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen. Dann gibt es ein Drittel, das zu uns kommt, wenn Rechtsextremismus wieder mehr Medienthema ist – das ist wie ein Seismograf. Und ein weiteres Drittel sind Leute, bei denen man merkt, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Thema Rechtsextremismus zu tun. Weil ein Nachbar Hitler-Lieder grölt oder der Sohn in diese Szene abrutscht. Oder ein Lehrer, der nicht mehr mit seiner Klasse zu Rande kommt, weil er merkt, dass die von organisierten Rechtsextremen beeinflusst werden. Die melden sich dann hier und erkundigen sich nach Handlungsmöglichkeiten. Die Zahl derer, die Rat suchen, ist immens groß.

NgN: Wie sieht es mit Misserfolgen aus. Gab es die auch?

Die größte Niederlage ist mit Sicherheit, dass es nach wie vor eigentlich nur eine bestimmte Fachöffentlichkeit ist, die sich intensiv für das Thema interessiert. Alle anderen sagen, ach, es ist doch gar nicht so schlimm, das ist doch normal, das gehört zur Demokratie dazu. Dieses nach wie vor nicht Ernst nehmen der Problematik, Weggucken und dass ein gesamtgesellschaftlicher Klimawandel immer noch nicht eingetreten ist... Auf der anderen Seite gibt es inzwischen zunehmend auch konservative Bürgermeister und andere aus Unionskreisen, die erkennen: es gibt da wirklich ein Problem und die Initiativen haben eigentlich Recht gehabt.

NgN: Zum Fünfjährigen Jubiläum haben Sie ein Praxishandbuch veröffentlicht. Warum sollten Leute das lesen?

Wir haben vor zwei Jahren die Jugendzeitung "extrem" als Projekt zusammen mit dem Verband der Jugendpresse gemacht. Da ging es um Rechtsextremismus allgemein. Daraufhin haben wir mit einer Reihe von Schüler-und Jugendinitiativen überlegt, was ist jetzt nützlich? Und so haben wir die Idee eines "MUT-ABCs" für Zivilcourage geboren, einen handlichen Ratgeber, in dem viele Initiativen vorgestellt und Denkanstöße gegeben werden. Das Buch mit 330 Seiten gibt es für fünf Euro bei www.mut-gegen-rechte-gewalt.de.

NgN: Fünf Jahre Berichterstattung über Rechtsextremismus ist ja durchaus auch deprimierend. Wo finden Sie die Motivation weiterzumachen?

Das ist manchmal schon ein Kampf gegen Windmühlen. Alle guten Konzepte sind seit Jahren bekannt und gesagt und trotzdem haben nur wenig Leute darauf gehört und sie umgesetzt. Die rechtsextreme Szene, ihre Vordenker und die Stammtischschaumschläger gibt es nach wie vor und sind sogar mehr geworden. Das ist schon ernüchternd. Auf der anderen Seite sieht man aber schon auch unglaublich viele Fortschritte. Leute, denen man Mut machen kann, die Initiativen machen, die einfach anfangen, zum Beispiel indem sie ihrem Nachbarn widersprechen. Und das auf sehr kreative und friedliche Art und Weise. Und dann melden auch Leute zunehmend wirkliche Erfolge. Wenn man merkt, das steckt andere an, dann kann man eigentlich von diesen vielen kleinen Erfolgserlebnissen ganz gut leben.

Das Gespräch führte Heike Kleffner

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