Die Theatergruppe "Brauner Zucker" rahmte den FES-Fachtag
FES, Fotograf: Peter Himsel

"Wir müssen auf die Volksfeste!": Strategien für die Arbeit gegen Rechtsextremismus im ländlichen Raum

Was kennzeichnet rechtsextreme Milieus im ländlichen Raum? Und wie kann man erfolgreich gegen sie vorgehen? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt einer FES-Fachkonferenz, bei der Expertinnen und Experten Best Practice Ansätze diskutierten. Das Fazit: Potential für eine menschenfreundliche Gesellschaft ist auch im ländlichen Raum vorhanden.

von Laura Piotrowski

Am 15. Oktober 2013 fand in Berlin die Fachkonferenz "Rechtsextremismus im ländlichen Raum" statt. Veranstaltet von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) trafen sich hier Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft, Aktive der Zivilgesellschaft sowie Politikerinnen und Politiker, um über Fragen der Ausprägung von rechten Strömungen außerhalb der großen Städte, der strukturellen Entwicklung ländlicher Sozialräume, demokratischer Zivilgesellschaft und erfolgsversprechenden Ansätze für Engagement gegen Neonazis zu diskutieren. Weiterhin wurde das Anfang des Jahres erschienene "(Dia)Logbuch Sachsen" vorgestellt. Die Publikation des Kulturbüro Sachsen e.V. beschäftigt sich mit prozessorientierter Beratung im ländlichen Raum und stellt das Wissen der vergangenen zehn Jahre zivilgesellschaftlicher Arbeit zusammen. Gerahmt wurde die Konferenz durch die Zwischenergebnisse des Theaterprojekts "Brauner Zucker", das sich kritisch mit Alltagsrassismus und der Wirksamkeit von Sprache auseinandersetzt.

Herausforderungen der Zivilgesellschaft am Beispiel Sachsen

Zu Beginn gaben Danilo Starosta und Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen e.V. Einblicke in die soziodemographischen Rahmenbedingungen der Entwicklung des ländlichen Sozialraums sowie einen Überblick über aktive Zivilgesellschaft und gelebte Demokratie. Hanneforth berichtete über die Situation in Sachsen. Das erfolgreichste der neuen Bundesländer besitzt die geringste Dichte von Zivilgesellschaft im ländlichen Raum, obwohl außerhalb der drei großen Städte Chemnitz, Leipzig und Dresden 3,2 Millionen Menschen leben. Für die Arbeit in der sächsischen Spezialsituation stellen sich verschiedene Herausforderungen für die Begleitung einer aktiven Zivilgesellschaft. Grundlegend stellt sich die Frage nach den Gelegenheitsstrukturen. Wo also trifft man Menschen an, die sich aktivieren lassen? Auf der Arbeit, in der KiTa oder doch in der Kirchgemeinde? Besonders herausfordernd ist ebenso die starke soziale Kontrolle innerhalb der lokalen Gemeinschaften, in der Neonazis ganz schnell der lang bekannte Mitschüler oder die Tochter vom Nachbarn sein können. Verzwickt zeigt sich die Lage auf der Demokratieebene: Häufig sind nur wenige der demokratischen Parteien im ländlichen Raum aktiv vertreten, weiterhin mangelt es häufig am Demokratieverständnis. Hanneforth stellt dar, wie fehlende Akzeptanz von Bürger- und Freiheitsrechten sowie eine mangelnde demokratische Streitkultur besonders auf Ebene von Verwaltung und Politik zum Teil des Problems werden. In Sachsen aber besonders herausfordernd ist die langjährige Normalisierung und Ausprägung des Extremismuskonzepts der Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse. Dabei wird davon ausgegangen, dass das politische Spektrum sich wie ein Hufeisen aufbaut: aus einer normativen demokratischen Mitte bis hin zu den linken oder rechten extremen Rändern. Die sogenannten "extremistischen" Teile eines politischen Spektrums seien demzufolge dadurch gekennzeichnet, dass von ihnen eine aktive Gefährdung der Grundwerte der herrschenden politischen Ordnung angenommen wird. Nebenbei werden die extremen Ränder des politischen Spektrums gleich gestellt, meist ohne genauer auf die Inhalte zu achten.

Extrem schwierig: Das sächsische Demokratieverständnis

Eine besondere Ausprägung dieses Verständnisses findet sich in der sogenannten Extremismusklausel. An deren Unterzeichnung ist der Erhalt von Fördermitteln in Sachsen (und dem Bund) seit 2011 gebunden. Zivilgesellschaftliche Institutionen, die Geld aus sächsischen Demokratieförderprogrammen bekommen wollen, müssen sich dabei schriftlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und dazu verpflichten, keine Aktivitäten zu entwickeln, die ihr widersprechen. Die Klausel ist seit ihrer Einführung extrem umstritten.

"Die Konstruktion von Links- und Rechtsextremismus und einer demokratischen Mitte bildet die Gesellschaft einfach nicht ab. Aber auf dieser Grundlage werden immer wieder sogenannte Linksextremisten zu Demokratiefeinden erklärt und aus der Arbeit vor Ort ausgeschlossen. Dabei bilden sie meist die einzigen Akteure der aktiven Zivilgesellschaft im ländlichen Raum", berichtet Hanneforth. Positiv kann sie jedoch ergänzen, dass sich trotz der widrigen Umstände im Land immer wieder Menschen aktiv für Demokratie und gegen Menschenverachtung einsetzen.

Die Diskussion des Extremismus-Konzepts, dessen Auswirkungen in der Praxis politischer Arbeit und eine Frage nach der Neudefinition des Begriffs "Rechtsextremismus" begleiteten die Tagung. Später stellte Ralf Melzer, Leiter des FES-Projekts "Gegen Rechtsextremismus", noch einmal klar, warum man in der Stiftung weiterhin vom Rechtsextremismus spreche. Man finde keinen besseren Begriff, gehe mit der Definition nach Richard Stöss (2007) und wolle besonders beschreiben, dass Menschen extrem weit oder weniger extrem weit rechts eingestellt sind. Dabei verwende man aber nicht den Extremismus-Begriff nach Backes/ Jesse.

Praktische Arbeit gegen Neonazis im ländlichen Raum

Am Nachmittag stellt Prof. Dr. Roland Roth eine Nachlese zur Bundestagswahl 2013 dar. Besonders alarmiert zeigte er sich vom Abschneiden der Alternative für Deutschland im ländlichen Raum, mit Hinblick auf diese Zahlen könne man über den Stimmenrückgang für die NPD nicht erfreut sein. Er befürchtete eine Etablierung der rechtspopulistischen Partei auf EU-Ebene. Als Gegenstrategie forderte er eine solidarische Europabewegung, die auch EU-Fehlentwicklungen stärker kritisiere. Die demokratischen Parteien sollten sich diesen Themen stärker annehmen, um den populistischen Bestrebungen und Kampagnen der AfD argumentativ den Boden zu entziehen.

Im Anschluss verhandelte ein Panel aus Zivilgesellschaft, Politik, Medien und Jugendarbeit über Best Practice Ansätze in der Auseinandersetzung mit rechten Einstellungen und Verhaltensmustern im ländlichen Raum. Auch ein Vertreter der Elterninitiative "Buntes Bürgerforum für Demokratie Limbach-Oberfrohna" saß mit auf dem Podium. Die Initiative hatte sich als Reaktion auf wiederholte Angriffe von Nazis auf alternative Jugendliche in Limbach gebildet, auf die Stadt und Verwaltung kaum bis gar nicht reagierten. Die betroffenen Jugendlichen wurden als das Problem dieser Gewalttätigkeiten dargestellt, kriminalisiert und stigmatisiert. Auch hier zeigen sich wieder die Schwierigkeiten der zivilgesellschaftlichen Arbeit im ländlichen Raum – und die Auswirkungen des Extremismus-Konzeptes.

Mit im Panel diskutierte auch Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung. Diese  unterstützt das Kulturbüro Sachsen e.V. schon lange und ist selbst mit verschiedenen Projekten im ländlichen Raum aktiv. Eines davon ist "Region in Aktion", das Reinfrank vorstellte. "Wir müssen eben dahin, wo wir normalerweise nicht sind, wie auf Volksfeste!" erklärte er. Mit einer Graswurzelarbeit solle man Kommunikationsräume neu besetzen und Bürgerinnen und Bürger auf dem Lande wieder mehr beteiligen. Man dürfe das zivilgesellschaftliche Potential im ländlichen Raum nicht unterschätzen.

Die Tagung endet mit der Diskussion verschiedener Ansätze erfolgreicher Arbeit und dem Fazit: Potential für mehr Demokratie und weniger Menschenfeindlichkeit im ländlichen Raum ist vorhanden.

 

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