Klimaaktivist_innen in der Lausitz am 14.05.2016. Später kam es zu Gewalttätikeiten durch Neonazis.
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Brandenburg: Rechte Gewalteskalation während der „Ende Gelände“-Proteste

Zu Pfingsten protestierten von Freitag, dem 13.05.2016, bis Sonntag, den 15.05.2016, rund 3.000 Anti-Kohle-Demonstrant_innen unter dem Motto "Ende Gelände" in der Lausitz (Brandenburg) vor dem Braunekohlekraftwerk "Schwarze Pumpe" des Vattenfall-Konzerns. Mehrere hundert Demonstrierende besetzten dabei auch eine Gleisbrücke zum Gelände. Doch nicht nur gegen die Teilnehmer_innen der Blockaden kam es zu Übergriffen, auch Passant_innen und Fahrzeuge wurden attackiert. Zu den Demo-Gegner_innen gehörten Anwohner_innen und Vattenfall-Angestellte, aber offenkundig auch Neonazis, die den Deckmantel der Gegenproteste für Gewalt gegen Menschen nutzten, die sie als politische Gegner_innen wahrnahmen. Der Verein Opferperspektive sammelt die Übergriffe und befürchtet, dass ihr politischer Hintergrund marginalisiert wird.
 

Von Opferperspektive e.V.

 

Der Verein Opferperspektive bemängelt vor der anstehenden Landtagsdebatte zu den Geschehnissen rund um die Proteste gegen Vattenfall am Pfingstwochenende, dass massive rechte Angriffe  bisher völlig ausgeblendet werden. Die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt befürchtet, dass ein solches Vorgehen dazu führt, die bereits etablierte rechte Szene in der Region Spree-Neiße weiter in ihrer Militanz zu bestärken. Daher fordert die Opferperspektive die im Landtag vertretenen Fraktionen dazu auf, die bisher fehlende Auseinandersetzung mit rechten Gewalttaten, die sich gegen Klimacampteilnehmer_innen richteten, zu führen.

Dazu erklärt Joschka Fröschner, Mitarbeiter der Opferperspektive: „Trotz der aktuellen Welle rechter Gewalttaten wird  zu körperlichen Angriffen durch Neonazis während der „Ende Gelände“-Proteste geschwiegen. Stattdessen ist ausschließlich von linken Krawallmachern die Rede. Dies lässt daran zweifeln, dass das Ausmaß des Problems rechter Gewalt von allen Politiker_innen erkannt wird. Gerade deshalb darf eine klare Positionierung gegen rechte Gewalt auch während der Landtagsdebatte am kommenden Freitag nicht fehlen.“

Die Opferperspektive e.V. hat Kenntnis von einer Vielzahl rechter Angriffe, die sich rund um die Protestaktionen in der Lausitz ereigneten. Dazu kommen weitere Übergriffe, bei denen ein rechter Tathintergrund anzunehmen ist. Noch bis heute melden sich Betroffene und Zeug_innen solcher Vorkommnisse bei der Beratungsstelle. Über das gesamte Wochenende hinweg waren Menschen, die sich an den Anti-Kohle-Protesten beteiligten, Übergriffen ausgesetzt. Teilweise handelte es sich dabei um geplante, überfallsartige Aktionen. In anderen Fällen bildete sich in größeren Menschenmengen eine brisante Mischung aus rechten Gewalttätern und „Pro-Kohle“-Demonstrierenden, aus der heraus Angriffe verübt wurden. Zu mehreren Zeitpunkten versuchten Gruppen von etwa 50 Angreifern, die überwiegend der lokalen Neonazi- und Hooliganszene zugeordnet werden können, Protestteilnehmer_innen unter Zuhilfenahme von Waffen und Sprengkörpern anzugreifen.

  • So wurde eine Mahnwache von „Ende Gelände“ im Spremberger Ortsteil Tscherpe durch mehrere Vermummte mit Baseballschlägern angegriffen.
  • Wiederholt versuchten Unbekannte, Teilnehmende der Proteste mit Autos von der Straße abzudrängen, darunter auch einen Journalisten der „Taz“.
  • Auch auf dem Lausitz-Camp selbst wurde mindestens eine Person durch maskierte Angreifer niedergeschlagen und am Boden liegend getreten.

Verschärfend kam hinzu, dass sich eingesetzte Polizeibeamt_innen in mehreren Fällen weigerten, Anzeigen durch Betroffene aufzunehmen oder diese zu schützen. Die Ereignisse vom Pfingstwochenende gilt es vorbehaltlos aufzuklären. Dabei muss der Frage nachgegangen werden, inwieweit es rechten Strukturen gelungen ist, die „Pro-Kohle“-Demonstrationen für sich zu nutzen.

Joschka Fröschner: „Wenn solche Angriffe für die Landespolitik keine Rolle mehr spielen, dann führt eben dies zu einer Normalisierung rechter Übergriffe. Hier wird die Gelegenheit verpasst, die längst überfällige Debatte zur Problematik neonazistischer Gewalt im Landkreis Spree-Neiße zu führen. Stattdessen bietet die Darstellung einiger Politiker, die Klima-Aktivist_innen seien Nestbeschmutzer, erhebliche Anknüpfungspunkte an rechte Argumentationsmuster.“

Der Landkreis Spree-Neiße  führt seit längerem die Statistik der Opferperspektive zu rechten Gewalttaten an. Im Jahr 2015 verzeichnete der Verein hier 29, und für die kreisfreie Cottbus 28 Übergriffe. Dieser Trend setzt sich auch in diesem Jahr nahtlos fort. Exklusive der Vorfälle vom Pfingstwochenende zählt der Verein für das Jahr 2016 vorläufig bereits 32 rechte Angriffe in Spree-Neiße und Cottbus. Die Gegend verfügt seit Jahren über eine gefestigte, gut organisierte und durch hohe Gewaltbereitschaft gekennzeichnete rechte Szene. Insofern kam die Gewalteskalation vom Pfingstwochenende für die Beratungsstelle nicht überraschend.

Eine Übersicht der rechten Angriffe auf die "Ende Gelände"-Proteste findet sich, soweit die Vorfälle öffentlich sind oder die Betroffenen einer Veröffentlichung zugestimmt haben, auf unserer Internetseite in der Chronologie:

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