Es fällt schwer, hier die von Trump erwähnten "feinen Menschen auf beiden Seiten" zu entdecken. Das Bild ist ein Filmstill aus einer Vice-Reportage (Link im Text) und übrigens von der freitäglichen, von Trump als bürgerlich und freundlich beschriebenen Demonstration am 12.08.2017.
Screenshot Facebook, 16.08.2017

Trumps Pressekonferenz: Ein Lehrstück zu rechtspopulistischen Gesprächsstrategien

Nachdem US-Präsident Donald Trump zunächst verlautbaren ließ, bei der Nazi-Demonstration in Charlottesville habe es "Gewalt von allen Seiten" gegeben, änderte er sein Statement in "Rassismus ist böse", um jetzt wieder zu relativieren: Die Gegendemonstrant_innen hätten eine Mitschuld an dem Anschlag auf die Gegendemonstration in Charlottesville durch einen rechtsextremen Autofahrer, der einer Frau das Leben kostet und 35 Menschen verletzte. Dazu gibt es jetzt zwei interessante Quellen: Eine Video-Reportage von der Demonstration in Charlottesville -und Trumps Pressekonferenz im Wortlaut, auf der er sämtliche verfügbaren rechtspopulistischen Gesprächsstrategien anwandte.

 

Von Simone Rafael

 

Die Video-Reportage von "Vice" und "HBO" über die Demonstrationen in Charlottesville ist sehr aufschlussreich; die Reporterin besucht die kleinere Fackelmarsch-Demo der Rechten am Freitagabend und die große Demonstration am Samstag, jeweils von der rechtsextremen Seite aus; sie spricht u.a. mit "Unite The Right"-Sprecher Christopher Cantwell, der u.a. in seinem Demonstrationsfazit am Sonntag mehr Tote ankündigt und zugleich sagt, es sei ja niemand ohne Grund gestorben. Sie spricht mit Robert "Azzmador" Ray, Redakteur der inzwischen heimatlosen Nazi-Website "The Daily Stormer", der die Demonstration als amerikanischen "Pegida"-Moment beschreibt: Man habe sich im Internet organisiert, nun aber sie man leibhaftig auf der Straße und das gäbe so viel Stärke für die Bewegung. Sie spricht mit weißen Nationalisten, die Tränen in den Augen haben, weil seit "zwei Dekaden" nicht mehr so viele Rechte auf einer Demonstration gewesen seien.

 

 

 

Trumps Gesprächsstrategien: Whataboutism and more

Interessant ist dies auch, wenn man die Bilder in Verbindung setzt mit der Mitschrift der Pressekonferenz vom 15.08.2017, die Trump gegeben hat und die politico.com im Wortlaut veröffentlicht hat (auf Englisch, Übersetzung hier: BTN) - und die gerade im Zusammenhang mit den obigen Bildern sehr interessant ist.
 

Hier verwendet der amerikanische Präsident klassische rechtspopulistische Gesprächsstrategien und Volten (dabei lassen wir die Lügenpresse-Schelte weitestgehend heraus, denn die ist ja bekannt).
 

Reporter: War das Terrorismus?

Trump: Ich denke, der Fahrer des Autos ist eine Schande für sich selbst, seine Familie und sein Land. Und das - das können Sie Terrorismus nennen, das können sie Mord nennen. Das können Sie nennen, wie sie wollen. Ich nenne es so wie der erste, dessen gutes Urteil mich überzeugt. (...) Ist es Mord? Ist es Terrorismus?  Da geht es doch nur um rechtliche Semantik. Der Autofahrer ist ein Mörder, und was er tat war ein furchtbares, furchtbares, unentschuldbares Ding.

-> Doppelte Standards: Würde Trump über z.B. einen islamistischen Attentäter genauso sprechen? 

Reporter: Haben Sie noch Vertrauen zu Steve Bannon?

Trump: Wir werden sehen. Sehen sie, ich mag Mr. Bannon. Er ist mein Freund (...). Er ist ein guter Mann. Er ist kein Rassist, das kann ich Ihnen sagen. Er ist ein guter Mensch und bekommt sehr unfaire Presse in dieser Hinsicht. Wir werden sehen, was mit Mr. Bannon passiert.

-> Eigene Meinung wird als objektive Einstellung verallgemeinert und verkauft.

Reporter: Senator MacCain sagte, die "Alt-Right"-Bewegung stecke hinter diesen Attacken und hinter der Attacke in Charlottesville.

Trump: Das weiß ich nicht. Das kann ich nicht sagen. Ich bin sicher, Senator McCain weiß, wovon er spricht. Aber wenn Sie "Alt-Right" sagen, definieren sie mir Alt-Right. Definieren sie es. Jetzt.

-> Ein rhetorischer Klassiker jeder Kommentarspalte: Das Gegenüber verunsichern und beschäftigen, indem man eine Frage zurückgibt, die man nicht beantworten möchte, dabei Inkompetenz unterstellen und damit auch die Grundaussage diskreditiern - ohne ein einziges Argument zu verbrauchen ("Was soll das sein, Rechtsextremismus?" "Nazis gibt es doch seit 1945 nicht mehr" usw. )

 

Reporter: Senator McCain hat die Gruppe definiert.

Trump: Okay, aber was ist mit den Linken [die er in Anlehnung Alt-Left nennt], die kamen auch - Entschuldigung, was ist mit der Alt-Left, die kamen auch gewalttätig auf die Alt-Right zu? Fühlen Sie irgendwelche Schuld? 

-> Ein klassischer Whataboutism: Die Rechten waren gewalttätig - aber was ist mit den Linken? Hier natürlich verbunden mit der Tatsache, dass es auch nicht friedliche Demonstrant_innen auf der Gegendemonstration gab - aber keine, die einen Menschen hätten töten wollen. 

 

​Trump: Was ist mit denen? Was ist mit der Tatsache, dass sie auf die Demonstranten zukamen mit Schlägern in der Hand, mit schwingenden Schlägern? Haben sie ein Problem. Ich denke, sie haben ein Problem.

Wobei alle die Bilder gesehen haben, wie die Rechtsextremen bis an die Zähne bewaffnet waren und zuvor auch zur Bewaffnung aufgerufen hatten.

(...)

Trump: Ich will Ihnen etwas sagen. Ich habe die Vorgänge dort sehr genau angesehen, genauer als Ihr Leute. Da war auf der einen Seite eine Gruppe, die war böse. Und es gab auf der anderen Seite eine Gruppe, die war sehr gewalttätig. Das will niemand sagen, aber ich sage es genau jetzt. Da war eine Gruppe auf der anderen Seite, die demonstrierten ohne eine Erlaubnis, und sie waren sehr, sehr gewalttätig.

Damit meint Trump in der Tat die Gegendemonstrant_innen - und das ist genau die Argumentation, die seit Tagen auf rechtsextremen und rechtspopulistischen Blogs zu lesen ist.

 

Reporter: Sind die, die Sie hier als "Alt-Left" bezeichnen, das gleiche wie Neonazis?

Trump: Diese Leute - all diese Leute - entschuldigen Sie - ich habe Neonazis verdammt. Ich habe viele verschiedene Gruppen verdammt, aber nicht all diese Menschen waren Neonazis, glauben sie mir. Nicht alle Menschen auf der Demonstration waren "White Supremacists".

-> 1. Der klaren Frage ausweichen; 2. Eine Wort-Diskussion anfangen und in den Relativierungs-Prozess einsteigen.

 

Reporter: Also, weiße Nationalisten.

Trump: Die Leute waren da, weil sie dagegen protestieren wollten, dass die Statue von Robert E. Lee abgebaut wird. Wenn sie die Gruppe Demonstrierende ansehen, und dass wüssten Sie, wenn Sie ein ehrlicher Journalist wären, was viele nicht sind. Viele Leute waren da, um gegen den Abbau der Statue zu protestieren. Denn diese Woche ist es Robert E. Lee, dann wurde eine Statue von Stonewall Jackson heruntergerissen. Ich frage mich, stürzen wir nächste Woche Denkmäler von George Washington? Und die Woche danach solche von Thomas Jefferson? Sie müssen sich mal fragen, wo hört das auf?

-> Was für eine rhetorische Steilvorlage. Lokalhistorische Auseinandersetzugen werden genommen, um schamlos zu übertreiben und Menschen, die eine Auseinandersetzung mit der rassistischen Geschichte Amerikas wünschen, zu unterstellen, sie wollten sämtliche Präsidenten der amerikanischen Geschichte demontieren.

 

Reporter: Mr. President, sind für Sie die, die Sie "Alt-Left" nennen, und Vertreter der "White Supremacy"-Bewegung moralisch auf der gleichen Ebene?

Trump: Ich sage nichts über moralische Ebenen. Ich sage: Auf der einen Seite war die eine Gruppe, auf der anderen die andere, sie sind aufeinander mit Schlägern losgegangen und es war gewalttätig und schrecklich und schrecklich anzuschauen. Da gab es diese Gruppe, die sie links nennen. Sie haben sie gerade links genannt, und sie haben die andere Gruppe gewalttätig attackiert. Sie können sagen, was Sie wollen, aber so war es.

Die Antwort ist also nicht nur "Ja", sondern: Die "Alt-Left" ist schlimmer, sie hat angefangen.

 

Reporter: Sie sagen also, es gab Hass und Gewalt auf beiden Seiten?

Trump: Ja, beide Seiten müssen sich schämen. Sie müssen beide Seiten ansehen. (...) Und wenn sie ordentlich berichten würden, würden Sie das auch sagen.

Und immer wieder die Unterstellung, die Presse würde (bewusst) Dinge einseitig darstellen.

 

Reporter: Aber die Neonazis haben angefangen. Sie sind in Charlottesville aufmarschiert.

Trump: Entschuldigung, aber sie haben sich nicht als Neonazis bezeichnet. Es gab sehr schlechte Menschen in dieser Gruppe, aber auf beiden Seiten gab es auch sehr gute Menschen. (...) Da waren Menschen, die haben nur gegen den Abbau dieser sehr, sehr wichtigen Statue demonstriert und dagegen, dass der Park von Robert E. Lee einen anderen Namen bekommt.

Die allerdings kein Problem damit hatten, mit bewaffneten Neonazis auf die Straße zu gehen, die skandierten "Jews will not replace us".

 

Reporter: Aber George Washington und Robert E. Lee sind nicht gleich wichtig.

Trump: Nein, aber George Washington war ein Sklavenbesitzer. (...) Wird George Washington nun seinen Status verlieren? Bauen wir seine Monumente ab, seine Statuen? Und die von Thomas Jefferson? Mögen Sie ihn? Ah, gut. (...) Er war ein großer Sklavenbesitzer. Werden wir seine Statue abbauen? Wissen Sie was? Na schön, Sie wollen die Geschichte verändern, sie wollen die Kultur verändern und da gibt es eben Leute - ich meine nicht die Neonazis und weißen Nationalisten, die sollten total verpönt sein - aber da waren viele Menschen, die keine Neonazis und weiße Nationalisten waren, okay? Die Presse hat die unfair behandelt. Da waren feine Leute, und da waren solche, die Ärger machen, und die sah man in ihren schwarzen Uniformen und den Helmen und den Baseballschlägern. Aber auf der anderen Seite waren auch böse Menschen.

Wieder die Unterstellung, wer sich mit Geschichte auseinandersetzen möchte, möchte sie umschreiben und zerstören. 

Und wieder das Beharren auf viele "besorgte Bürger".

Und wieder das "Lügenpresse"-Thema.

 

Reporter: Das habe ich nicht verstanden. Sie sagen, die Presse hat die weißen Nationalisten unfair behandelt?

Trump: Nein, nein. Aber in der Nacht zuvor, haben Menschen sehr ruhig protestiert gegen den Abbau der Statue. Ich glaube, in jeder Gruppe gab es schleche Menschen. Am folgenden Tag waren da gewalttätige Menschen, Neonazis, weiße Nationalisten, wie immer Sie sie nennen wollen. Aber da waren viele Menschen, die ganz unschuldig und legal protestiert haben. Ich weiß nicht, ob sie das wissen, sie hatten eine Erlaubnis dafür. Die andere Gruppe hatte keine Erlaubnis. Ich sage Ihnen nur: Jede Geschichte hat zwei Seiten. Das war ein schrecklicher Moment für unser Land. Es gibt auch zwei Seiten im Land.

 

Es ist die gleiche Argumentation, die der interviewte Neonazi im Film oben auf der Demonstration verwendet. Kein Wunder also, dass die rechtsextreme Szene nach der Pressekonferenz jubilierte:

David Duke, ehemaliger Ku-Klux-Klan-Anführer und einer der bekanntesten amerikanischen
Nationalsozialisten; dem gefiel auch, was ein anderer Kamerad kommentierte:

 

Auch Richard B. Spencer, bekanntestes Gesicht der "Alt-Right"-Bewegung, war zufrieden:

 

Nach der Pressekonferenz retweete Trump übrigens über seinen Twitter-Account eine Grafik, auf der ein Zug, als "Trump-Train" beschriften, einen CNN-Reporter überfährt. Ein Bild, das gerade nach dem Attentat eines Rechtsextremen auf eine Gegendemonstrantin an Zynismus und Menschenverachtung kaum zu überbieten ist (inzwischen gelöscht, Bild bei Meedia).

 
 

Mehr zu rechtspopulistischen Gesprächsstrategien:

 

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