Die "Saalefront-Ultras" hier bei einem Pokalspiel gegen den FC Magdeburg. Die meisten tragen T-Shirts mit der Aufschrift "Good night Blue White", in der Mitte vom Block ist eine Fahne mit dem Logo der rechten Magdeburger Hooligangruppe "Blue White Street Elite" und dem gleichen Motto zu sehen.
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Ahnungslos in Magdeburg: Landesregierung erkennt Hass erst, wenn "NPD" drauf steht

In Magdeburg hat der Landtag über Rassismus, Diskriminierung und Nazis im Fußball debattiert. Die schwarz-rote Landesregierung sieht keine Probleme. Dabei treiben in dem ostdeutschen Bundesland rechtsextreme Hooligans und Ultras sowie ein rechter Fußballverein ihr Unwesen, schüchtern alternative Jugendliche ein, bedrohen Oppositionspolitiker oder skandieren antisemitische Parolen im Stadion.

Von Lina Morgenstern

"Wir stehen früher auf" ist das Motto des Landes Sachsen Anhalt. Im Bereich Rechtsextremismusprävention und Fußballsport kann davon keine Rede sein. Die Grüne Fraktion im Magdeburger Landtag hatte zum Thema im vergangen Jahr eine Große Anfrage gestellt, Ende Februar debattierte der Landtag darüber. Geht man nach den Angaben der Landesregierung, hat der Fußball eigentlich kaum Probleme, zumindest nicht mit Rechtsextremen oder Hassverbrechen. Rechte Fangruppen, wie die  Hooligans der "Blue White Street Elite" oder die "Saalefront-Ultras" sind kein Thema für die Landesregierung. Von den rund 180.000 Fußballspielen der unteren Ligen zählen sie gemeinsam mit dem Fußballverband Sachsen-Anhalt (FSA) von 2008 bis 2014 nur 49 Vorfälle mit rechtsextremer Motivation, das liegt im Promillebereich. In den rund 1230 anderen Vorfällen grob unsportlichen Verhaltens, Beleidigung der Schiedsrichter*innen oder Tätlichkeiten könnten sich weitere Hassverbrechen, wie rassistische Äußerungen verbergen – man weiß es aber nicht genau. Der Landessportbund (LSB) antwortet genauer als der FSA, er nimmt verbale Attacken mit rassistischem, antisemitschen und rechtsextremistischem Hintergrund wahr, unter anderen Gewaltäußerungen. Seit 2010 hat die Polizei aber keine derartige Gewaltstraftat mehr registriert.

Innenministerium in Sachsen-Anhalt ist blind für Diskriminierung im Fußball

"Straftaten mit homophober Ausprägung wurden von der Landesregierung gar nicht registriert. Das stößt schon auf. Wir wissen, dass im Fußball starke Probleme mit Homophobie bestehen – warum sollte das in Sachsen-Anhalt anders sein", fragt sich Sebastian Striegel, Abgeordneter für die Grünen im Landtag. Er hat die Große Anfrage an die Regierung gestellt und äußerte sich zuletzt sehr kritisch gegenüber den Antworten. "Die von der Landesregierung vorgelegten Antworten zeigen vor allem, dass wir über Diskriminierung im sachsen-anhaltinischen Sport noch viel zu wenig wissen. Betroffene trauen sich nicht, ihre Erfahrungen offen zu legen, sonst würden die Zahlen steigen", fährt er fort. Er ist aufgeregt darüber, dass das zuständige Landesministerium für Inneres und Sport so wenig Bescheid weiß, über die Zustände auf den Fußballplätzen. Und auch die Ignoranz des FSA ärgert ihn.

Neonazis auf dem Fußballplatz? Nie gesehen!

So wenig wie homophobe Äußerungen erkennt die Landesregierung Überschneidungen zwischen Neonazis und Fußballfanszenen, Fußballvereinen oder Ordnerdiensten. Das verwundert besonders in einem Land, wie Sachsen-Anhalt. Beim Halleschen FC prägte die rechte Ultragruppe "Saalefront" jahrelang die Fankurve, war für medienwirksame rassistische Ausschreitungen und antisemitische Schmierereien verantwortlich. "Aber solange die rechten Fans kein NPD-Parteibuch in der Tasche haben, sind sie für den Verfassungsschutz keine Neonazis. Die Behörden verkennen hier klar die Wirkmechanismen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechten Unterwanderungsversuchen", kritisiert Striegel. Im vergangenen Jahr reagierte dann auch der Hallesche FC auf die rechten Fans und erklärte "Der zwischenzeitlich eingetretene Imageverlust für den Halleschen Fußballclub und die Stadt Halle ist nicht mehr akzeptabel." Jegliche Symbolik der Gruppe wurde im Stadion verboten. Zwischenzeitlich hatten die Saalefront-Ultras ihrerseits schon die Hallesche Fanszene verlassen, weil sie mit deren neu gefasstem "Fan-Ethik-Kodex", der sich u.a. von allen Formen von Rassismus und Diskriminierung distanziert, keine Auslebung ihrer Fankultur mehr gewährleistet sahen. Ähnlich wie nach der offiziellen Auflösung der rechten Gruppe Scenario Lok in Leipzig,  kann man aber davon ausgehen, dass auch die Mitglieder der Saalefront Ultras ihrem Verein nicht den Rücken gekehrt haben.

Rechtsextreme Fans aus in den unteren Ligen und beim FC Magdeburg

Mit der "Blue White Street Elite" (BSWE) kann der 1. FC Magdeburg mit einer eigenen rechtsradikalen Hooligangruppe aufwarten. Zuletzt war es im Januar diesen Jahres laut um die Gruppe geworden, als rechtsextreme Fußballhooligans in einer Magdeburger Diskothek Hitler-Grüße  zeigten, randalierten und nach ihrem Rauswurf auf dem Weg zum Bahnhof mehrere Iraker angegriffen hatten. Der Staatsschutz ging davon aus, dass auch Mitglieder der BWSE beteiligt waren und nahm in diesem Zusammenhang die Prüfung eines neuen Verbotsverfahrens der Gruppe auf, nachdem 2010 das letzte Verbot vom Oberlandesgericht gekippt worden war. David Begrich vom Demokratieverein "Miteinander" aus Magdeburg geht zwar davon aus, dass die BWSE nur noch als "informeller Zusammenhang" besteht. Grünen-Abgeordneter Striegel fordert trotzdem, ein neues Verbotsverfahren anzustreben, da mit dem Präzedenzurteil vom Bundesgerichtshof zu Hooligangruppen Ende Januar neue juristische Möglichkeiten geschaffen wurden. Der BGH hatte die rechte Gruppe "Hooligans Elbflorenz" als kriminelle Vereinigung nach §129 StGB verboten, auch diese bestand laut Aussagen von Fanszenebeobachtern nur als informeller Zusammenhang. Im Nachgang lösten sich bis heute mehrere Hooligangruppen wie "Standarte Bremen" offiziell auf, um den polizeilichen Ermittlungen zu entgehen. Übrigens zählt man in Sachsen-Anhalt nur 344 Gewalttäter Sport, davon ist eine Person zugleich auch in der Datei "Gewalttäter rechts" gespeichert.

Nazis im Amateurfußball: der FC Ostelbien Dornburg

Man könnte vermuten, dass Dennis Wesemann dabei ist, aber man weiß es nicht. Wesemann ist Gründungsmitglied der BWSE, rechtsextremer Kommunalpolitiker im Jerichower Land und Stürmer beim Amateurverein FC Ostelbien Dornburg. Er trägt kein NPD-Parteibuch, aber fällt seit Jahren durch rechtsradikale Bestrebungen auf, ist mehrfach vorbestraft, viele nennen ihn "Neonazi". Auch der Verfassungsschutz schätzt im MDR Exakt ein, dass er eine Person ist, die "... aktiv in die örtliche rechtsextremistische Szene im Jerichower Land eingebunden (ist)". Er ist Ortsbeirat in Stresow, dem Dorf, in dem zur Landtagswahl 2011 jede*r Vierte die NPD gewählt hat. Im Juli 2014 kandidierte er als Oberbürgermeister, griff sogar einen Gegenkandidaten tätlich an. Striegel erklärte zur Kandidatur Wesemanns gegenüber MDR Exakt: "Dennis Wesemann ist jemand, der seit Jahren in der neonazistischen Szene unterwegs ist. Der selbst durch antisemitische Äußerungen aufgefallen ist. Der mit in einem rechten Fußballverein ist. Und so jemand will als Nichtdemokrat demokratischer Ortsbürgermeister werden, das kann nicht sein."

Auch sein Fußballverein der FC Ostelbien Dornburg (FC OD) kommt in der Antwort der Landregierung nur kurz vor: "Es ist anzumerken, dass eine organisatorische Einbindung in rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse bei keinem der besagten Vereinsmitglieder vorliegt". Das Innenministerium ermittelte nur gegen 15 Personen aus dem Gründungskreis wegen politisch rechts motivierter Straftaten. Damit ist der Verein ein Paradebeispiel für Rechtsextreme im Fußball. Er wurde von Neonazis und Hooligans mit gegründet, die meisten Mitglieder haben rechte Weltanschauungen. Der LSB Sachsen-Anhalt hatte versucht, dem Verein die Anerkennung als Sportverein zu verweigern, war damit aber in der ersten Instanz im Eilverfahren gescheitert und nicht in die Revision gegangen. Solange der FC OD nicht als politisch rechtsextremer Akteur auftritt, kann er in den Kreisliga problemlos weiter spielen. Nach Aussage der Pressestelle im Innenministerium liegen bis Redaktionsschluss keine weiteren Kenntnisse über den Verein vor, der Verfassungsschutz beobachtet ihn nicht.

HoGeSa und MAGIDA – rechtsextreme Fußballfans aus Sachsen-Anhalt immer dabei

Seit der Großen Anfrage und der Erteilung einer Antwort im vergangenen Sommer ist in Sachsen-Anhalt einiges in Bewegung. Bekannte Hooligans sind zur HoGeSa-Demonstration nach Köln gereist, eine eigene HoGeSa Veranstaltung in Halle wurde im November angekündigt, fand dann aber nicht statt. Diesen Januar begannen in Magdeburg die MAGIDA-Demonstrationen, Ableger der rassistischen und islamfeindlichen Pegida aus Dresden. Der Demokratieverein "Miteinander" teilte mit, dass sich die MAGIDA-Organisator*innen und ihre Ordner*innen mehrheitlich aus der rechten Fußball- und Hooliganszene rekrutieren.

Landessportbund will mit "MuT" Abhilfe schaffen

Abhilfe soll seit November 2011 das Projekt "Menschlichkeit und Toleranz im Sport" (MuT) schaffen. Es wird vom LSB getragen und durch Bundesmittel sowie einen kleinen Zuschuss des FSA getragen und soll Sportler*innen wie Fans für Menschenverachtung und Hass im Fußball sensibilisieren, außerdem Vereine bei Problemen beraten. "MuT" begleitet Vereine auch, wenn sie Nazis aus dem Verein ausschließen wollen und hat sich laut Landesregierung als Anlaufstelle bei Problemfällen etabliert. Auch Striegel schätzt die Arbeit des "MuT" Projekts. Probleme gibt es derzeit in der Finanzierung. Die Mittel sanken im Vergleich mit dem Vorjahr für 2015 um ein Viertel auf 150.000 Euro. Projektkoordinator Helge Tiede erklärte, dass diese Einsparungen einen tiefen Einschnitt in die Arbeit von "MuT" bedeuten und man sich jetzt sehr genau überlegen müsse, wo man noch zumindest punktuell arbeiten könnte. Striegel fordert, dass sich das Land und auch der Fußballverband FSA jetzt stärker finanziell einbringen müssen, um die kontinuierliche und nachhaltige Arbeit von MuT zu erhalten. Spielräume sieht der Oppositionspolitiker generell noch in der Bearbeitung von Homo- und Transphobie im sachsen-anhaltinischen Fußball: "Sportarten wie Fußball bauen auf traditionelle Rollen- bzw. Männlichkeitsbilder auf, im Falle vom Fußball sogar auf eine Überhöhung von Männlichkeit. Gerade dort spielen deshalb Gewaltakzeptanz, Homo- und Transphobie eine größere Rolle." Dem möchte sich auch das MuT Programm stärker zuwenden – wobei am Ende die Frage bleibt, ob es mit den reduzierten Mitteln und der Ansicht der Landesregierung, Homophobie gäbe es im Fußball des ostdeutschen Bundeslandes nicht, überhaupt eine sinnvolle Bestandsaufnahme und Strategien entwickeln kann.

Mehr im Internet:

Heute (11.03.) kam die Antwort vom Innenministerium Sachsen-Anhalt zu unserer Presseanfrage. Die wollten wir im originalen Wortlaut einfach nicht vorenthalten, im MDR Exakt Beitrag äußerte sich der VS-Leiter Hollmann übrigens etwas anders:

Aufgabe des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Hierunter fallen unter anderem rechtsextremistische Aktivitäten. Gemeinhin als „rechts“ bezeichnete Aktivitäten, die die Schwelle des Rechtsextremismus nicht erreichen, werden hingegen nicht erfasst. Dies vorangestellt, ergeben sich für den FC Ostelbien Dornburg  und die Blue White Street Elite  folgende Einschätzungen:‎

1. FC Ostelbien Dornburg

Zielgerichtete rechtsextremistische Unterwanderungen sind bei Fußballvereinen in Sachsen-Anhalt nicht festzustellen. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass sich Personen aus der rechtsextremistischen Szene, insbesondere aus dem nicht organisierten, subkulturellen Bereich in Sportvereinen zusammenfinden. Ein Beispiel mit relativ hoher Schnittmenge ist aus Sicht des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt der FC Ostelbien Dornburg. Hier ist seit geraumer Zeit bekannt, dass gegen mehrere Personen aus dem Kreis der Gründungsmitglieder und Spieler u. a. Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Begehen politisch rechts motivierter Straftaten eingeleitet worden sind. Dennoch liegen hier keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich beim FC Ostelbien Dornburg um eine rechtsextremistische Bestrebung handelt, die sich aktiv und geschlossen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet.

2. Blue White Street Elite

Die Blue White Street Elite an sich wird derzeit noch  nicht als rechtsextremistische Gruppierung eingeschätzt. Vielmehr sind hier u. a. Personen anzutreffen, die dem Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt als aktive Rechtsextremisten hinlänglich bekannt und in der örtlichen rechtsextremistischen Szene aktiv eingebunden sind. Soweit Anhänger der Blue White Street Elite im Rahmen der Ausübung von Straftaten der politisch motivierten Kriminalität (rechts) bekannt geworden sind, traten diese meist einzeln oder in kleineren Gruppen auf und brachten ihre persönliche politisch-extremistische Gesinnung zum Ausdruck. Entsprechend liegen dem Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt auch hier derzeit noch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei der Blue White Street Elite um eine rechtsextremistische Bestrebung handelt, die sich aktiv und geschlossen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet.‎

Bezüglich Ihrer Frage zum Stand eines Verbotsverfahrens bitte ich um Ihr Verständnis dafür, dass zu möglichen vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren und Maßnahmen keine Auskünfte erteilt werden können.

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