Beispiele für rechtsextreme Inhalte im Netz
Screenshots netz-gegen-nazis.de

Viraler Hass: Neue Studie zu Rechtsextremismus online

Für Rechtsextreme sind die sozialen Netzwerke der wichtigste Ort im Internet geworden, um vor allem Jugendliche zu erreichen, Hassbotschaften zu verbreiten und zu mobilisieren. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie von jugendschutz.net. Ein weiterer Befund: Der virale Hass wird immer brutaler.

Von Alice Lanzke

Lauter Elektropop dröhnt aus den Boxen, während über die Leinwand bunte Bildchen flimmern: Idyllische Strände, bekannte Filmfiguren und immer wieder das gelbe Lambda-Zeichen auf schwarzem Grund, darüber die Schlagworte "Heimat. Freiheit. Tradition". Mit dem schnell geschnittenen Filmchen dokumentiert Stefan Glaser von jugendschutz.net mehrere Trends der rechten Szene im Internet: Die Benutzung von jugendaffinen Stilmitteln, die subtile Verbreitung von Botschaften und die intensive Nutzung der sozialen Netzwerke. Der Clip ist ein Machwerk der identitären Bewegung, zu finden auf Plattformen wie Facebook oder YouTube.

"Rechtsextreme Agitation wird als harmlos getarnt", erklärt Glaser nach dem Video bei der Vorstellung der neuen Studie "Rechtsextremismus online – beobachten und nachhaltig bekämpfen". Das Auftreten der Neonazis im Netz gebe sich subversiv und rebellisch – und spreche so vor allem Jugendliche an. Insbesondere die Identitären würden diese Strategie professionell nutzen und sie noch weiter treiben als zuvor die "Unsterblichen", die trotz des Verbots zumindest aus dem Internet noch nicht verschwunden seien.

Unverhohlener Hass im Netz

Wie andere rechte Gruppierungen würden auch die Identitären ihre Propaganda vor allem in den sozialen Netzwerken verbreiten. Hier registrierte jugendschutz.net im Vergleich zum Vorjahr einen signifikanten Anstieg und zählte 2012 fast 50 Prozent mehr an entsprechenden Beiträgen (2012: 5.500, 2011: 3.700). Gleichzeitig fiel die Zahl der rechtsextremen Szene-Websites im Monitoring von jugendschutz.net: von 1.671 in 2011 auf 1.519 Websites. Dazu passt ein weiterer Trend: Statt auf statische klassische Websites setzt die Szene auf moderne, multimediale Blogs. "Diese haben oft einen unverfänglichen Titel, präsentieren aber demokratiefeindliche Inhalte", so Glaser. In diesem Zusammenhang würde der Micro-Blogging-Dienst tumblr immer beliebter werden, da er einfach zu bedienen sei und vor allem auf Bilder setze. Den generellen Anstieg rechtsextremer Inhalte im Netz kann auch Martin Ziegenhagen von der Online-Beratung gegen Rechtsextremismus bestätigen: So würden die Anfragen an die Online-Beratung, vor allem von besorgten Eltern, im gleichen Maße ansteigen.

Daneben beobachtet das Team von jugendschutz.net aber auch häufiger unverhohlenen Hass und Gewalt im Netz. So hat sich die Zahl der gravierenden Jugendschutzverstöße erhöht: Von 1.673 registrierten Inhalten waren 1.343 strafbar. Fast immer befanden sich diese Inhalte auf ausländischen Plattformen. Ein Beispiel dafür ist das russische Netzwerk "VK": Mehr und mehr Neonazis weichen hierher aus, da Facebook mittlerweile rigoroser löscht. "VK ist da zum sicheren Hafen in der Szene geworden", erklärt Glaser – mit entsprechenden Folgen: So ist auf den Seiten des Netzwerks auch Videos zu sehen, die rassistische Tötungen zeigen. Jugendschutz.net hat daraufhin den Kontakt zum VK-Betreiber gesucht und inzwischen schon eine stellenweise Löschung von Inhalten erreicht.

Neonazis mobil mit Apps und QR-Codes

Glaser betonte bei der Vorstellung der Studie mehrfach die Wichtigkeit des Social Webs: Dieses sei vor allem für die Agitation wichtig, hier mobilisierten und rekrutierten Rechtsextreme für ihre Aktionen. Dabei gehen sie auch darauf ein, dass immer mehr Nutzerinnen und Nutzer mobil ins Internet gehen: Neonazi-Apps und ein intensiver Einsatz von QR-Codes, die auf rechtsextreme Websites führen, sind das Ergebnis.

Doch was kann man gegen die beunruhigenden Trends tun? Für Stefan Glaser sind vor allem drei Punkte entscheidend: eine noch intensivere Kooperation mit den Netzwerk-Anbietern, eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und eine Kultur der sozialen Verantwortung auch im Internet: Hier sollten sich alle beteiligen, Hass im Netz zu bekämpfen. Ähnlich äußerte sich auch Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Angesichts der Hasspropaganda im Internet sollte jeder aktiv werden, "als Bürger und Demokrat" – aber auch die Politik sei hier gefordert. So, wie Gegenaktionen gegen Neonazis auf der Straße die Regel seien, müsse man sich auch im Netz der menschenverachtenden Ideologie entgegenstellen. Krüger forderte als Folge Medienkompetenz-Trainings, mehr politische Bildung und eine lebendige Netz-Community. Er betonte mit Blick auf den aktuellen NSA-Skandal um das Ausspähprogramm "Prism": "Einen Teil der Energie, die wir auf das Ausspähen von Internetnutzern durch internationale Geheimdienste verwenden, sollten wir auf den Kampf gegen Hasspropaganda verwenden."

Zahlen der Studie "Rechtsextremismus online" im Überblick:

Rechtsextreme Propaganda vorrangig im Social Web

  • fast 50 % mehr Beiträge als im Vorjahr (5.500; 2011: 3.700)
  • Zuwachs an Twitter-Accounts um 35 % (196; 2011: 141)
  • 70 % aller Sichtungen auf US-Plattformen Facebook, YouTube und Twitter

Zahl der Szene-Websites tendenziell rückläufig

  • 1.519 deutschsprachige Websites im Monitoring (2011: 1.671; 2010: 1.707)
  • 368 Websites von Kameradschaften (2011: 391), 226 Websites der NPD (2011: 238), 145 Websites von Versandhändlern (2011: 164)
  • Ausnahme islamfeindliche Websites: Anstieg um 60 % (40; 2011: 25)

Inhalte häufig auf US-Servern

  • 5.360 von 7.019 rechtsextremen Angeboten in den USA gehostet (76 %)
  • Ausnahme Szene-Websites: Mehrheit auf deutschen Servern (74 %)

Mehr strafbare Inhalte, meist auf ausländischen Servern

  • 1.673 Verstöße insgesamt
    • 80 % im Social Web, 20 % auf Websites
    • 90 % auf ausländischen Servern
  • 80 % strafbar, 20 % jugendgefährdend
    • 13 % mehr strafbare Inhalte als 2011
  • 9 % mehr Verstöße im Social Web
    • 95 % auf Facebook und Youtube (1.317)
    • davon Profile 64% (838), Videos 35% (457)

Direkter Kontakt zu Diensten bleibt effektivste Maßnahme

  • Handlungsmöglichkeiten in 89 % aller Fälle
  • 75 % der Verstöße auf Websites und im Social Web entfernt

Mehr Informationen im Netz:

  • Interview zu rechter Gewalt im Netz: Hassbotschaften im Social Web (WDR Online)
  • Hass auf dem Smartphone (ZDF)
  • Netz-Strategien von Rechtsextremen: "Internet stabilisiert die rechte Szene" (tagesschau.de)
  • Rechtsextreme im Netz: Neonazis nutzen Web 2.0 (Berliner Zeitung)
  • Liken. Teilen. Hetzen. Neonazi-Kampagnen in Sozialen Netzwerken (netz-gegen-nazis.de)
  • jugendschutz.net (Homepage)
  • Online-Beratung gegen Rechtsextremismus (Homepage)
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