"Was ich sage, ist häufig nicht Mainstream"

Jörg Schönbohm, 70, ist Innenminister des Landes Brandenburg und gilt als konservatives Aushängeschild der CDU. Bis 1992 machte der Generalleutnant a.D. Karriere in der Bundeswehr und wechselte dann über das Amt des Verteidigungs-Staatssekretärs in die Politik. Nach zwei Jahren als Innensenator in Berlin kam er 1998 in sein Geburtsland Brandenburg zurück.

Herr Minister Schönbohm, Sie haben einmal gesagt, Nation und Familie seien für sie als Politiker wichtige Bezugspunkte. Das sagt die NPD auch. Wo liegt der Unterschied zwischen einem demokratischen Rechten und einem Rechtsextremisten?

Die Rechtsextremen definieren im Allgemeinen Nation im Sinne gemeinsamer biologischer Herkunft und grenzen die eigene Nation gegen andere ab. Etwas völlig anderes ist es, nationale Interessen zu definieren und zu verfolgen. Beim Thema „Nation“ hat sich vieles normalisiert. Vor acht Jahren konnte Jürgen Trittin noch schimpfen, Laurenz Meyer habe die Gesinnung eines Skinheads, weil der erklärt hatte, er sei stolz, Deutscher zu sein. Heute würde ein Grüner das nicht mehr sagen.

Was ist ein „guter Konservativer“?

Für mich ist konservativ, sich für das Erhaltenswerte einzusetzen und mit der Erfahrung die Zukunft zu gestalten. Nicht aufgrund einer Ideologie ist etwas zu verändern, sondern wegen der Notwendigkeit, etwas besser zu tun. Die Widerständler des 20. Juli haben auf der Basis von Christentum und preußischem Konservatismus den Nationalsozialismus abgelehnt.

Ist die Nation für Sie auch eine Kategorie in der Innenpolitik?

Natürlich. Ein Amerikaner würde zum Beispiel die Skepsis, die in Ihrer Frage mitschwingt, gar nicht verstehen. Dort wird offen darüber diskutiert – ganz anders als bei uns. In Amerika wird schon in der Schule die Nationalhymne gesungen – das ist der Ausdruck eines starken Patriotismus. Wenn es den auch bei uns gäbe, wäre schon eine ganze Menge erreicht. Das zeigt sich auch beim Thema Integration. Wie können wir von Zuwanderern verlangen, sich zu unserem Land zu bekennen, wenn wir es selber nicht tun? Wir hatten bei uns in Deutschland zu lange Zuwanderung ohne Integration. Noch immer tut sich ein großer Teil der hier lebenden Türken schwer damit, sich zu integrieren.

Der Blick in die USA ist deshalb interessant, weil Integration dort auf der Basis von Verfas-sungswerten verstanden wird. Deutschnationale dagegen fordern keinen Wertekonsens, sondern ethnische Homogenität.

Für mich ist das Entscheidende der Wertekonsens und die Einhaltung der Gesetze.

Aber die Werte des Grundgesetzes können doch Menschen mit türkischen Wurzeln genauso anerkennen!

Dazu fragen Sie mal bitte den Bürgermeister von Neukölln. Oder lesen Sie die Berichte über Ehrenmorde und Zwangsheirat. Der Unterschied zu den italienischen oder jugoslawischen Gastarbeitern ist klar: Die sind – häufig durch Heirat – integriert. Mein Fiat-Händler zum Beispiel stammt aus Italien, hält seine Traditionen hoch – und ist überzeugter Deutscher und sogar in der CDU…

… Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass es bei Türken biologische Gründe gibt, warum sie nicht deutsche Werte vertreten können?

Natürlich nicht. Aber kann es nicht auch sein, dass manche Türken Nation und Volk so extrem bewahren, dass eine Integration in unsere Gesellschaft nur schwer möglich ist?

Kann das an falscher Integrationspolitik gelegen haben?

Zur Integration gehören immer zwei. Ich war vor einiger Zeit einmal in Anatolien. Da traf ich Frauen, die haben Jahrzehnte in Deutschland gelebt, aber nie Deutsch gelernt. Manche kapseln sich ganz bewusst von der deutschen Gesellschaft ab. Schauen Sie nach Dänemark oder Holland – die haben vergleichbare Probleme.

Deutschland hat damals in der Türkei gezielt die niedrig gebildete Landbevölkerung angeworben, weil es billige Arbeiter waren.

Das mag sein. In den 60er und 70er Jahren waren die Türken hierzulande wegen ihres Fleißes geach-tet. Momentan stellen wir aber fest, dass selbst in der dritten Generation viele Kinder kein Deutsch können. Die schotten sich ab, in den Wohnzimmern läuft den ganzen Tag türkisches Satellitenfernsehen. Wenn die Eltern Integration nicht unterstützen, dann kann sie nicht funktionieren. Das muss man doch ansprechen!

Als Konservativer sind sie doch dagegen, dass der Staat sich einmischt in die Familie.

Wir sind natürlich auf starke Eltern angewiesen. Aber bei der Integration geht es um die Grundlagen des Zusammenlebens und muss der Staat schlichtweg Vorgaben machen. Das geht aber natürlich nur mit Fingerspitzengefühl.

Zurück zum Rechtsextremismus – warum fällt es der Union so schwer, darüber zu sprechen. In den letzten Jahren sah es oft aus, als sei die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ein linkes Thema.

Das liegt vielleicht daran, dass die Linken den „Kampf gegen Rechts“ gerne mit lauten Parolen führen. Wir tun dies lieber mit Taten, die dann aber vielleicht nicht immer alle mitbekommen. In der praktischen Auseinandersetzung hat die Union viel gemacht, die Republikaner in Berlin oder Baden-Württemberg sind ja heute wieder verschwunden. Die SPD instrumentalisiert das Thema parteitaktisch. „Kampf gegen rechts“ – dabei denkt man gerne auch an die CDU. Es geht aber um Rechtsextremisten.

Oder diese Rede vom Problem, das aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Auf der Basis einer sehr kritikwürdigen Studie von Herrn Heitmeyer aus Bielefeld …

… es gibt viele Studien dazu.

Es hat für mich ein Geschmäckle, wenn eine kleine Elite feststellt, dass das Volk insgesamt extremistisch sei und umerzogen werden müsse.

Es ist erwiesen, dass etwa rassistische oder antisemitische Einstellungen in der allgemeinen Bevölkerung weit verbreitet sind.

Ich verweise darauf, dass die SPD das parteitaktisch einsetzt. Herr Beck zum Beispiel fordert ja immer wieder das NPD-Verbot – nicht um es in Berlin in der Großen Koalition durchzusetzen, sondern um die Selbstbindungskräfte seiner Partei zu stärken.

Aber es fällt auf, dass sich Ihre Partei Ende der sechziger Jahre, als die NPD schon mal eine Erfolgswelle hat, ernsthafter mit ihr auseinandergesetzt hat. Damals gab es zum Beispiel Aufklärungsbroschüren von der CDU, heute nur von SPD, Grünen oder PDS.

In den Ländern, wo wir die NPD haben, in Sachsen, in Mecklenburg-Vorpommern, da macht die Union eine Menge. Anderswo würde man die Partei durch mehr Aufmerksamkeit eher aufwerten. Wir hier in Brandenburg arbeiten intensiv zusammen mit dem Sportbund, dem Feuerwehrverband, dem Städte- und Gemeindebund. Es gibt zum Beispiel Schulungen für Ordnungsämter und die Polizei – alles ganz unspektakulär.

In der Tat ist Brandenburg und sind Ihre Sicherheitsbehörden oft vorbildlich. Sie persönlich gelten zugleich als „rechter Sprücheklopfer“. Wie passt das zusammen?

(lacht) In Deutschland bekommt man schnell ein Etikett aufgeklebt. Als ich vor zehn Jahren mehr Integrationswilligkeit von Einwanderern forderte, galt ich als Rechtsradikaler. Heute ist das Konsens.

Vor wenigen Wochen erst haben Sie im umstrittenen Studienzentrum Weikersheim geredet. Sie beklagten dort die „vielen Opfer“ einer „Empörungsmaschinerie“, haben Eva Herman dazu gezählt und den General Güntzel …

Nein, über Herrn Güntzel habe ich nicht gesprochen.

Doch, wir saßen selbst im Publikum in Weikersheim.

Punkt 1: Ich habe nicht über ihn gesprochen, ich habe ihn lediglich aufgezählt. Punkt 2: Ich habe mich nicht mit ihm solidarisiert. Herr Güntzel ist ein tapferer Soldat, der einen Brief an Martin Hohmann geschrieben hat …

… einen damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten, dessen Rede zum Tag der Einheit damals allgemein als antisemitisch kritisiert wurde …

… und das war nicht in Ordnung. Aber wie Güntzel dann entlassen wurde nach 35 Dienstjahren, das war richtig mies. Er hat doch vorher unserem Land gedient! Verteidigungsminister Struck hat die Entlassung damals im SPD-Fraktionsvorstand verkündet und später der Presse vor dem SPD-Logo. Das war stilwidrig.

Sie haben in Weikersheim auch Peter Krause erwähnt, der in Thüringen Kultusminister werden sollte.

Ja, weil mich die Art und Weise ärgert, wie dieser Mann von Leuten abgeschossen wurde, die in der DDR der Stasi gedient haben.

Von vielen Seiten gab es Kritik an ihm und seiner früheren Arbeit für das Rechtsaußen-Blatt Junge Freiheit.

Ich empfehle Ihnen einmal nachzuschauen, wer dort schon alles Interviews gegeben und publiziert hat.

Das wissen wir genau.

Im Übrigen gibt es keinen einzigen Aufsatz von Herrn Krause, der rechtsextremistisch ist.

Das war nicht der Vorwurf an ihn. Der Punkt war, dass er sich nicht von dem Blatt distanziert hat, das eine Scharnierfunktion zur extremen Rechten erfüllt, wo regelmäßig Rechtsextremisten zu Wort kommen. Krause hätte nur klar sagen brauchen, dass er damals einen Fehler gemacht hat, dass er es aus jugendlicher Naivität tat – aber stattdessen hat er herumlaviert und das Blatt auch noch verteidigt.

Es war eine Hexenjagd und einer Demokratie schlichtweg nicht angemessen. Und ich finde es inakzeptabel, dass man über manche Dinge in diesem Land offenbar nicht ungestraft frei reden darf.

Reden darf man über alles, die Frage ist, WIE man darüber redet.

Wer vergibt denn die Zensuren?

Wenn irgendein Politiker in seinen Reden rassistische Stereotypen bedient, dann muss das jeder Demokrat kritisieren. Wenn im Wahlkampf Roland Koch …

… ich spreche von Schönbohm. Was ich sage, ist häufig nicht Mainstream. Rechts und links wird oft mit ungleicher Elle gemessen: Wo war der Aufschrei, als die PDS-Vizechefin Dagmar Enkelmann im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – im übrigen unwidersprochen von der Moderatorin – die ungeheurliche Behauptung aufstellte, diese Demokratie könne die Probleme nicht mehr lösen? Hätte ich das gesagt oder ein Kollege von der CSU, na da wär’ der Bock fett gewesen!

Ihr Parteifreund Wolfgang Bosbach hat uns im Interview gesagt, das Wichtigste für einen Konservativen im Kampf gegen Rechtsextreme sei, sich klar abzugrenzen.

Das sehe ich genauso.

Wolfgang Bosbach sagt, genau deshalb gebe er etwa der Jungen Freiheit keine Interviews. Sie tun das.

Ich habe dem Blatt zwei Interviews gegeben, seitdem kriege ich es jede Woche und blättere darin herum…

Und wie finden Sie die Zeitung?

Unterschiedlich. Manches ist ganz interessant. Aber ich gebe der Jungen Freiheit keine Interviews mehr, weil es das Blatt aufwerten könnte.

Wenn Sie in Weikersheim auftreten, werten Sie auch Leute auf, von denen einige nicht akzeptabel sind.

Das stimmt nicht.

Herr Hornung, der bis vor kurzem Vorsitzender war, hat Bücher im rechtsextremen Hohenrain-Verlag veröffentlicht.

Von ihm habe ich einiges gelesen – zuletzt eine sehr gute und interessante Biographie.

Wäre es nicht eine Chance, dass gerade Sie als bekannter Konservativer dort für klare Grenzen sorgen. Dass gerade Sie sagen, halt, bis hier und nicht weiter, jetzt wird’s rechtsextrem.

Das würde ich natürlich tun – allerdings mache ich mir wenig Sorgen, dass dies tatsächlich notwendig sein wird.

Das Interview führten Marie von Mallinckrodt und Toralf Staud

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