Der Fanblock 1898 ist zentral für die Fanszene von SV 98, aktiv sind hier u.a. die großen Ultragruppen "Usual Suspects" und "Ultra de Lis".
Usual Suspects Ultras Darmstadt

SV Darmstadt 98: "Im Fanblock sind keine Ordner oder Polizisten, die Fanszene reguliert sich selbst."

Seit über 10 Jahren gibt es beim SV Darmstadt 98 Fanbeauftragte. Diese sind aber nicht gleichbedeutend mit der Fanabteilung. Diese bietet seit 2012 Anhänger*innen der Lilien die Möglichkeit, Mitglied im Verein zu werden und diesen so mitzugestalten. Im Vorfeld war dies nur möglich, wenn man sich als aktive*r Sportler*in eingetragen hatte. Über diese und andere Besonderheiten der Darmstädter Fußballvereins- und Fanszene, wie die Selbstregulierung der Kurve oder die traditionell antirassistisch eingestellte Fanszene, sprach Fussball-gegen-Nazis.de mit Alex Lehné, einem der zwei Fanbeauftragten beim hessischen Fußballprofi.

FgN: Mit welchen fünf Worten würdest Du denn die Fanszene der Lilien beschreiben?

AL: Ähm, das ist schwer, da habe ich im Vorfeld schon nachgedacht. Ich versuche es in fünf Sätzen. Also, absolut speziell für unseren Standort ist, dass die Fanszene sehr heterogen ist. Hier gibt es nicht nur den klassischen Ultra, sondern auch Kuttenfans oder Casuals, die immer mit den richtigen Markenklamotten ins Stadion gehen sowie ältere Hooligans. Alle sind bei uns im Stadion und kommen gut miteinander aus.

Dabei ist die Fanszene sehr kreativ, ich weiß der Begriff ist abgedroschen und fast alle deutschen Fankurven werden so benannt. Aber die Jungs hier haben echt coole Ideen. Eine Weile war es immer wieder Thema, mehr Leute zu Auswärtsfahrten mitzunehmen, um auch da eine gute Unterstützung des Teams zu gewährleisten. Da ist die Fanszene aktiv geworden und hat zum Beispiel Schiffe gemietet, um gemeinsam nach Wiesbaden zu schippern. Ein anderes Mal sind wir mit einem Charterflugzeug nach Rostock gedüst.

Oder nach dem Spiel gegen den RB Leipzig, als der Verein eine Strafe von 4.000€ für die Red-Bull-kritische Choreografie der Fans zahlen sollte. Unser Block 1898 hat dann das Geld an den Verein überwiesen, um sich die Meinungsfreiheit im Stadion zu bewahren und den Verein nicht unnötig zu belasten.

Wer ist denn der "Block 1898"?

Das ist der Fanblock im Stadion. Auch wieder ein wenig speziell, da müssen wir kurz ausholen. Vor einigen Jahren war die Fanszene der Lilien noch relativ klein und um sich im Stadion, das 15.000 Plätze hat, nicht zu verlieren, sind die aktiven Fans auf die Haupttribüne gezogen. So hat sich unterm Dach, das natürlich auch eine akustische Verstärkung bringt, der Fanblock herausgebildet. Unser Stadion ist noch alt und hat nur 3000 Sitzplätze, eben auf der Haupttribüne, wo die Fanszene steht. Die dort geltenden Preise machten es auf die Dauer aber schwierig neue, junge Leute dazu zu bekommen. Das führte immer wieder zu Konflikten zwischen Verein und Fanszene. Letztlich wurde von der Fanszene ein Konzept entwickelt, dass günstigere Eintrittskarten und im Gegenzug einen Verzicht auf Pyrotechnik bei Heimspielen sowie weitere Entlastungen für den Verein beinhaltete.

Was bedeutet das für den Fanblock?

Die Karten für den Block 1898 werden von den Fans selbst verkauft. In dem Block sind auch keine Ordner oder Polizisten, die Fanszene reguliert sich selbst. Das funktioniert sehr gut. Wir haben am Anfang gemeinsam einen Rahmen gesetzt und die Jungs sorgen dafür, dass es läuft. Das heißt auch, dass man beim Kartenkauf schon gesagt bekommt, wie die Regeln sind und dass es schon gewünscht ist, sich eben nicht hinzusetzen. In der letzten Zeit hat sich die Zuschauerzahl verdoppelt und das macht es anstrengender, die Regeln zu vermitteln und ja Leute eben für die in Darmstadt gelebte Fankultur zu sensibilisieren.

Der Block 1898 war irgendwie auch ein Neuanfang mit dem Verein und der erfolgreiche Versuch, wieder zusammen zu kommen, nachdem es vorher unklare Verhältnisse und immer mal wieder Diskussionen gab. 

Wenn Du immer von "Jungs" sprichst, gibt es keine Frauen oder Mädchen bei den Lilien?

Jetzt hast du mich ertappt (lacht). Nee na klar gibt es auch Mädels, aber besonders in der aktiven Fanszene ist der Männeranteil definitiv ganz hoch. Er hat in den letzten fünf Jahren sogar noch mal zugenommen, also es waren mal mehr Mädchen aktiv. Aber gerade im Ultrabereich ist es für junge Frauen noch mal schwieriger Anschluss zu finden, auch wenn das keine bewusste Entscheidung ist. Der Ton ist halt rauer und besonders wenn nur wenige Mädchen da sind, ist es noch mal schwieriger mehr Mädchen zu motivieren. Es gibt da auch immer wieder das Vorurteil, die Mädels wollten nur dabei sein, um Jungs kennen zu lernen. Das Fanprojekt Darmstadt versucht da aber in der letzten Zeit mehr zu machen, um Mädchen für Fankultur anzusprechen.

Gibt es Ultra-Gruppen, die den Ton angeben?

Ja, also es gibt derzeit zwei große Gruppen, die "Usual Suspects" und die "Ultrá de Lis", also "der Lilie". Aber wir haben im Sitzplatzbereich auf der anderen Seite noch einen Bereich mit der älteren Generation, von denen so Mancher in den 1980er und 1990er Jahren auch mal für negative Schlagzeilen gut war. Heute steht das Fußballinteresse aber absolut im Vordergrund. Innerhalb der Fanszene gab es mit diesen Leuten auch nie größere Konflikte, weil sie von Anfang an eher links orientiert waren. Es gibt da Erzählungen, dass nach Heimspielen schon mal eine NPD-Versammlung um die Ecke aufgelöst wurde und ähnliches.

Im Grunde gibt es so also kaum noch Sitzplätze, die man frei verkaufen kann, deshalb macht der Stadionneubau für alle Sinn. Mit dem Zuschaueranstieg seit dem Aufstieg in die 2. Liga ist der Heimbereich jetzt fast immer voll, im Schnitt kommen 13.000 bis 14.000 Menschen. Dass davon die meisten stehen müssen, hat Vor- und Nachteile, wie dass häufig das gesamte Stadion im Kanon mitsingt. Und an anderen Standorten wird ja für Stehplätze und gegen das Hinsetzen gekämpft.

Wenn Du sagst, die Hooligans der "älteren Generation" waren eher links ausgerichtet, wie verhält sich das heute in der Fanszene?

Also es gibt klar einen antirassistischen Grundkonsens in der Szene. Dass man mal jemanden mit Naziklamotten trifft, das kommt vielleicht drei Mal in der Saison vor. Die Person wird dann auch von anderen Fans darauf angesprochen, weil das eben nicht erwünscht ist.

Als es vor fünf bis sechs Jahren die "Ultras Darmstadt" noch gab, wurden sehr viele Choreografien gegen Rassismus gemacht. Einigen Leuten war das dann auch zu viel, weil sie sich einen eher fußballzentrierten Support gewünscht haben. Und nicht verstehen konnten, warum, um jetzt plakativ zu sprechen, acht von zehn Choreos gegen Rassismus sein müssen, wenn es in der Fanszene doch selbst gar keine Probleme damit gibt.

Nach HoGeSa ist jetzt die Aufmerksamkeit noch mal gestiegen, da kommt dann auch mal ein entsprechendes Spruchband - grundsätzlich hat sich die Ultraszene aber mehr darauf verlagert, entsprechende Entwicklungen immer im Auge zu haben und direkter, aber weniger plakativ zu reagieren.

Wow, alles sehr spannend. Dann bedanke ich mich für das Interview und wünsche viel Erfolg beim Spiel heute Abend!

Danke.

Das Interview führte Laura Piotrowski.

 

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