Radikale mit bürgerlichem Antlitz
Die nächsten Wochen sind von entscheidender Bedeutung für den Fortbestand der finanziell arg gebeutelten NPD. Sollten die Nationaldemokraten bei den folgenden drei Landtagswahlen in den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg jeweils an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, droht nicht nur politische Bedeutungslosigkeit, sondern auch finanzieller Ruin. Grund genug die Partei auf ihrem vielleicht letzten Weg zu begleiten und die jeweilige Situation ihrer Landesverbände näher zu beleuchten. Dieses Mal beschäftigen wir uns mit Thüringen; hier scheiterte die NPD trotz großer Ambitionen bislang immer an der Fünf-Prozent-Hürde.
Von Marc Latsch
Wie bereits vor fünf Jahren hofft die Thüringer NPD auf ihren erstmaligen Einzug in der Erfurter Landtag. Durch die Erfolge der Kollegen in Dresden und Schwerin motiviert, sollte Spitzenkandidat Frank Schwerdt 2009 ähnliches auch in Thüringen ermöglichen. Bei den Landtagswahlen konnten die Rechtsextremen ihren Stimmenanteil dann zwar mehr als verdoppeln, verfehlten mit 4,3 % die Fünf-Prozent-Hürde allerdings doch recht deutlich. Mittlerweile haben sich die „Nationaldemokraten“ im Land völlig neu aufgestellt. Patrick Wieschke wurde im Mai 2012 zum Landesvorsitzenden gewählt und besetzt nun den ersten Listenplatz auf der Landesliste. Der mehrfach vorbestrafte Bundesorganisationsleiter der NPD führt eine Kandidatenriege an, die um eine bürgerliche Außenwirkung bemüht ist. Doch auch weitere der Parlamentarier in Spe stammen aus dem Umfeld der militanten Kameradschaftsszene und sind bereits mit ihrer extremen Gewaltbereitschaft in Erscheinung getreten.
Von der NPD ins Gefängnis und zurück
Um die schlimmsten Straftäter unter den Kandidaten zu entdecken, muss der geneigte Beobachter die NPD-Liste nicht lange absuchen. Spitzenkandidat Wieschke bietet ein Vorstrafenregister, das ausreichen würde, um gleich mehrere Parteifunktionäre auf einmal zu diskreditieren. Bereits zur Jahrtausendwende wurde der Eisenacher Parteimitglied und war als stellvertretender Landesvorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“ in Thüringen politisch aktiv. Hierbei fiel er in Pamphleten gegen einen Eisenacher Pfarrer mit antisemitischer und rassistischer Wortwahl auf. Im August 2000 war Wieschke als Anstifter an einem Sprengstoffanschlag auf einen Türkischen Imbiss in seinem Heimatort beteiligt. Hierfür wurde er zu einer Gefängnisstraft von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, sieben Monate wegen Körperverletzung aus einem anderen Fall wurden noch addiert. Während des Gerichtsverfahrens trat Wieschke von seinen Ämtern zurück und aus der NPD aus. Im Mai 2004 wurde er nach knapp zwei Jahren aus der JSA Ichtershausen entlassen und nahm seine politische Tätigkeit schon bald wieder auf. Er trat als Redner auf, leitete einen lokalen Rudolf Heß-Gedächtnismarsch und organisierte Rechtsrockkonzerte. Als ein Gesinnungsgenosse sich im Jahr 2005 weigerte, Flugblätter zu verteilen, wurde dieser von Wieschke zusammengeschlagen. Eine erneute Verurteilung zu sechs Monaten auf Bewährung war die Folge.
Militante Parteifunktionäre
Wieschkes Vorstrafenregister hatte jedoch keinerlei negative Auswirkungen auf seine Parteikarriere. Seit 2006 gehört er dem Landesvorstand in Thüringen an, mittlerweile ist er nicht nur Landesvorsitzender und Spitzenkandidat, sondern auch Bundesorganisationsleiter der NPD. Hierbei zeigt sich Wieschke als engagierter Querfrontstratege und bedient sich nach eigener Aussage auch gerne politisch linker Quellen. Parteiintern werden ihm zudem diktatorische Umgangsformen nachgesagt. Auf Listenplatz zwei kandidiert der stellvertretende Landesvorsitzende Thorsten Heise. Das Mitglied des NPD-Bundesvorstands gilt als führender Aktivist der „freien Kameradschaftsszene“ und ist ebenfalls mehrfach vorbestraft. Schwere Körperverletzung, Landfriedensbruch, Nötigung und Volksverhetzung sowie Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen finden sich in seiner Vita. Den unrühmlichen Höhepunkt liefert dabei Heises Versuch, einen libanesischen Flüchtling mit dem Auto zu überfahren. Der erfahrene Veranstalter von Neonazi-Konzerten ließ zudem einst ein SS-Denkmal in seinem Garten wiedererrichten und erscheint auf einer Liste von Personen „mit nachgewiesenen Kontakten zu Tätern oder Beschuldigten“ im NSU-Prozess. Mit solch einer Doppelspitze einen bürgerlichen Wahlkampf führen zu wollen, überschreitet sogar für NPD-Verhältnisse jede Grenze des Zynismus. Auch Jan Morgenroth (Listenplatz 5) werden Kontakte zum NSU nachgesagt, mit Enrico Bicizysko (Listenplatz 11) befindet sich zudem ein extrem gewaltbereiter rechter Hooligan unter den Kandidaten, der vom DFB unter Kategorie C in der „Gewalttäter Sport“-Datei aufgeführt wird.
Sieben Thesen für Thüringen
Abgesehen von der personellen Neuaufstellung bietet die Thüringer NPD inhaltlich nicht viel Neues. Ihre Grundthesen für die kommende Wahlperiode beziehen sich auf die klassischen Haus- und Hofthemen der Rechtsextremen. Hier finden sich Parolen gegen Korruption, Geldverschwendung und ein fehlgeleitetes Bildungssystem. Nach „nationaldemokratischer“ Ideologie sollen staatliche Investitionen vorrangig dem Biodeutschen zu Gute kommen, der nach einem NPD-Wahlerfolg endlich in einem souveränen Nationalstaat ohne störenden Asylbewerber leben kann. Deutschtümelei, Staats- und Ausländerfeindlichkeit wechseln sich hierbei mit sozialpolitischen Themen ab. Die „7 Thesen für Thüringen“ sollen der NPD den Weg in den Landtag ebnen. Im Wahlwerbespot zur Landtagswahl gibt sich die Partei bürgernah und lässt Komparsen die verschiedensten Berufsgruppen mimen, sodass eine breite Unterstützung aus allen Bevölkerungsschichten vorgegaukelt werden kann. So treten in dem Video auch drei Personen als „Polizisten“ auf, einer von Ihnen verkündet gar den Slogan „Polizisten wählen NPD“. Nach Kenntnis der Polizeidirektion Thüringen handelt es sich jedoch auch hierbei nicht um Polizeibeamte.
Lokal verankert in den Landtag?
Gelingt mit dieser Strategie nun der erstmalige Einzug der NPD in den Erfurter Landtag? Einen Gradmesser hierfür lieferten die Kommunal- und Europawahlen am 25. Mai dieses Jahres. Den größten Erfolg erlangte die Partei hierbei in Urnshausen, dem Heimatort von Tobias Kammler (Listenplatz 3): 23,7 % der Wähler machten ihr Kreuz bei der NPD, Kammler erhielt zudem die mit Abstand meisten Einzelstimmen für den Kreistag. Auch in weiteren Gemeinden erreichte die Partei ähnlich hohe Wahlergebnisse. So erschreckend diese lokale Verankerung einiger Funktionäre auch ist, ein Trend für das gesamte Bundesland lässt sich hieraus nicht ableiten. Zwar erlangten die „Nationaldemokraten“ landesweit 32 kommunale Mandate, kamen jedoch nur auf 3 % der Stimmen. Bei der parallel stattfindenden Europawahl machten 3,4 % der Wähler ihr Kreuz bei der NPD. Ein Ergebnis mit dem die Partei am 14.September erneut deutlich den Einzug in den Thüringischen Landtag verpassen würde.