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Verschwörungstheorien als Geschäftsmodell: Daniele Ganser im Kino Babylon

Vor etwa zwei Wochen stieß Klaus Lederer (Linke) in ein Wespennest. Der Berliner Kultursenator kritisierte auf Facebook eine für Dezember angekündigte Preisverleihung für Ken Jebsens Internetformat KenFM. Die Veranstaltung sollte im Kino Babylon stattfinden, inklusive Konzert des HipHop-Duos „Die Bandbreite“. Sowohl Jebsen als auch die Band sind Teil der rechtsoffenen und israelfeindlichen Truther-Bewegung, die glaubt, dass die USA die Terroranschläge des 11. September inszeniert haben.

Von Christoph M. Kluge

Die Szene startete einen Shitstorm im Netz und warf dem Senator „Zensur“ vor. Ob die Verleihung nun stattfindet oder nicht, ist momentan unklar. Lederers Büro geht von einer Absage aus. Auf der Babylon-Website ist der Event verschwunden. Aber die Organisatoren des „Karls-Preises“ halten am Termin fest. Weder der Babylon-Geschäftsführer Timothy Grossman noch die Veranstalter wollten sich gegenüber Belltower News zur Sache äußern.

 

Im falschen Film?

Das Babylon ist ein traditionsreiches Programmkino am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. Cineasten können dort zum Beispiel Stummfilme anschauen, stilecht begleitet auf der restaurierten Kinoorgel von 1929. Doch in den vergangenen Jahren fiel das Haus vor allem durch negative Schlagzeilen auf. Beschäftigte protestierten gegen schlechte Bezahlung, Gewerkschafter verteilten Flugblätter vor der Tür. Der Kinobetreiber reagierte mit Klagen – und einer eigenartigen Aktion. Im Oktober 2015 brachte er Davidsterne und die Aufschrift „Boykott! Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht im Babylon“ an den Türen an. Mit der Anspielung auf die Nazi-Boykotte der 1930er Jahre wollte Grossmann, der selbst Jude ist, nach eigener Aussage auf „Psychoterror“ durch Gewerkschafter hinweisen. Gleichzeitig geriet das Kino in Geldnot, eine Insolvenz konnte nur knapp abgewendet werden.

Das Babylon vermietet seine Räume regelmäßig an externe Veranstalter. Die gehören auffällig oft der Verschwörungsszene an, so wie die „Karls-Preis“-Verleiher. Derartige Events scheinen sich zu häufen. Am 28. November trat nun der Historiker Daniele Ganser auf – gleich zweimal an einem Tag. Der Referent gilt in der Szene als renommierter Wissenschaftler. Seine Bücher sind Amazon-Bestseller. Aber bei genauerer Betrachtung zeigt sich: der „Wahrheitssucher“ ist vor allem ein findiger Geschäftsmann.

 

Der seltsame Gelehrte

Daniele Ganser hat viel zu tun. Er erhalte zahlreiche Anfragen und könne daher nicht auf alle antworten, heißt es vorsorglich auf der Homepage des privaten Instituts SIPER, dessen Gründer der 45-jährige Schweizer ist. Eine Telefonnummer gibt es nicht. Trotz dieser Hürden ist Ganser bis Jahresende für Vorträge ausgebucht. Auch für Belltower News ist er kurzfristig nicht zu sprechen, teilt Ganser per Mail mit, er werde sich aber den geplanten Artikel durchlesen. Wie der Publizist gesehen werden möchte, zeigen ausgewählte Zitate aus Presseberichten auf seiner privaten Homepage. „Ganser ist einer der populärsten Historiker im deutschsprachigen Raum“, habe zum Beispiel die Berner Zeitung geschrieben. Das ist zwar richtig. Aber der zitierte Artikel bezeichnete ihn auch als „Rhetoriker“ mit „Hang zu Verschwörungstheorien“. Letzteres zitiert er nicht.

Doch das ist nicht die einzig Auffälligkeit. Ganser nimmt nie an geschichtswissenschaftlichen Tagungen teil. Er hat auch nur eine Handvoll Artikel in akademischen Journalen veröffentlicht. Das ist besonders ungewöhnlich, denn Forscher stehen normalerweise unter hohen Publikationsdruck. Die wenigen Artikel, die es von Ganser gibt, sind fast alle zwischen 2003 und 2006 erschienen. Damals arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH Zürich. Zu dieser Zeit geriet er auch wegen seiner Auftritte in den Medien in die Kritik. Dort forderte er, die Wissenschaft solle Verschwörungstheorien zum 11. September als gleichberechtigt anerkennen.

 

Daniele Gansers „Geheimarmeen“

Gansers bekanntestes Buch „NATO-Geheimarmeen in Europa“ basiert auf seiner Doktorarbeit von 2001. Eine überarbeitete Fassung ist 2005 zuerst auf Englisch und drei Jahre später auf Deutsch erschienen. Das Buch behandelt die sogenannten Stay-Behind-Organisationen des Kalten Krieges. Diese paramilitärischen Gruppen sollten im Falle einer sowjetischen Invasion zum Einsatz kommen. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, hinter der Front Brücken zu sprengen und Anschläge zu verüben. Ähnlich den Partisanen im Zweiten Weltkrieg sollten sie eine militärische Gegenoffensive unterstützen. Diese Guerillagruppen wurden von Geheimdienstoffizieren ausgebildet und bewaffnet. Sie rekrutierten sich aus fanatischen Antikommunisten, oftmals Rechtsradikalen und Neonazis.

Der breiten Öffentlichkeit wurde dieses düstere Kapitel des Kalten Krieges erst Anfang der 1990er Jahre bekannt. Damals deckte der italienische Untersuchungsrichter Felice Casson die Existenz der Organisation „Gladio“ in Italien auf. Deren Mitglieder waren in terroristische Anschläge verwickelt, die kommunistischen Gruppen untergeschoben wurden. Dass es solche Stay-Behind-Truppen in Westeuropa gab, ist belegt und steht für die historische Forschung außer Frage. Daniele Ganser stellte jedoch in seinem Buch steile Thesen auf: Die Geheimorganisationen hätten nicht nur militärische Ziele verfolgt, sondern politischen Einfluss ausgeübt. Durch Terror hätten sie als „fast perfekte Manipulationssysteme“ die „Souveränität“ der westeuropäischen Staaten untergraben.

Tatsächlich waren die Gruppen sehr unterschiedlich, in Skandinavien zum Beispiel operierten sie unabhängig von der NATO. Ganser warf aber alle in einen Topf und behauptete, in ganz Europa habe es eine „Strategie der Spannung“ wie in Italien gegeben. Am Ende deutete er sogar eine Verbindung zum 11. September an. Selbst wenn man seine Übertreibungen abzieht, stehen Gansers Behauptungen auf dünnem Eis. Das ist kein Wunder, wichtige Aktenbestände standen ihm nicht zur Verfügung. Neuere Forschungen stützen sich auf inzwischen veröffentlichte Dokumente, etwa von CIA und BND. Viele von Gansers Behauptungen wurden widerlegt. Rezensionen in Fachzeitschriften bemängeln Gansers lockeren Umgang mit den Quellen. Zum Teil ist er sogar auf längst entlarvte Fälschungen hereingefallen wie das vom KGB produzierte „U.S. Army Field Manual 30-31B“.

 

Vom Forscher zum umstrittenen Erfolgsautor

Das Buch ist spannend erzählt wie ein Roman von John Le Carré. Es verkauft sich bis heute gut bei einem bestimmten Publikum, das Verschwörungen mag. Doch für Gansers Durchbruch als Medienfigur sorgte am Ende der Zufall. Kurz nach seiner Promotion steuerten islamistische Attentäter Flugzeuge in die New Yorker Twin Towers. In der Schweiz gab es nicht allzu viele „Terrorexperten“. Deshalb rissen sich die Medien um den jungen, eloquenten Wissenschaftler. Dass der vom Islamismus überhaupt keine Ahnung hatte, störte sie nicht. Ganser nutzte die unverhoffte Aufmerksamkeit, um darüber zu spekulieren, ob nicht vielleicht US-Geheimarmeen hinter dem Anschlag stehen könnten.

Im akademischen Betrieb brachten ihm solche Aussagen vor allem Kritik ein. 2006 wurde sein befristetes Beschäftigungsverhältnis bei der ETH Zürich nicht verlängert. 2010 scheiterte seine Habilitation an der Universität Basel. Ein Jahr darauf löste er einen Eklat aus, als er das Logo der Universität zur Werbung für einen Vortrag zum zehnten Jahrestag der WTC-Anschläge benutzte. Am Ende stand der ehemalige Hoffnungsträger überall vor verschlossenen Türen.

Sein unrühmliches Ausscheiden aus der etablierten Forschung hat indes dem Geschäftsmann Daniele Ganser nicht geschadet. 2011 gründete er das private „Friedensforschungsinstitut“ SIPER mit Sitz in Basel. Das Institut finanziert sich nach eigenen Angaben vor allem durch Vortragsreisen. Inzwischen sind zwei weitere Bücher erschienen: „Illegale Kriege“ und „Europa im Erdölrausch“. Letzteres ist die schon erwähnte nicht geglückte Habilitationsschrift. Beide wurden zu Bestsellern und in mehrere Sprachen übersetzt. Auch hier liefert der Autor seinen Leser_innen jene Mischung aus Fakten, Übertreibungen und nebulösen Andeutungen, die seit dem Erstling seinen Markenkern bildet. Seit einiger Zeit wendet sich Ganser nun wieder verstärkt dem Thema zu, dass ihn sowohl erfolgreich als auch berüchtigt machte: dem 11. September 2001.

 

9/11 – für Aluhüte noch immer ein heißes Thema

Die Truther-Szene hat über die Jahre eine unüberschaubare Masse von Verschwörungstheorien zu 9/11 hervorgebracht, die alle nach und nach widerlegt worden sind. Besonders hartnäckig halten sich Fragen zum World Trade Center 7. Dieses kleinere Gebäude stürzte ein, obwohl es nicht direkt von einem Flugzeug getroffen wurde. Für Aluhüte ist daher klar: Es kann sich nur um eine Sprengung gehandelt haben. Offiziellen Untersuchungsberichten schenken sie weniger glauben als pixeligen YouTube-Videos. Tatsächlich ist die Einsturzursache längst geklärt. Das National Institute of Standards and Technology (NIST) kam zu dem Schluss, dass eine Kettenreaktion das Gebäude zum Einsturz brachte.

Zum Thema WTC7 hat Daniele Ganser (noch) kein eigenes Buch verfasst. Aber er steuerte das Vorwort für die deutsche Ausgabe von David Ray Griffins „Der mysteriöse Einsturz von World Trade Center 7“ bei. Griffin ist ein emeritierter Theologie-Professor und gilt als führender Kopf in der Truther-Bewegung. Warum sich ein Theologe mit Hochhäusern und Flugzeugen auskennen sollte, weiß zwar nur der liebe Gott, aber die Fans kümmert das nicht. Die deutsche Übersetzung seines neuesten Buches ist erst kürzlich bei einem Kleinstverlag namens „Peace Press“ erschienen. Der Verleger Oliver Bommer hat es selbst übersetzt. Bommer vertreibt ausschließlich Titel zu 9/11-Theorien. Der Facebook-Seite zufolge lebt Bommer in Thailand, wo er offenbar auch die Bücher produziert. Seine eigentümliche Firma war unter ihrer Telefonnummer kurzfristig nicht zu erreichen.

 

Kino Babylon – Eine Bühne für jeden Scharlatan?

Erst im Oktober präsentierte KenFM einen Vortrag zum Thema „Der Einfluss der USA auf Europa“ mit Wolfgang Bittner und Willy Wimmer. Die beiden älteren Herren treten gern in Jebsens Shows auf. Auch vor Live-Publikum wetterten sie zuverlässig über die angebliche westliche Aggression gegenüber Russland. Im April zeigte der selbsternannte Kriegsreporter Mark Bartalmai seinen Propagandafilm „Frontstadt Donezk“. Bartalmai leugnet darin unter anderem die Beteiligung des russischen Militärs am Konflikt in der Ostukraine. Der Streifen wurde von dem auf Verschwörungen spezialisierten Label NuoViso produziert, das mit Jürgen Elsässers Verschwörungsheft Compact zusammenarbeitet.

Ebenfalls im April durfte der Impfgegner Andrew Wakefield seinen Film „Vaxxed“ im Kino Babylon aufführen. Der Arzt hat seine Zulassung in Großbritannien verloren, weil er die Ergebnisse einer Studie gefälscht hatte. Wakefield behauptet seit Jahren ohne echte Beweise, Impfungen würden Autismus verursachen. Aber er war nicht der erste Esoterikguru, der im Babylon eine Bühne für krude Medizin-Thesen fand. Bereits 2012 zeigte das Kino den Film „I Won’t Go Quietly“, der den Zusammenhang zwischen HIV und AIDS bestreitet. Die Immunschwäche-Krankheit sei lediglich eine Erfindung der Pharmaindustrie, behauptet die Berliner Filmemacherin Anne Blumenthal und rät AIDS-Patient_innen sogar, ihre Medikamente abzusetzen.

Die Verschwörungsszene hat im Allgemeinen Schwierigkeiten, größere Räume für ihre fragwürdigen Veranstaltungen zu finden. Und das Kino Babylon braucht dringend Geld. So kommt man ins Geschäft. Redner wie Daniele Ganser sorgen für einen vollen Saal. Das Publikum wird nicht enttäuscht. Ganser mag kein seriöser Forscher sein. Aber er ist ein geschickter Entertainer. Seine alchemistische Show gibt den Zuhörern das Gefühl, all die kruden Theorien seien Teil eines geheimen Wissensbestandes, der nur langsam an die Oberfläche dringt. Wer Spaß daran hat, kommt im Babylon auf seine Kosten – dem Kino, in dem der Film auch nach dem Abspann weiterläuft.

 

Christoph M. Kluge ist Literaturwissenschaftler, Historiker sowie freier Journalist in Berlin und beobachtet die neurechte Szene.

Titelfoto oben: Flickr / Montecruz Foto / CC BY-SA 2.0

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