Altona 93 ist eigentlich ein unaufgeregter Amateurfußballclub, dessen Fans sich politisch eher links verorten. Zwei von ihnen stehen nun vor Gericht, weil sie keine Neonazis im Stadion dulden wollten.
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Hamburg: Neonazis aus dem Stadion geworfen, Staatsanwaltschaft ermittelt

In Hamburg stehen zwei Fans vom Amateurfußballverein Altona 93 vor Gericht, weil sie versucht haben sollen, Neonazis mit Gewalt aus dem Stadion zu werfen. Die Geschädigten sind eng vernetzt mit der örtlichen Neonazi-Szene zwischen NPD und "Weissen Wölfen". Zum ersten Prozesstag erschienen sie aber nicht.  

Von Jan Tölva

Die Mühlen der deutschen Justiz mahlen doch recht langsam. Das zeigte sich erneut in Hamburg, wo in der vergangenen Woche zwei Fans des Oberligisten Altona 93 vor dem Bergedorfer Amtsgericht erscheinen mussten. Den beiden wurde der Prozess gemacht, weil sie vor zweieinhalb Jahren bei einem Spiel ihres Vereins beim Stadtteilclub Bergedorf 85 zwei andere Zuschauer tätlich angegriffen haben sollen. Es geht um Körperverletzung; den Angeklagten drohen im Falle einer Verurteilung mehrere Jahre Haft.

Das ist jedoch nur eine Seite der Geschichte und nicht einmal die interessanteste. Für eine x-beliebige Anklage aufgrund von körperlicher Gewalt jedenfalls wären wohl kaum etwa 40 Zuschauer_innen und schon gar nicht die rund ein Dutzend Pressevertreter_innen im Gerichtssaal erschienen. Tatsächlich ging es um weit mehr als die angeblich geworfenen "Äste, Steine und Papierkörbe", von denen der NDR in seinem Bericht über den Prozess spricht. Für diejenigen, die im Zuschauerraum des Gerichtssaals saßen, ging es vor allem um Zivilcourage. Es ging um gelebten Antifaschismus und um die Frage, ob es hinzunehmen sei, dass zwei stadtbekannte Neonazis bei einem Amateurfußballspiel dabei sind, bei dem auf beiden Seiten Fans mit deutlicher Schlagseite nach links stehen.

Verbindungen zu den "Weissen Wölfen" und zur NPD

Die mutmaßlich Geschädigten in dem Prozess, Heiko H. und Sven W., sind keine Unbekannten. Sven W. soll Presseberichten zufolge der eindeutig neonazistischen Gruppierung "Weisse Wölfe Terrorcrew" angehören, die von Verfassungsschutz als "aggressiv" eingestuft und dem Spektrum der "Autonomen Nationalisten" zugeordnet wird. Aus Antifa-Kreisen wurde bekannt, dass er unter anderem für diese NS-Hardcore-Band an der Mobilisierung der extrem rechten Demonstration "Tag der deutschen Zukunft" am 2. Juni 2012 in Hamburg-Wandsbek beteiligt gewesen sein soll. Die Demonstration, die jedes Jahr in einer anderen Stadt stattfindet, ist bereits seit längerem fester und wichtiger Bestandteil des extrem rechten Terminkalenders. Auch die Hamburger NPD mobilisierte damals zu der Veranstaltung und war mit Transparenten vor Ort. Die nächste Auflage soll es m 6. Juni diesen Jahres in Neuruppin/Brandenburg geben.

Heiko H. hingegen trat mehrfach bei Wahlen als Kandidat für die NPD an, war bis 2013 sogar im Vorstand des NPD-Kreisverbandes Lauenburg-Storman in Schleswig-Holstein. 2009 wurde er – übrigens ebenfalls vor dem Bergedorfer Amtsgericht – wegen gefährlicher Körperverletzung zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Sein Strafverteidiger war damals kein Geringerer als der kurz darauf verstorbene damalige Landesvorsitzende der Hamburger NPD Jürgen Rieger, den der Verfassungsschutz seinerzeit als "Protagonisten des Neonazi-Lagers" bezeichnete und der selbst mehrfach – meist wegen Körperverletzung – verurteilt worden ist.

Heiko H. soll antifaschistischen Gruppen zufolge darüber hinaus fest in die Strukturen der Rechtsrockszene eingebunden sein und war zusammen mit Sven W. 2012 auf einem Gedenkfestival für den 1993 tödlich verunglückten Skrewdriver-Sänger und "Blood and Honour"-Begründer Ian Stuart.

In brauner Gesellschaft

Es scheint offenkundig, dass sich beiden "Wieauchimmer-Nazis" (so nennt sie der NDR) keine unbeschriebenen Blätter oder bloße Mitläufer sind. Sie bewegen sich vielmehr trittsicher in der Grauzone zwischen der parteipolitisch organisierten extremen Rechten und der offen neonazistischen, gewaltbereiten Kameradschaftsszene. Verwunderlich ist das nicht. In und um Hamburg sind NPD und "Freie Kräfte" bereits seit Jahren besonders eng miteinander verzahnt. Das gilt insbesondere seit der bereits erwähnte Jürgen Rieger 2007 Landesvorsitzender wurde. Rieger hatte die Partei lange als zu gemäßigt erachtet und das öffentlich wiederholt betont. Sein Parteibeitritt 2006 wurde daher von vielen als ein weiteres Zeichen für die Radikalisierung der NPD verstanden.

An der radikalisierten Ausrichtung des Hamburger Landesverbandes hat sich bis heute wenig geändert. Auch bei der kommenden Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar tritt mit dem Bergedorfer Marius Edahl zumindest ein Kandidat an, der laut Taz "aus den Freien Kameradschaften kommt und kein NPD-Mitglied ist".

Der aktuelle Landesvorsitzende Thomas Wulff bezeichnet sich sogar ganz offen als "Nationalsozialist". "Steiner", wie er in der Szene auch genannt wird, ist bereits Anfang der 1980er in der Hamburger Neonaziszene aktiv, war persönlich bekannt mit Michael Kühnen, wurde Mitglied verschiedener extrem rechter Parteien und gründete 1994 mit dem "Aktionsbüro Norddeutschland" eines der ersten Sammelbecken für "Freie Kräfte". 1996 wurde er zu sechs Monaten Haft verurteilt, weil er die Shoah geleugnet und den damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Ignatz Bubis verleumdet hatte. Später war er zeitweilig im Bundesvorstand der NPD, heute gilt er als eines der Aushängeschilder des radikaleren, weniger auf eine bürgerliche Fassade bedachten Flügels der Partei.

Geschädigte glänzen im Prozess durch Abwesenheit

Auch Heiko H. und Sven W. wirken nicht gutbürgerlich, und was genau sie dazu bewogen hat, an jenem Sonntag im Stadion "Sander Tannen" aufzutauchen liegt bislang im Dunkeln. Durch eine besondere Affinität zum Fußball sind sie bis dato nicht aufgefallen. Der Verdacht liegt nahe, dass ihr Interesse eher dem Geschehen auf den Rängen, denn jenem auf dem Rasen galt. Immerhin ist weithin bekannt, dass die Fans von Altona 93 zu einem großen Teil aus Punks, Linken und Autonomen bestehen. Ebenso ist es kein Geheimnis, dass Teile der traditionell aktiven Antifaszene im Hamburger Stadtteil Bergedorf häufig bei Spielen des örtlichen Oberligisten anzutreffen sind.

Dass ihr Stand vor Gericht kein leichter sein dürfte, haben Heiko H. und Sven W. vermutlich selbst geahnt. Zu dem Prozess jedenfalls sind sie gar nicht erst erschienen. Möglicherweise stehen sie nicht mehr hinter ihrer Anzeige. Immerhin hatte die Lokalpresse schon in den Tagen zuvor ausführlich über die Sachlage und auch die persönlichen Verstrickungen mit der gewaltbereiten Neonaziszene berichtet. Vielleicht passte es aber auch einfach nicht in ihr Selbstbild als starke Verteidiger von "Vaterland" und "weißer Vorherrschaft", dass sie damals aus dem Stadion geflohen sind, weil sie anscheinend mit Mülleimern beworfen wurde.

Eine gute Strategie ist ihr Fernbleiben nicht. Denn die beiden sind nicht nur Geschädigte in dem Prozess, sie waren auch als Zeugen geladen. Für ihr Nichterscheinen erließ das Gericht pro Person 150 Euro Strafe. Beim nächsten Termin am 4. Februar um 11.45 Uhr sollen sie nun notfalls von der Polizei vorgeführt werden. Ob ihre Aussagen dann zur Bewertung der Sachlage beitragen können, bleibt offen. Von den geladenen Zeug_innen – darunter mehrere Ordner_innen von Bergedorf 85 – konnte keine_r einen der Angeklagten als Täter identifizieren. Schläge oder Tritte, die die Geschädigten angezeigt haben, konnte keine_r bestätigen.

Auffällig viel Interesse an der Altonaer Szene

Auch der vorsitzende Richter schien wenig Sinn im Verfahren zu sehen. Er versuchte am ersten Prozesstag diesen wegen Geringfügigkeit einzustellen. Die Staatsanwältin wollte jedoch – nachdem sie mit einem Vorgesetzten telefoniert hatte – das Verfahren fortführen. "Das war sicher der Abteilungsleiter der politischen Abteilung bei der Staatsanwaltschaft, mit dem Sie telefoniert haben", mutmaßte Verteidiger Gerrit Onken, im Hamburger Abendblatt.

"Scheint so, als wenn der Staatsschutz in Hamburg ein Auge auf uns geworfen hat", meint auch ein älterer Fan von Altona 93, der sowohl damals im Stadion als auch jetzt vor Gericht dabei war. Er selbst habe damals nur "ein kurzes Gerangel" gesehen, dann sei es auch schon zu einem "massiven Polizeieinsatz" gekommen. "Natürlich waren mindestens zwei Streifenwagen und auch Zivilfahnder vor Ort", erzählt er, "Das erleben wir bei fast jedem Auswärtsspiel unseres Vereins."

Woher dieses gesteigerte Interesse der Polizei kommt, ist indes unklar. Zwar gelten die Fans von Altona 93 als links, aber nicht als gewalttätig. Wer schon einmal bei einem Spiel an der "Adolf-Jäger-Kampfbahn" war, weiß, dass die Atmosphäre eher familiär ist. Auch setzen sich die Fans des Vereins bereits seit Jahren kontinuierlich für soziale Belange ein. So veranstalten sie etwa jeden Sommer den "Cup der Angst", ein Fußballturnier zugunsten Geflüchteter, und auch bei der Kampagne "Fußballfans gegen Homophobie" war Altona unter den Ersten, die sich beteiligten.

Es geht weiter, weil es weiter gehen muss

Das Verfahren oder die "Beschäfigungstherapie", wie es bei Altona 93 auf Facebook heißt, soll nun fortgesetzt werden, "um zukünftige Täter abzuschrecken", wie die Staatsanwältin es nannte. Gewalt im Stadion sei nicht zu tolerieren, hieß es. Ihre Kolleg_innen in Duisburg, Aachen, Braunschweig und noch unzähligen anderen Orten, an denen extrem rechte Hooligans mehr oder minder ungestört Jagd auf linke, alternative oder einfach nur antirassistische Fans machen können, scheinen das allerdings anders zu sehen.

Bleibt zu hoffen, dass am nächsten Prozesstag auch die Staatsanwaltschaft erkennt, dass sie sich in ihrem für Außenstehende unerklärlich hohem Verfolgungswillen in eine Sackgasse manövriert hat und die Bergedorfer Farce endlich ein Ende findet.

Update 04.02.2015: Beim zweiten Prozesstag wurden die Angeklagten frei gesprochen. (Hamburger Abendblatt)

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