Auf der PEGIDA Demonstration reihen sich zunehmend Menschen aus verschiedenen Alters- und Gesellschaftsgruppen ein.
Redaktion FgN

Dresdner Sonderweg: PEGIDA mobilisiert Alt-Hooligans, Neonazis und Wutbürger*innen

Seit fünf Wochen demonstrieren in Dresden jeden Montag mehr Menschen unter dem Motto "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA). 3200 Menschen folgten zuletzt dem über Facebook lancierten Aufruf. Mit dabei waren wieder viele Personen aus dem Dresdner Fußballumfeld, traten dabei aber weniger geschlossen auf, als in den letzten Wochen. Trotzdem ist PEGIDA, anders als die westdeutsche Blaupause HoGeSa, nicht an Fußballszenen gebunden, sondern erinnert stärker an eine rassistische Querfront. Unterdessen demonstrierten insgesamt 700 Menschen gegen diese neue Montagsdemonstration.

Von Redaktion Fussball-gegen-nazis.de

An diesem kalten Novemberabend strömen Menschen in großen und kleinen Gruppen auf den Platz vor einem zentralen Einkaufszentrum, um sich zur fünften Montagsdemonstration unter dem Motto "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" zu sammeln. Einige bringen ihre eigenen Deutschland-Fahnen mit, andere kommen mit Bierflaschen in den Händen, die sie zum Start der Demonstration hastig austrinken und abstellen werden. Das Bild der Teilnehmenden ist divers, viele junge Männer in sportlicher Kleidung, einige junge Frauen im ähnlichen Stil, stadtbekannte Neonazis, ältere Frauen und Männer und immer wieder auch Fans der SG Dynamo Dresden, dem beliebtesten Fußballverein der Region. Sie alle eint die Angst vor Salafismus und Glaubenskrieg auf deutschem Boden, in einer Stadt, in der die kleine islamische Gemeinde deutlich ökumenisch ausgerichtet ist und sich seit der muslimenfeindlich motivierten Ermordung von Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht verstärkt gegen Rassismus und für ein tolerantes Miteinander einsetzt. Von salafistischen Predigern - in Dresden keine Spur.

Bei den Gegenprotesten wurden deutliche Worte gefunden. Quelle: Redaktion FgN 

Wirre Forderungen der "Patriotischen Europäer"

Die PEGIDA Demonstration beginnt unterdessen mit einer Rede von René Jahn, der gemeinsam mit Lutz Bachmann die Demonstrationen organisiert. Bachmann ist derzeit im Urlaub, deshalb übernimmt Jahn, seines Zeichens Besitzer des Hammam "Zum kleinen Muck". In seiner Rede wendet er sich an die Versammelten, fordert Meinungsfreiheit, verhöhnt die Kritik der regierenden Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) an PEGIDA, prangert "Asylmissbrauch" an und stellt unter anderem klar: "Wir sind gegen Salafisten, Salafismus ist keine Rasse, also sind wir keine Rassisten!" Rekurriert wird auch auf Mustafa Kemal Atatürk, der die Türkei zu einem säkularen Staat formte, aber dabei auch Religionsausübung in der Öffentlichkeit brutal unterdrückte. Am Ende der Rede stehen acht Forderungen, die populistischer kaum sein können: "Wiedereinreisekontrollen" (für wen?), Abschiebung von Mitgliedern radikalreligiöser Gruppierungen (Pierre Vogel? Den Piusbrüdern?) Bewahrung der christlich-jüdischen Identität des Abendlandes (a.k.a. Westeuropa), mehr Polizei und überraschenderweise die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen. Begonnen hatte PEGIDA mit der Kritik an eben jener Aufnahme, mit der sie die Angst vor Glaubenskriegen auf deutschem Boden verbinden. Heute fordert Redner Jahn Weltoffenheit und ein tolerantes Europa, in dem Islamisierung keinen Platz hat. Eine genaue Definition dieser Islamisierung wird nicht geliefert, dafür können sich unter dem großen Schirm PEGIDA eben alle finden, egal wie stark sie den Islam oder Muslime/a ablehnen.

Meinungsfreiheit! – Nicht für die Demonstrationsteilnehmer*innen

Die Rede endet mit der Aufforderung, einen friedlichen und schweigenden "Spaziergang" zu unternehmen und auf keinen Fall mit der Presse zu reden. Das Recht auf Meinungsfreiheit wird hier zwar groß geschrieben, aber die Demonstrationsteilnehmenden bekommen einen Maulkorb. Auf dem Platz in Dresden haben sich so einige rechtsgerichtete Hooligans versammelt und auch diverse Neonazis zeigen sich in den Reihen. Wohl auch, weil die Anmelder ihre Pappenheimer kennen und ahnen, welche neonazistischen oder rassistischen Parolen gerufen werden könnten, was das saubere Image des gesetzten Mottos "Dresden zeigt wie´s geht" beschädigen würde. Außerdem wäre es möglicherweise ein Anlass für die sächsische Polizei, die Demonstration stärker zu kontrollieren, ähnlich wie bei HoGeSa in Hannover. Auf der PEGIDA-Facebook Seite können die Unterstützer*innen ihre Meinungsfreiheit nutzen und posten stündlich rassistische, sozialdarwinistische und anders menschenverachtende Kommentare.

Die Meinungsäußerung der Demonstration von PEGIDA erfolgt auf einigen gedruckten Transparenten, die sich vornehmlich in der erste Reihe der Demonstratin befinden und von den Organisator*innen mitgebracht wurden. In der ersten Reihe aber auch: ein Fan der SG Dynamo. Quelle: Redaktion FgN

Breite Unterstützung aus dem Fußballumfeld von Dynamo Dresden...

Karl*, ein Beobachter aus der Dynamo-Fanszene meint, für ihn sei es besonders erschreckend, wie viele bekannte Gesichter aus dem Stadion hier seien. Er und andere identifizieren Mitglieder der Fangruppe "Dresden Ost". Von anderen hört man, dass Demo-Organisator Bachmann Kontakte in die Dresdner Hooligan-Szene unterhalte. Während der Demonstration sind immer wieder Westen mit dem altdeutschen Aufdruck "Deutschland – Dynamo", Mützen aus dem Dynamo-Fanshop mit Aufschrift "Elbflorenz" oder schwarz-gelbe Fußballschals, häufig gepaart mit Kleidung von den bei Neonazis beliebten Marken Thor Steinar oder Erik & Sons zu sehen. "Im Vergleich zu den vergangenen Montagsdemonstrationen treten die Dynamo-Fans aber weniger offen auf", so Karl weiter. Vielleicht gab es da auch eine Ansage aus der aktiven Szene, dass PEGIDA nichts mit Dynamo zu tun hat und haben soll.

Nicht jeder Dynamo-Fan wollte beim Protestmarsch offen Gesicht zeigen, die weinrot-weiße Mütze identifziert aber eindeutig seinen Fußballclub. Quelle: Redaktion FgN

... oder auch dem Dresdner Sportclub DSC

Über sein Facebook Profil ruft auch Lars K., ein Anhänger vom Dresdner Sportclub DSC, zu den PEGIDA Demonstrationen auf. Er hat das ehrenamtliche DSC Fußballfanprojekt mit begründet und 2007 mit diesem den Julius-Hirsch-Preis vom DFB erhalten – für antirassistisches Engagement. Mit der linken/antirassistischen Fanszene des DSC gab es wohl einen Bruch. K. verkörpert die verquere Logik vieler PEGIDA Demonstrant*innen: bekennt sich offen zu seiner dominikanischen Ehefrau, organisierte den antirassistischen Jorge Gomondai Fußballcup mit, aber hetzt wie andere auf Facebook rassistisch gegen Muslime und eine vermeintliche Islamisierung Europas, bezieht sich positiv auf die rechtspopulistische Partei AfD oder teilt Beiträge wie von der rechtsextremen Zeitung "Junge Freiheit". Dabei zitieren er und andere immer wieder Artikel aus renommierten Medien wie der Welt, dem Focus, von ZDF "Frontal 21", aber auch der dem identitären Spektrum zuzurechnenden Blauen Narzisse oder der rechtsextremen PI-News, die "beweisen", dass Europa und Deutschland von radikalen Muslimen gefährdet werden und Flüchtlinge wie eine Flut nach Deutschland schwemmen, um "Asylmissbrauch" zu betreiben.

Aber: keine Dresdner Version von HoGeSa

Obwohl zahlreiche Personen aus dem Fußballumfeld PEGIDA unterstützen, hat die Demonstration keinen Fußballbezug, anders als HoGeSa. Vielmehr reiht sich die erfolgreiche Mobilisierung in die Vielzahl rassistischer Kundgebungen und Veranstaltungen gegen die Eröffnung oder Erweiterung von Flüchtlingsunterkünften ein und knüpft an die aktuell zunehmenden und medial verstärkten Ängste vor "Überfremdung" an. Diese neue Form von Rassismus schlägt sich als Muslimenfeindlichkeit nieder, Islam und Islamismus werden zu Synonymen, die rassistische Grundstimmungen in der Bevölkerung bündeln und kanalisieren. Die PEGIDA-Forderungen sind teilweise aus dem Landtagswahlprogramm der AfD übernommen. Das Mantra der Demonstrierenden lautet "Wir" gegen "die Anderen", wobei sich unter diesem "Wir" weiße Deutsche sammeln, die in einem atheistisch geprägten Bundesland auf die "christlich-jüdische" Kultur rekurrieren. Genau in diesem Duktus rufen die PEGIDA-Anhänger*innen auf der Abschlusskundgebung vor dem Dresdner Schauspielhaus dann mehrmals "Wir sind das Volk!" und verabschieden sich bis zur nächsten Montagsdemonstration.

Die Gegendemonstration von Dresden Nazifrei. Quelle: Redaktion FgN

Bis zu 800 Menschen bei den Gegenprotesten

Währenddessen haben sich an diesem Abend bis zu 800 Menschen bei unterschiedlichen Gegendemonstrationen getroffen. An der Frauenkirche versammelten sich um den Superintendent der Evangelischen Kirchgemeinde Dresden-Mitte Christian Behr 200 Menschen um friedlich ein Zeichen für Religionsfreiheit und eine offene Stadt zu setzen. Das Bündnis Dresden Nazifrei rief zu einer Demonstration unter dem Motto "Rassismus demaskieren" auf, an der bis zu 600 Menschen teilnahmen. Aus dem Protestzug heraus konnte die Auftaktkundgebung von PEGIDA akustisch gestört werden und später wurde der Theaterplatz besetzt und so die Route der Montagsdemonstration verkürzt. Auf der Demo herrscht Unverständnis über das nahezu exponentielle Wachstum der rassistischen Demonstrationen, ein Teilnehmer erklärt aber auch gefrustet, dass diese erfolgreiche Mobilisierung der Rechtspopulisten eben nur in Dresden möglich wäre – die Stadt sei ein "vorpolitischer Raum" und 25 Jahre nach der Wende sei hier immer noch keine demokratische Kultur entstanden. Schon am 14. November veröffentlichte der Stadtrat eine Erklärung, in der es heißt "25 Jahre nach den Ereignissen im Herbst ´89 wird von einigen versucht, den Ruf ´Wir sind das Volk!´ auf unseren Straßen umzudeuten." und weiter "Der Ruf ´Wir sind das Volk!´ steht für Freiheit, Demokratie und Menschenwürde. Es ist deshalb selbstverständlich, dass wir vor dem Hintergrund dieses Vermächtnisses solidarisch sind ... mit denen, die bei uns Schutz suchen".

Ausblick

Wie das Antifa Recherche Team Dresden zeigt, reiht sich PEGIDA als größte Veranstaltung in zahlreiche rassistische Proteste in Dresden und Umland ein. Für die nächste Demonstration ist trotzdem wieder eine Steigerung der Teilnehmerzahlen zu erwarten, die Facebook-Mobilisierung läuft blendend und kürzlich wurde verkündet, dass sich PEGIDA Ableger in anderen Städten wie Kassel gründen. Die Aufgabe einer demokratischen Zivilgesellschaft muss es nun sein, deutlicher gegen den zunehmenden Rassismus einzutreten und menschenfeindlichen Ressentiments ihre Grundlage zu entziehen, nicht nur, aber auch, montags um die Abendzeit in Dresden.

Mehr dazu im Netz: 

*** Update: PEGIDA läuft weiter und erreicht nach Polizeiangaben 5.500 Menschen. Dazu in der taz: Muslimhass in Dresden***

- Auf Netz-gegen-Nazis.de: 

So verschleiert propagiert "Pegida" antimuslimischen Rassismus

Warum schafft "HoGeSa" den Sprung vom Netz auf die Straße?

- Dresdner Neueste Nachrichten: 3700 Menschen bei Islamgegner-Initiative Pegida - Gegendemonstranten blockieren Theaterplatz

- taz.de Politische Einstellungen in Deutschland: Wenige Rechte werden rechter

 

* Name geändert.

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