Berliner Erfahrungen: Absprachen demokratischer Parteien helfen gegen Neonazis in Parlamenten

Nach den Kommunalwahlen im Juni 2009 forderte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse auf netz-gegen-nazis.de eine gemeinsame Strategie aller Parteien gegen NPD- oder DVU-Mandatsträger. Der Verein für Demokratische Kultur in Berlin beobachtet seit 2007, wann so etwas gut oder schlecht funktioniert. Eine Replik.

Von Juliane Lang

Bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) von Berlin gewann die NPD im September 2006 11 Mandate in insgesamt vier Bezirksverordnetenversammlungen – in drei dieser kommunalen Gremien war sie fortan in Fraktionsstärke vertreten. Im Bezirk Pankow zog ein Verordneter der Republikaner ein.

Die Erfahrungen aus Berlin unterstreichen die Relevanz gemeinsamer Absprachen der demokratischen Parteien zu Beginn der Legislaturperiode. Ziel ist es, der von Wolfgang Thierse skizzierten Vorgehensweise der Rechtsextremen, sich als „Anwälte der kleinen Leute“ zu inszenieren, wirkungsmächtig entgegen zu treten. Diese Selbstinszenierung ist Teil einer von den Rechtsextremen angewandten Doppelstrategie: Zum einen geht es ihnen darum, mit offen rechtsextremen Initiativen die eigene Klientel zu bedienen und Ressentiments in Teilen der Bevölkerung aufzugreifen. Dem stehen vordergründig betrachtet unideologische Initiativen gegenüber, die sich auf kommunalpolitische Sachfragen beziehen: Den Ausbau von Radwegen, bessere Erreichbarkeit des Jobcenter und ähnliches. Diese sollen den demokratischen Parteien langfristig die Abgrenzung erschweren und die rechtsextremen Parteien als „normale“ und wählbare politische Kraft etablieren.

Aufbauend auf den Erfahrungen mit der NPD im sächsischen Landtag gab es in Berlin von Beginn an einen Konsens aller demokratischen Parteien, keine gemeinsame Politik mit rechtsextremen Parteien zu machen. Dieser Konsens wurde in gemeinsamen Erklärungen der in der jeweiligen BVV vertretenen demokratischen Parteien festgehalten.

Klare Absprachen unter den Demokrat/innen im Vorfeld der BVV- und Ausschusssitzungen erweisen sich bis heute als wesentliche Voraussetzung für ein geschlossenes Auftreten. Um rechtsextremen Inhalten möglichst keine Forum zu bieten, antwortet auf rechtsextreme Initiativen rotierend immer nur ein/e Verordnete/r im Namen aller demokratischen Fraktionen und verweist auf die antidemokratische Haltung der Antragssteller/innen und gegebenenfalls auf den rechtsextremen Gehalt des Antrags.

Kern eines solchen „entlarvenden“ bzw. „dechiffrierenden“ Umgangs ist es, immer wieder auf den menschenverachtenden Charakter rechtsextremer Ideologie zu verweisen. Adressat der Auseinandersetzung sind dabei nicht die ideologisch gefestigten rechtsextremen Bezirksverordneten, sondern die Bürger und Bürgerinnen. Nur dort, wo öffentliche Angelegenheiten gemeinsam, durch demokratische und einbeziehende Beteiligungsformen geregelt werden, wie Wolfgang Thierse schreibt, wo Politik, Verwaltung sowie antifaschistische, zivilgesellschaftliche Initiativen gemeinsam an einem Strang ziehen, kann es gelingen, der Normalisierungsstrategie der Rechtsextremen innerhalb der Kommune erfolgreich entgegen zu wirken.

Trotz des überwiegend gelungenen Umgangs der Demokrat/innen mit den Rechtsextremen in kommunalen Gremien stellt der politische Alltag die demokratische Kommunalpolitik durchaus auch vor Herausforderungen. In einer Demokratie, die vom Wettstreit der Überzeugungen und Lösungsansätze lebt, ist der demokratische Konsens gegenüber den Rechtsextremen eine immer wieder neu herzustellende und bisweilen kontrovers diskutierte Errungenschaft. Stetig wird er von gezielten Unterhöhlungs- und Spaltungsversuchen von rechtsextremer Seite bedroht.

Nicht zuletzt gilt es immer wieder darauf zu verweisen, dass demokratische Kommunalpolitik auch jenseits der unmittelbaren Auseinandersetzung mit Rechtsextremen in den Gremien vielfältige Möglichkeiten hat, ein menschenrechtsorientiertes und pluralistisches Miteinander gegen rechtsextreme Bestrebungen in der Kommune zu verteidigen.

Juliane Lang ist Freie Mitarbeiterin des Projekts „Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in den kommunalen Gremien Berlins – Dokumentation und Analyse“, einem Projekt des Vereins für demokratische Kultur in Berlin e.V.

Basierend auf der kontinuierlichen Beobachtung der Präsenz rechtsextremer Parteien in den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen analysiert das Projekt rechtsextreme Strategien und Vorgehensweisen und beschreibt Handlungsweisen der demokratischen Verordneten im Umgang damit. Ziel des Projekts ist es, auf der Basis des Erfahrungswissens der demokratischen Verordneten prozessbezogen und praxisorientiert Handlungsstrategien weiter zu entwickeln und zu einer kontinuierlichen Entwicklung von Präventions- und Interventionsmöglichkeiten im Umgang mit Rechtsextremismus beizutragen.

Die aktuelle Broschüre „Berliner Erfahrungen – Zwei Jahre Rechtsextreme in den kommunalen Gremien Berlins“ kann bestellen werden unter:
| doku-und-analyse@vdk-berlin.de.
Eine Web-Version kann hier heruntergeladen werden.

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