Seit Anfang 2014 propagieren selbsternannte „besorgte Eltern“ in deutschlandweiten Demonstrationen die Angst vor einer „Frühsexualisierung“ von Kindern. Die regelmäßigen Aufmärsche dienen auch als Plattform für homophobe, rechtsextreme und radikal-christliche Meinungsäußerungen. Grund für die Proteste sind die Bestrebungen einiger Landesregierungen, sexuelle Vielfalt in die Lehrpläne des Sexualkundeunterrichts aufzunehmen. Wer steckt dahinter und was wollen die „besorgten Eltern“ wirklich?
Von Johannes Riedlberger
Auf der offiziellen Homepage heißt es, die Aktionen der „besorgten Eltern“ richteten sich „gegen jede Form der Frühsexualisierung ihrer Kinder, in Kitas, Kindergärten und Schulen.“ Außerdem fordern die Aktivist_innen mehr Mitbestimmungsrecht der Eltern bei der Schul- und Familienpolitik, und eine Stärkung der Familie als „Keimzelle, Rückgrat und Leistungsträger“ der Gesellschaft. Auf den ersten Blick erscheint das wie eine harmlose, wenn auch rückwärtsgewandte Elterninitiative.
Eine neutrale Bewegung?
„Besorgte Eltern“ sei außerdem „gegen Diskriminierung, Homophobie, Umerziehung und Indoktrination.“ So distanziert sich der vierfache Familienvater und Initiator Mathias Ebert (29) auch öffentlich von rechtem, schwulenfeindlichem und christlich-fundamentalistischem Gedankengut. Es handle sich um eine neutrale Bewegung.
Doch wenn es auf der Homepage ebenfalls heißt, die „Gender-Ideologie“ zerstöre das Wertefundament unserer Gesellschaft, da der Genderbegriff unterstelle, dass jede sexuelle Orientierung gleichwertig sei und von der Gesellschaft akzeptiert werden müsse, dann lässt sich der Vorwurf der Homophobie nicht mehr zurückweisen.
Fragwürdige Redebeiträge
Auch die Liste der Redebeiträge bei den Veranstaltungen der „besorgten Eltern“ steht in klarem Widerspruch zur angeblichen Neutralität der Bewegung.
So trat bei einer Kundgebung in Köln 2014 beispielsweiser die französische christlich fundamentalistische Aktivistin Béatrice Bourges auf. Bourges gehört zu den Initiator_innen der Bewegung „La Manif pour tous“ (Die Demo für alle), die in Frankreich Hunderttausende gegen Homoehe und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare mobilisiert. Da ihre Ansichten jedoch selbst für das homophobe Organisationsteam zu radikal waren, musste sie dieses im März 2013 verlassen.
Auch Alain Escada, der belgische Vorsitzende des christlichen Instituts „Civitas“, das der rechtskatholischen Pius-Bruderschaft nahesteht, kam zu Wort. Seiner Einschätzung nach gehe es beim Sexualkundeunterricht um einen „Kampf zwischen Christus und Teufel“. Der Staat bringe Kinder in seine Gewalt, „um ihre Seelen zu beschmutzen“. Auf der Homepage des deutschen Ablegers von „Civitas“, heißt es, man vermute hinter der kritischen Berichterstattung über die Elterninitiative eine „Kampagne gegen engagierte Christen (…), die vermutlich von linksextremen Kräften innerhalb der Kirche (evtl. aus dem Umfeld der ‚Grünen‘) losgetreten wurde.“
Im Umfeld von Verschwörungstheoretikern
Auf einer Veranstaltung im November in Dresden trat der rechtspopulistische Verschwörungstheoretiker Jürgen Elsässer als Redner auf, der unter anderem die Anschläge des 11. Septembers für inszeniert und Deutschland für ein von den USA besetztes Land hält. Auf der Demo propagierte er eine Verschwörung der EU und Uno, die Deutschland die Gender-Lehre aufzwängen. Beim Sexualkundeunterricht handle es sich um eine „Strategie für den Bürgerkrieg", mit der fromme Muslime zur Militanz provoziert werden sollten. „Besorgte Eltern“-Initiator Matthias Ebert betonte, er halte viel von Elsässers familienpolitischen Auffassungen, welche Meinungen er sonst vertrete wisse er nicht und es kümmere ihn auch nicht.
Dabei sind Verschwörungstheorien für ihn kein Fremdwort: 2014 hielt Ebert einen Vortrag über die „besorgten Eltern“ auf dem jährlich stattfindenden Kongress der von dem Schweizer Sektenführer Ivo Sasek gegründeten „Anti-Zensur-Koalition“ (AZK). Bei dem AZK-Kongress sprachen in der Vergangenheit auch namhafte Holocaustleugner_innen und Verschwörungstheoretiker_innen. Ebert sagte zu Beginn seiner Rede, er habe schon mehrmals ähnlichen Kongresse besucht, und sich dabei sehr viel „Wissen“ angeeignet, etwa über „Chemtrails“. Damit dürfte er sich im verschwörungstheoretischen Umfeld seiner „besorgten Eltern“ gut aufgehoben fühlen.
Rechtsextreme Beteiligung an Demonstrationen
Die „besorgten Eltern“ sind nicht nur Anlaufpunkt für Verschwörungstheoretiker_innen und radikale Christ_innen, auch Rechtsextreme beteiligen sich regelmäßig an den Veranstaltungen.
So waren beispielsweise in Köln Anhänger_innen der verfassungsfeindlichen „Bürgerbewegung pro Köln“ unter den Dmonstrant_innen. Auch ein Transparent der antisemitischen „Europäischen Aktion“ (EA) wurde dort mitgeführt. Unter den Teilnehmer_innen gab es zudem einige Mitglieder des NPD nahestehenden „Arminius-Bunds“, einer Splitterpartei aus dem Umfeld rechtsextremer Russlanddeutschen. Der „Arminius-Bund“ kooperiert offen mit Neonazis und Holocaust-Leugner_innen. Der Bundesvorsitzende der Partei Johann Thießen (ehemals NPD) sagte am Rande der Veranstaltung: „Unsere Russlanddeutschen sind massenhaft beteiligt an dieser Aktion“. Auch die Kooperation der Gruppierung „Besorgte Eltern Bayern“ mit der NPD-Tarnpartei „Bürgerinitiative Ausländerstopp“, im Rahmen einer Demonstration in München spricht für sich.
Im Netz erhalten die „besorgten Eltern“ Zuspruch und Unterstützung von rechtsextremen Plattformen, wie etwa von „Terra Germania“. Auf der Homepage wurde zur Teilnahme einer Demonstration Köln aufgerufen. Im Aufruf heißt es: „Wir schließen uns der Initiative ‚Besorgte Eltern NRW‘ an und treten auch als solche auf, und nehmen an deren Demo teil.“ Auch der islamfeindliche Blog „PI-News“ steht der Initiative Nahe, so werden Berichte von PI-News über Aktionen der „besorgten Eltern“ auch dankbar auf der offiziellen Homepage verlinkt.
„Demos für alle“ und die AfD
Neben den „besorgten Eltern“, mobilisiert auch der von der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch gegründete Verein „Zivile Koalition e.V.“ gegen die „Frühsexualisierung von Kindern“. Die Veranstaltungen in Stuttgart und Hannover, die sich, in Anlehnung an die homophobe französische Bewegung „La Manif pour tous“, „Demos für alle“ nennen, sind ebenfalls Sammelbecken für menschenfeindliche Einstellungen.
So kam es im Rahmen der Debatte um den Sexualkundeunterricht beispielsweise zu Mord- und Vergewaltigungsaufrufen gegen eine Sexualpädagogin. Der Soziologe Andreas Kemper, der 2014 im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Studie die programmatische Verschiebung der AfD von der Anti-Euro Partei zur Anti-Gender-Partei beschrieb, sieht die direkte Verantwortung für die ausartende Empörungswelle, die in persönlichen Angriffen mündete, bei Beatrix von Storch und der „Zivilen Koalition“.
„Traditionelle Familienwerte“ als Tarnbegriff
Dass es den „besorgten Eltern“ tatsächlich in erster Linie um das Wohl von Familie und Kind geht ist bei Betrachtung der Unterstützer_innen und Teilnehmer_innen fragwürdigt. Der „Schutz traditioneller Familienwerte“ ist schon immer ein beliebtes Schlagwort, um menschenfeindliche Einstellungen zu verharmlosen, und sie auch in der bürgerlichen Mitte salonfähig zu machen.
Es ist kein Wunder, das christliche Fundamentalist_innen und rechtsextreme Aktivist_innen aus dem Umfeld von NPD/JN, Die Rechte, PI-News und Co. einen bedeutenden Anteil an den Demonstrant_innen stellen. Homosexualität wird in radikal christlichen, sowie in völkischen Kreisen als unnatürlich und pervers angesehen. Die Verankerung der Akzeptanz sexueller Vielfalt in den Lehrplänen des Sexualkundeunterrichts bietet da einen willkommenen Anlass, den Hass auf die Straße zu tragen. Eine ernsthafte Debatte um Sexualpädagogik und Kindeswohl wird gar nicht erst angestrebt, die Kinder werden oftmals nur instrumentalisiert.